Der Marburger Bund Landesverband Hessen hat im Dezember 2021 unter 1.000 seiner Mitglieder eine Umfrage zur Arbeitsplatzsituation in Krankenhäusern durchgeführt: „Im Schatten der Pandemie: Abbau von Arztstellen?“ Der Artikel ist ein Nachdruck aus der Marburger Bund Zeitung 2/2022, S. 11.

Die Situation, die unsere Mitglieder in der täglichen Beratung, auf Betriebsversammlungen und Ärztekongressen äußern, ist alarmierend. Die Arbeitsplatzsituation im Krankenhaus spitzt sich immer weiter zu. Personalengpässe, wirtschaftlichkeitsorientierte Geschäftsführungen, die wenig Handlungsspielräume haben, immer mehr nichtärztliche oder bürokratische Aufgaben und keine Zeit für eine ethische Patientenversorgung sind immer wieder Thema und es ist keine Lösung in Sicht. Zudem gibt es zu wenige Fachkräfte, der Bedarf aber steigt und die Verweildauer im Beruf sinkt. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen.

Wir wollten wissen, wo der Schuh drückt.

Im Dezember 2021 haben wir daher eine Umfrage unter unseren Mitgliedern durchgeführt mit eindeutigen Ergebnissen: Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, dass im Jahr 2021 an ihrer Klinik Stellen abgebaut wurden bzw. dies angekündigt worden sei. Überwiegend passiert dies, indem offene Stellen nicht wieder besetzt werden. Als Folge hat sich die bereits bestehende enorme Arbeitsbelastung weiter erhöht. Rund 80 % der Befragten halten die ärztliche Personalausstattung für nicht ausreichend, um eine gute Patientenversorgung zu gewährleisten. Schon jetzt beklagen sowohl Patientinnen und Patienten als auch Ärztinnen und Ärzte, dass zu wenig Zeit für die individuelle Behandlung und Betreuung zur Verfügung steht.

Mit Stellenabbau und unattraktiven Arbeitsbedingungen wiederholen Hessens Krankenhäuser im ärztlichen Bereich die Fehler, die zum aktuellen Pflegemangel geführt haben. So planen mehr als 36 % der Befragten die „Flucht in die Teilzeit“, 33 % wollen sogar den Arbeitsplatz Krankenhaus ganz verlassen. Der Grund: Eine zu hohe Arbeitsbelastung.

Hessens Krankenhäuser kommen aber nicht nur deshalb schlecht weg: 89 % der Befragten gaben an, dass ihre Krankenhausleitung am meisten Wert auf die wirtschaftliche Situation des Krankenhauses legt, nur rund 16 % sehen dies bei der guten medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten.

Fazit: Progrediente Verschlechterung

Eine fehlende personelle ärztliche wie pflegerische Ausstattung aufgrund von schlechten Finanzierungs- und Investitionsbedingungen durch die Politik sowie Fehlsteuerungen durch das DRG-System haben eine negative Spirale für den ärztlichen Arbeitsplatz im Krankenhaus in Gang gesetzt. Hinzu kommen Geschäftsführungen, die wirtschaftlich orientiert sind und dabei, wie es scheint, immer öfter ihren moralischen Kompass verloren haben. Statt den ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitern den Rücken zu stärken, schildern viele unserer Mitglieder, dass eine Forderung nach immer höheren Fallzahlen, gepaart mit einem Desinteresse an einer ethisch vertretbaren Umsetzung der Patientenbehandlung und dem regelmäßigen Negieren einer ehrlichen Arbeitszeiterfassung, vielfach den Arbeitsalltag bestimmen.

Es herrscht vielerorts Mangelverwaltung: Mangel an Arbeitskraft, Mangel an Zeit für gute Patientenbetreuung, aber auch der Mangel an sachgerechtem Ausgleich zwischen ärztlicher Tätigkeit und Erholung bedrückt den Arbeitsalltag und schlägt zunehmend in Frustration um. Als Folge beobachten wir als Marburger Bund den Trend, der durch die Umfrage gestützt wird, dass immer mehr Ärzte in die Teilzeit flüchten oder dem Arbeitsplatz Krankenhaus ganz den Rücken kehren.

Was wir brauchen, ist ein ehrlicher Dialog sowie Taten und nicht die Erschöpfung in Floskeln und sinnloser Negierung des Offenkundigen. Patienten, die ins Krankenhaus kommen, müssen zu oft feststellen, dass die Umfrageergebnisse den Alltag dort widerspiegeln.

Wenn es daher nicht gelingt, zu einem vernünftigen Ausgleich zu kommen, wird sich der Engpass in der Ressource „Arzt“ genau wie in der Pflege weiter verschärfen. Und das mit allen Konsequenzen für die medizinische Versorgung und Qualität.

Info: Die komplette Umfrage findet sich im Internet unter www.mbhessen.de.

Alexandra Kretschmer, Kerstin Mitternacht, Marburger Bund Hessen

Stimmen aus der Umfrage zur Arbeitszufriedenheit

Gründe, das Krankenhaus zu verlassen:

  • Fehlende Wertschätzung.
  • Dienstbelastung bei immer weniger Personal.
  • Mangelnde Weiterbildung im stationären Setting; mangelnde Wertschätzung ärztlicher Tätigkeit; absehbare Verschlechterung der Patientenversorgung ist zukünftig zu erwarten im Rahmen weiterer Ökonomisierungsprozesse; keine Kapazität zur Einhaltung einer konsequenten Ruhe- und Pausenzeit.
  • Die Arbeit verliert ihren Sinn, sie dient der Profitmaximierung des Konzerns und des Erhalts und nicht mehr primär dem Wohl des Patienten. Es werden keine Maßnahmen getroffen, den Pflegemangel zu beheben. Ärztliche und Pflegestellen bleiben unbesetzt. Alle Bereiche scheinen überlastet und überreizt. Krankheitsausfälle können nicht kompensiert werden. Es scheint, dass die gegenseitige Unterstützung innerhalb der Fachbereiche aufgrund der Überlastung abnimmt und gegen den Patienten gearbeitet wird um ihn schnellstmöglich zu entlassen. Es ist desillusionierend und in Anbetracht des jetzigen und zunehmenden Pflegemangels eine Gefährdung für Patienten.

Was würde den Arbeitsplatz attraktiver machen?

  • Ausreichende Anzahl von Ärzten generell, vor allem aber mit fortgeschrittenem Ausbildungsstand/Fachärzte.
  • Verbesserung der gesamten Strukturen, mehr Zeit für die Behandlung, weniger administrieren. Unsägliches QM und Berichtswesen.
  • Weniger Wochenarbeitszeit. Mehr Personal. Geringere Dienstbelastung. Strukturierte und garantierte Weiterbildung.
  • Mehr Personal, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
  • Arbeitszeiterfassung wie im Arbeitsvertrag zugesichert, die tatsächlich erfolgt und für die Angestellten nachvollziehbar ist; Ausbildung nach Weiterbildungsordnung und vor allem auch in praktischen Fähigkeiten wie Sonographie; keine Nichtverlängerung von Kollegen unmittelbar vor dem Facharzt und stattdessen einstellen neuer Kollegen frisch von der Uni → das Kompetenzniveau sinkt!
  • Mehr Personal, bessere Einarbeitung, zuverlässigere Dienstplangestaltung mit Ausfallsicherheit bzw. -reserve.
  • Mehr medizinische Versorgung, Delegieren nicht-ärztlicher Tätigkeiten (Rezepte ausstellen, Befunde anfordern, Termine vereinbaren), Ärzte kompensieren Pflegemangel, indem sie mehr Pflegeaufgaben erfüllen, Patientenfahrten zu Untersuchungen machen etc.
  • Mehr ärztliche Kollegen und dadurch geringere Arbeitsbelastung und weniger Dienste. Aktuell macht das Arbeiten keinen Spaß.

Kommentar: „Alle Jahre wieder dreht sich das Stellenkarussell“

Nach drei Jahren als Assistenzarzt und Dienstplaner in einem Maximalversorger wiederholt sich jedes Jahr zum Jahresende dieselbe Problematik: KollegInnen kündigen, die Stellen werden erst einmal gestrichen bzw. nicht nachbesetzt. Für den Dienstplaner heißt es dann wieder, den Plan für Weihnachten und Silvester irgendwie zusammen zu basteln, weil Resturlaube der ausscheidenden Kollegen gewährt und den verbleibenden KollegInnen gut zugeredet wird, dass nächstes Jahr alles besser werde und Überstunden und Mehrarbeit dann abgebaut werden können. Im Laufe des neuen Jahres erhält man meist die Zusage, die Stellen zumindest für das nächste Quartal neu zu besetzen. Stellennachbesetzungen dauern aber, dementsprechend haben wir meistens nur drei Monate des Jahres einen sinnvollen Stellenschlüssel. Bis das Quartal wechselt, der nächste kündigt und sich das Rad wieder neu dreht. Dieser ständige Kampf um Personal und der damit verbundene Kampf um die eigene Lebenszeit macht etwas mit uns!

Wie man in der Umfrage erkennen kann, ist das Mittel der Nichtbesetzung oder verspätetes Besetzen offener Stellen ein probates Mittel der Kliniken, Stellen einzusparen. Natürlich fällt das für die Gesamtjahresstatistik der einzelnen Abteilungen so nicht auf, die Stelle wurde ja besetzt – nur eben vier Monate zu spät!

Diese Praxis ist ein schönes Beispiel für die Denkweise der heutigen Klinikleitungen. Es geht schon lange nicht mehr um gute medizinische Patientenversorgung und gute Arbeitsbedingungen, sondern um Wirtschaftlichkeit und Profit. Diese Wahrnehmung teilen die überwiegende Mehrzahl der befragten Ärztinnen und Ärzte, weil sie es jeden Tag so erleben. Es ist uns Ärzten bewusst, dass eine Klinik auch wirtschaftlich sein muss, aber im Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung steht in erster Linie immer noch der Mensch und nicht der Euro, denn gute Patientenversorgung erreicht man nur mit gesundem Personal. Ich möchte jeden Patienten nach bestem Wissen und Gewissen behandeln können. Es wäre nur von Vorteil, wenn ich das auch wach, meinem Fachgebiet entsprechend und qualitativ hochwertig tun könnte. Um diesem eigenen Anspruch gerecht werden zu können, brauche ich aber wenigstens ein bisschen Freizeit, die Sicherheit, nicht irgendwann als Unfallchirurg die Hirnblutung mitbetreuen zu müssen, und eine Klinikleitung, die für medizinische Qualität und nicht nur Gewinnoptimierung steht.

Wenn man sich die Ergebnisse der Umfrage ansieht, haben wir ÄrztInnen alle dieselben Probleme: Nichtbesetzung offener Stellen, Fächerzusammenlegungen, mangelnde Wertschätzung, Arbeitsverdichtung, von reiner Wirtschaftlichkeit getriebene Klinikleitungen, etc. Es wird Zeit, diese Probleme stärker an die Öffentlichkeit zu bringen, denn es geht hier nicht nur um den Einzelnen, sondern um das gesamte deutsche Gesundheitssystem, dass schließlich zu großen Teilen auf unseren ärztlichen Schultern lastet!

(Anonym, Name ist dem Marburger Bund Hessen bekannt)