Als ich im „Deutschen Ärzteblatt 45/2021“ die Berichte und Beschlüsse vom 125. Ärztetag in Berlin gelesen habe, ist mir fast die sprichwörtliche Kaffeetasse aus der Hand gefallen.

Da redet Herr Bobbert von der Ärztekammer Berlin von „verpflichtenden Zielen“ für die Ärzteschaft, die „Zeiten der freiwilligen Selbstkontrolle seien vorbei“ und beruft sich auch noch auf § 1 der Berufsordnung und die Vorbildfunktion der Ärzte – ist das die Aufgabe und das Selbstverständnis der Ärztekammern?!

Übersetzt heißt das wohl, der Klimaschutz steht jetzt über (fast) allem und wir bekommen dann demnächst für jede Praxis verbindliche Klimaziele und Klimaschutzbeauftragte vorgeschrieben?! Bei Verfehlen auch gerne Sanktionen wie Strafabzüge vom großzügigen KV-Honorar? Klima-Faktoren in der GOÄ?! Extra-Kammerbeitrag für Klimaschutz?!

Und Ärzte, die (noch) einen Verbrenner fahren, sind ab sofort eine schlechte Ärztin/schlechter Arzt, die gegen die Berufsordnung verstoßen?!

Das ist doch eine Steilvorlage der eigenen Standesvertretung, um der Ärzteschaft Pflichten aufzubürden, die man genauso gut freiwillig erfüllen könnte und würde. Klimaschutz ist wichtig, allerdings ist der deutsche Anteil am weltweiten CO2-Aufkommen halt trotzdem nur 2 % und der des deutschen Gesundheitssektors 5,2 % von diesen 2 %; was machen da wohl unsere Praxen aus?!

Es geht um Nachkommastellen im Promillebereich oder weniger, was wir hier einsparen könnten, aber die deutschen Ärzte sollen dazu jetzt die obersten Klimaschützer und „selbstverpflichtet“ werden – als hätten wir gerade keine anderen Probleme. Wenn es so weitergeht, schaffen wir uns ohne Not ein weiteres Instrument zur Steuerung, nein Drangsalierung der Ärzte, das dann ganz schnell mit ganz anderen Interessen gegen uns gewendet werden kann. Andererseits will sicher niemand den Verzicht auf Klimatisierung von OPs, Intensivstationen etc. oder den Wegfall von Hausbesuchen (mit Verbrennungsmotoren) und Rettungshubschraubern wegen der Klimaschutzziele; vom Stromverbrauch der erzwungenen Telematikanbindung ganz zu schweigen.

Eine derart übergriffige „Selbstverpflichtung“ der Ärzteschaft bis in das Privatleben hinein durch die eigene Körperschaft finde ich höchst problematisch. Ein Aufruf und Bekenntnis zu klimaschützendem Verhalten hätte durchaus gereicht – z. B. in der Art, wie vor einigen Ausgaben im HÄBL skizziert wurde (11/2021, S. 620); die größeren Hebel bei den Themen Mobilität, Heizen, Energieverbrauch etc. hat sowieso die Politik in der Hand und die kommenden Gesetze und Verpflichtungen zum Klimaschutz betreffen die Ärzteschaft genauso wie alle anderen auch, beruflich und privat; wir brauchen keine darüber hinausgehenden Selbstverpflichtungen ausgerechnet der Ärzteschaft, während gleichzeitig die deutsche Industrie die EEG-Umlagen geschickt umgehen kann oder erlassen bekommt und die Franzosen ihren Atomstrom demnächst in der EU als förderungsfähigen grünen Strom deklarieren wollen.

Bei den Kliniken könnte ich dieses Ansinnen noch verstehen, die niedergelassenen Ärzte hingegen muss man nicht gesondert verpflichten! Am Anfang steht die Verpflichtung und am Ende die Sanktion – wollen wir das wirklich?!

Da gibt es schon jetzt Zwang zur Telematikanbindung, Vorgaben des SGB, Berufsordnung, Vorgaben des Gesetzgebers, der BG, der Gesundheitsämter, Gewerbeaufsicht und von vielen weiteren Schreibtischtätern, die eine Praxisbegehung aus welchen Gründen auch immer verlangen können...

Was soll man bei diesem Setting eigentlich jungen Kollegen heute raten, die sich in eigener Praxis niederlassen und einfach nur als Arzt arbeiten wollen? „Flieht Ihr Narren“ – aber bitte auf dem Fahrrad?!

Dirk Paulukat, Delegierter der Liste Fachärztinnen und Fachärzte, Facharzt für Augenheilkunde, Bad Camberg