Am 5. Juli 2021 wurde Prof. Dr. Dr. med. habil. René Gottschalk als Leiter des Gesundheitsamtes Frankfurt in der Paulskirche feierlich verabschiedet. Sein Nachfolger, Dr. med. Peter Tinnemann, hat sein neues Amt im Juni angetreten. Anlässlich dieser Staffelübergabe sollen nicht nur die Lebensläufe des bisherigen und heutigen Amtsleiters vorgestellt, sondern auch auf das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt ein Blick geworfen werden, eines der größten und renommiertesten Gesundheitsämter in Deutschland.
Professor René Gottschalk übergibt…
Prof. René Gottschalk wurde 1956 in Frankfurt geboren und ist sein Leben lang seiner Heimatstadt verbunden geblieben. Nach seinem Abitur studierte er zunächst Medizintechnik und arbeitete anschließend als Ingenieur bei der Hoechst AG. 1982 nahm er dann das Studium der Medizin in Frankfurt am Main auf, promovierte 1998 und bildete sich an der Universitätsklinik Frankfurt zum Facharzt für Innere Medizin weiter und erwarb die Zusatzqualifikation Infektiologie. 1998 wechselte er in das Gesundheitsamt Frankfurt, zunächst als Leiter der Abteilung Infektiologie. Er schloss eine zweite Weiterbildung zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen an und wurde 2011 zum Leiter dieses großen Gesundheitsamtes berufen. Nicht nur im Rückblick beschreibt er, dass dieses Amt für ihn „der Himmel auf Erden“ war. Verschiedene Forschungsaufenthalte, z. B. in den USA, Israel, Afrika, Australien und Asien, wurden vom Amt unterstützt. Er konnte vieles anstoßen und seine Erfahrung in Gremien und Kommissionen einbringen und andererseits auch aus diesen Gremienwissen im Amt implementieren.
Als Amtsleiter erreichte er, dass das Gesundheitsamt im Jahr 2013 akademische Lehreinrichtung der Goethe-Universität wurde. Seit 2013 können die Studierenden das Wahlquartal des Praktischen Jahres im Gesundheitsamt absolvieren. Aber auch die weitere Öffnung des Amtes für Famulaturen und Praktika lag ihm am Herzen, ebenso wie die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen. Und nicht zuletzt die 2014 gegründete Studentische Poliklinik (StuPoli), eine Einrichtung der Universität in den Räumen des Gesundheitsamtes, in der Medizinstudierende unter Supervision der Leiterin der Humanitären Sprechstunde des Gesundheitsamtes Patienten untersuchen und behandeln. Auch das eine Spezialität in Frankfurt.
2002 wurde er Leiter des vom Hessischen Sozialministerium neu gegründeten „Kompetenzzentrums für hochpathogene Infektionserreger“ (KHPI), das nicht nur für Hessen, sondern auch für Rheinland-Pfalz und das Saarland zuständig ist. Die SARS-Pandemie 2003 war dann auch die erste Feuerprobe für das KHPI und Grundlage für die Habilitation von Dr. Gottschalk im Jahr 2005. Im Jahr 2011 wurde er schließlich zum außerplanmäßigen Professor der Goethe-Universität ernannt.
Zusätzlich zu seinen Leitungsfunktionen im Amt war Gottschalk seit der Gründung 2003 Sprecher des Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für Erkrankungen durch hochpathogene Erreger (STAKOB) am Robert Koch-Institut, Berlin (RKI), das als nationales Beratungsgremium Erkenntnisse zu bestimmten Erregern/Infektionskrankheiten bewertet und Stellungnahmen abgibt. Er ist Berater der Bundesinformationsstelle für biologische Gefahren und spezielle Krankheitserreger (IBBS) am RKI und ständiges Mitglied des Collaborative Arrangement for the Prevention and Management of Public Health Events in Civil Aviation (CAPSCA). Zusätzlich ist er Mitglied des International Health Regulation (IHR) Roster of Experts der WHO. Seine Expertise und Forschungsinteressen konzentrieren sich auf hochpathogene Krankheitserreger, die Prävention und den Schutz vor Epi- und Pandemien, Fragen der öffentlichen Gesundheit und Bioterrorismus.
…Dr. Peter Tinnemann...
Dr. Peter Tinnemann wurde 1967 in Herne geboren. Er studierte Medizin in Köln und Hamburg, wurde 1997 approbiert und erwarb im gleichen Jahr ein Diplom in Tropenmedizin und medizinischer Parasitologie am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg. 1999 promovierte er an der Universität Hamburg.
Bereits während seiner Zeit als Arzt im Praktikum arbeitete er in einem Kinderkrankenhaus in Haiti. Danach ermöglichte ihm die Arbeit in unterschiedlichen internationalen Organisationen, u. a. Ärzte ohne Grenzen, mit vielen Auslandsaufenthalten umfangreiche Erfahrungen im Bereich Globale Gesundheit. Von 2004 bis 2007 war er für den nationalen Gesundheitsdienst in England tätig und erwarb in dieser Zeit einen Master of Studies in Public Health an der Universität Cambridge. Seit 2007 ist er leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Bereich Globale Gesundheitswissenschaften am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Ab 2010 arbeitete er in Teilzeit auch im öffentlichen Gesundheitsdienst in Berlin und Brandenburg. 2015 wurde er ärztlicher Referent an der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und erhielt 2016 die Facharztanerkennung Arzt für öffentliches Gesundheitswesen.
Dr. Tinnemann betont seine medizinisch-naturwissenschaftliche Prägung und die Notwendigkeit einer evidenz- und datenbasierten Herangehensweise an die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen. U. a. nennt er Klimawandel, Krisenmanagement, Pandemien sowie den sozialmedizinischen Umgang mit sozioökonomisch benachteiligten Gruppen. Als Bevölkerungsmediziner sieht er sich dem Interesse der Gesundheit der gesamten Bevölkerung verpflichtet, als Arzt im Öffentlichen Gesundheitsdienst sieht er die Öffentlichkeit als seinen Auftraggeber.
Tinnemann freut sich auf die Arbeit in dem „großartigsten Gesundheitsamt in Deutschland“ und auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrer vielfältigen Expertise. Hier will er den eingeschlagenen Weg der Verbindung von bevölkerungsmedizinischer Praxis mit (sozial-)medizinisch geprägter wissenschaftlicher Forschung und Lehre fortsetzen.
…das Gesundheitsamt Frankfurt am Main
In den vergangenen Monaten waren die Gesundheitsämter in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend auf Covid-19 reduziert. Dabei hat der Öffentliche Gesundheitsdienst sehr viel mehr interessante Aufgaben, die im Frankfurter Gesundheitsamt auf hohem Niveau wahrgenommen werden: amtsärztliche Untersuchungen, Bearbeitung von Leichenschauscheinen, AIDS-Beratung, Schuleingangsuntersuchungen, Kinder- und Sozialpsychiatrie, Mundhygiene bei Kindern, Hygieneüberwachung in medizinischen und Gemeinschaftseinrichtungen, Hygiene des Trink- und Badebeckenwassers, Meldewesen Infektionserfassung, Pandemieplanung etc. Nachfolgend ein Blick auf einige besondere Projekte des Amtes: Bereits 2001 wurde die Humanitäre Sprechstunde etabliert, die Menschen ohne Papiere hausärztlich versorgt. Hier und in der zusätzlich eingerichteten Humanitären Sprechstunde für Kinder werden mehrere hundert Menschen jährlich betreut. Durch die internationale Vernetzung der Humanitären Sprechstunde werden die Erfahrungen regelmäßig europaweit ausgetauscht.
Die kinderärztliche Abteilung war in jüngerer Zeit zusätzlich zu ihren Routineaufgaben intensiv gefordert mit der Untersuchung von bis zu 1770 unbegleiteten minderjährigen Ausländer im Jahr 2015. Bereits 2008 wurde in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt das Projekt Frühe Hilfen etabliert, um der Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern wirksam vorzubeugen. Präventive Hausbesuche der Familienhebammen und Kinderkrankenschwestern des Gesundheitsamtes unterstützen Familien in belastenden Lebenssituationen mit Kindern bis Ende des ersten Lebensjahres.
Im Bereich Psychiatrie wird für komplexe Gefahren- oder Schadenslagen eine kommunale Koordinierungsstelle Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) vorgehalten, die eng mit der Branddirektion und der Notfallseelsorge zusammenarbeitet. Zur Prävention von Suiziden wurde 2014 das interdisziplinäre Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention (FRANS) gegründet. Inzwischen sind dort mehr als 70 Organisationen zusammengeschlossen.
Die zahnmedizinische Abteilung kann weiterhin sehr gute Erfolge der Prophylaxeteams bei der Gruppenprophylaxe in Kindergärten und Schulen vorweisen.
Umweltmedizinische Herausforderungen wie zuletzt Raumluftqualität in Schulen, Fluglärm und Gesundheit, Auswirkungen der Hitzewellen sowie der Klimawandel wurden und werden weiterhin intensiv und wissenschaftlich bearbeitet.
Auch die Hygiene-Beratung und -Überwachung werden im Gesundheitsamt Frankfurt großgeschrieben – und die Erfahrungen in vielen Publikationen und umfangreichen Berichten weitergegeben. Das hier entwickelte partnerschaftliche Modell (Beratung vor Kontrolle; Kommunikation auf Augenhöhe) hat viele Nachahmer gefunden.
Das 2010 unter Federführung des Frankfurter Gesundheitsamtes gegründete MRE-Netz Rhein-Main hat sich zu einem der größten und aktivsten MRE-Netzwerke entwickelt, das zahlreiche Studien und Projekte durchführt.
Im Bereich der Abteilung Infektiologie waren neben den umfangreichen Aufgaben des Meldewesens nach Infektionsschutzgesetz SARS 2003, „Schweinegrippe“ 2009/2010, Ebola 2013 und jetzt die SARS-CoV-2-Pandemie besondere Herausforderungen.
Viele Berichte für die Stadt – zuletzt die beiden Berichte „Hygiene und Ausbruchsmanagement in der Corona-Pandemie“ (2021) – aber auch wissenschaftliche Publikationen und Dissertationen sind aus der Routinearbeit und den Projekten entstanden. Mitarbeiter des Amtes lehren an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen und wurden aufgrund ihrer Fachexpertise in Gremien und Kommissionen berufen, u. a. Deutscher Ethikrat, Kommission Human-Biomonitoring, Innenraumkommission, Trinkwasserkommission, Badewasserkommission, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) sowie STAKOB.
Ein „XXL-Amt“ (Zitat Tinnemann) in jeder Hinsicht.
Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, ehemalige Stellv. Leiterin, Gesundheitsamt Frankfurt