Monatelang schien er fast wie eingefroren. Kaum ein anderer Bereich war von der Corona-Krise so hart getroffen wie Kunst und Kultur. Auch wenn sich viele Künstler und Kultureinrichtungen in der digitalen Welt bemerkbar machten, blieben doch Museen, Theater und andere Veranstaltungsräume für das Publikum geschlossen. Nun sind sie wieder geöffnet und die Hoffnung, dass es so bleiben möge, eint auch Freunde und Veranstalter des Rheingau Literatur Festivals.
Literatur im Rheingau
Während im Sommer musikalische Klänge über die Weinberge schweben, schließt sich vom 16. bis 26. September 2021 eine literarische „Wein-Lese“ an das Rheingau Musik Festival an. In Weingütern, Kelterhallen, Burgen, Schlössern und Klöstern des Rheingaus steht im Herbst der Dialog mit Schriftstellern im Mittelpunkt. Neun Autorinnen und Autoren stellen ihre aktuellen Werke in idyllischem Rahmen vor und bieten Einblicke in den schöpferischen Prozess des Schreibens.
Einer von ihnen ist Jan Seghers, der am 16. September aus seinem Buch „Der Solist“ lesen wird. Heiner Boencke, künstlerischer Leiter des Literatur Festivals, wird den Abend auf Schloss Johannisberg moderieren. Unter dem Pseudonym Jan Seghers schreibt der Frankfurter Schriftsteller, Kritiker, Essayist und Journalist Matthias Altenburg Kriminalromane. In „Der Solist“ verbinden sich Politik, islamistischer Terror, Rechtsextremismus und Ausländerhass zu einem explosiven Gemisch.
Es ist die Geschichte eines Aufbruchs: Die Protagonistin hat ihr früheres Leben hinter sich gelassen, ist ans Meer gezogen und wird dort zu einer anderen: Judith Hermanns im Frühjahr 2021 erschienener Roman „Daheim“ ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden. Die 1970 in Berlin geborene Schriftstellerin wurde einst mit ihrem Debüt „Sommerhaus, später“ (1998) bekannt. Am 18. September wird ihr der Rheingau Literatur Preis 2021 verliehen. Laudator ist Alf Mentzer (hr), Heiner Boencke moderiert die Preisverleihung auf Schloss Johannisberg.
Was macht Toleranz aus und warum ist sie notwendig? Die Lebensentwürfe und Wertvorstellungen, religiösen und kulturellen Hintergründe der Menschen werden immer vielfältiger – für manche eine Bereicherung, für andere eine Last. In seinem Buch „Toleranz – einfach schwer“ wirbt der Theologe und frühere Bundespräsident Joachim Gauck für Toleranz, da sie das friedliche Zusammenleben erst möglich mache. Am 22. September wird sich Moderatorin Ruth Fühner auf Schloss Johannisberg mit Gauck u. a. darüber unterhalten, welche gemeinsamen Regeln bei aller Verschiedenheit gelten sollten.
Gesamtkunstwerk Mathildenhöhe
Abendliche Sonnenstrahlen lassen das Wasser im Lilienbecken funkeln und tauchen die goldenen Dächer der Russischen Kapelle in ein magisches Licht. Über den Boulespielern im Platanenhain reckt sich das Wahrzeichen der Stadt Darmstadt – der Hochzeitsturm – 48,5 Meter in die Höhe: Ende Juli wurde die Mathildenhöhe Darmstadt – ein Gesamtkunstwerk aus Hochzeitsturm, Ausstellungsgebäude, Museum Künstlerkolonie, Platanenhain und Künstlerhäusern – von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und zählt nun zu den sieben Welterbestätten in Hessen.
Nach Mathilde Karoline Friederike von Wittelsbach, der Gemahlin Großherzogs Ludwig III., benannt, wurde die Mathildenhöhe schon im 19. Jahrhundert als Garten des großherzoglichen Hofes im Stil eines englischen Landschaftsparks angelegt. 1899 gründete Großherzog Ernst Ludwig die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe mit dem Ziel: „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst.“ Die Förderung von Kunst sollte zum wirtschaftlichen Aufschwung der Region beitragen. Sieben Künstler – Peter Behrens, Rudolf Bosselt, Paul Bürck, Hans Christiansen, Ludwig Habich, Patriz Huber und Joseph Maria Olbrich – folgten dem Ruf des kunstsinnigen Großherzogs auf die Mathildenhöhe und erhielten die Möglichkeit, dort eigene Häuser zu bauen.
Inmitten einer Parkanlage mit Skulpturen, Brunnen und Gartenpavillons entstanden im Zuge von vier Ausstellungen (1901, 1904, 1908, 1914) Jugendstilbauten samt Ausstattung von Möbeln über Geschirr bis zum Besteck. Vom Haus bis zum Garten wurden sie als ästhetische Gesamtkunstwerke in Szene gesetzt. Insgesamt 23 Künstler wirkten hier bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In ihrer Architektur, Raumkunst und dem experimentellen Design drückte sich der Aufbruch in ein neues Zeitalter aus. So gilt die Künstlerkolonie sowohl als Jugendstilensemble als auch als Schnittpunkt zur Moderne der Architektur. Einer ihrer ersten Künstler, der Architekt, Maler, Designer und Typograf Peter Behrens, war später Lehrer des Bauhausbegründers Walter Gropius.
Die Mathildenhöhe lädt nicht nur zu inspirierenden Spaziergängen ein. Im Museum Künstlerkolonie präsentiert die Dauerausstellung „RAUMKUNST – Made in Darmstadt“ das Schaffen der Künstlergemeinschaft. Infos: www.mathildenhoehe.eu
Katja Möhrle