Runder Tisch der Landesärztekammer mit hessischen Gesundheitspolitikern

Welche Lehren ziehen die Parteien aus der Corona-Pandemie? Diese Frage des hessischen Ärztekammerpräsidenten Dr. med. Edgar Pinkowski stand am Beginn des Runden Tisches „Gesundheitspolitik quo vadis“, zu dem die Landesärztekammer Hessen online die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen im Hessischen Landtag sowie Journalistinnen und Journalisten am 1. Juni eingeladen hatte. Ziel war es, mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl am 26. September zu erfahren, wie sich die politischen Parteien die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Zukunft vorstellen und welche Weichenstellungen sie sich vorgenommen haben.

Neben dem Abbau der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung und Maßnahmen gegen den Pflegekräftemangel kündigte Dr. med. Ralf-Norbert Bartelt (CDU) die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes an. Auch müsse der Mangel an Pflegekräften behoben werden. Vor der Pandemie sei belächelt worden, wer von Pandemievorsorgeplänen gesprochen habe, hob Marcus Bocklet, Bündnis 90/Die Grünen, hervor. Da habe die ganze Gesellschaft „gepennt“: Eine Haltung, die sich, so Bocklet, jetzt geändert haben dürfte. Obwohl es auch in Hessen anfangs Schwierigkeiten bei der Pandemiebewältigung gegeben habe, stellte Pinkowski die ausgezeichnete Zusammenarbeit des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration, der Landesärztekammer Hessen, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Hessischen Krankenhausgesellschaft heraus.

„Es hat uns alle überrascht; wir hatten am Anfang zu wenig Informationen“, stellte Yanki Pürsün (FDP) fest und fügte hinzu, dass sich die Politik eigentlich für das von ihr verursachte Chaos entschuldigen müsse. Wichtig sei jetzt zu prüfen, wie das Corona-Infektionsrisiko für welche Bevölkerungsgruppe aussehe. Deutlich kritisierte Pürsün, dass einige Politiker alles so weiterführen wollten, wie bisher. Tatsächlich jedoch dürften die Bürgerrechte nicht weiter eingeschränkt werden.

Andere Strukturen schaffen

Im Wahlprogramm der Linken heiße es, die Corona-Krise habe allen vor Augen geführt, dass das Gesundheitssystem falsch organisiert sei. „Wie genau meinen Sie das?“, wollte Dr. med. Peter Zürner, Präsidiumsmitglied der LÄKH, von Christiane Böhm, Die Linke, wissen. Es müssten andere Strukturen geschaffen werden, damit die Beschäftigen gesund bis zur Rente arbeiten könnten, gab Böhm zur Antwort. Sie sprach sich für eine Stärkung der Pflege aus. Auch müsse das Gesundheitssystem sozialer gestaltet und seine Kommerzialisierung zurückgedreht werden.

Begrenzte finanzielle Mittel

Einig waren sich die Politikerinnen und Politiker bei der Beantwortung der Frage, warum Corona-Prämien an die Pflege und andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen, nicht aber an Ärztinnen und Ärzte gezahlt worden seien. So baten die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher um Verständnis dafür, dass nur die besonders schwere Tätigkeit der Pflege honoriert worden sei. Allen, die im Gesundheitswesen bei der Bewältigung der Corona-Krise mitgewirkt hätten, den Ärztinnen, Ärzten und dem Pflegepersonal gebühre großer Dank, unterstrich Bartelt (CDU). Aber die Pflegerinnen und Pfleger seien besonders belastet worden und würden zudem generell „nicht gerade üppig“ entlohnt. Aus diesen Gründen sei die Corona-Prämie schwerpunktmäßig dem Pflegepersonal zugedacht worden – „und das ist richtig so“.

Auch wenn Ärztinnen und Ärzte eine tolle Arbeit machten – die finanziellen Mittel seien begrenzt. Sonderzahlungen für alle Beschäftigen im Gesundheitswesen „würden jeden Haushalt sprengen“, erklärte Bocklet, Bündnis 90/Die Grünen. „Was mich stört ist, wie der Pflegebonus verteilt worden ist, denn längst nicht alle, die Covid-Patienten versorgt haben, haben diese Prämie erhalten“, kritisierte Dr. Daniela Sommer, SPD. Das sei nicht gut und habe auch in der Pflege selbst nicht zu mehr Wertschätzung geführt. Es bedürfe einer langfristigen Lösung, wie Gesundheitsberufe gut finanziert werden können, um dem Personalmangel im Gesundheitswesen entgegenzuwirken. Das gelte sowohl für die Ärztinnen und Ärzte als auch für die Pflegekräfte

Pro und contra Bürgerversicherung

Die Gesundheitsversorgung benötige in Hessen mehr Planung, betonte Böhm, Die Linke: „Wir brauchen ein Konzept, wo Krankenhäuser welcher Kategorie erforderlich sind, wo es intersektorale Gesundheitszentren braucht, die den Übergang vom stationären zum ambulanten Sektor darstellen, und wie die Versorgung in der Fläche stattfinden kann.“ Die gesundheitliche Versorgung müsse flächendeckend sein, dies gelte auch für die allgemeinmedizinische Versorgung und jene mit Kinderärztinnen und -ärzten.

Wie Böhm sprach sich auch Sommer, SPD, klar für die Einführung einer Bürgerversicherung aus. Gesundheit sei keine Ware; jeder solle den gleichen Zugang dazu haben, sagte Sommer. Auch wenn viele Ärzte dies bestritten, mache sie die Erfahrung, dass es eine Zwei-Klassenmedizin gebe. So erzielten manche Ärzte 50 Prozent ihres Umsatzes mit 20 Prozent der Privatversicherten. Sommer hielt eine gute, bedarfsgerechte Vergütung der Ärzte für wichtig, meinte jedoch, dass man sich die neue GOÄ nochmals unter dem Aspekt einer solidarisch gestalteten Gesundheitsversorgung ansehen müsse.

Während man „historisch“ unter Bürgerversicherung die Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung verstanden habe, gehe es heute um eine Verbreiterung der Einnahmen, stellte Bocklet, Bündnis 90/Die Grünen, fest. Nach der Vorstellung von Bündnis 90/Die Grünen solle es Regionalbudgets geben. Regional und lokal denken – darauf komme es künftig an. „Es ist eine der ganz großen Reformen, die vor uns stehen“, so Bocklet. Ziel sei die bestmögliche Versorgung von der Diagnostik bis zur Reha. Im Verbund solle Versorgung mit eigenem Regionalbudget nach den Bedürfnissen vor Ort gestaltet werden.

Dagegen sprach sich Pürsün, FDP, entschieden für eine Fortsetzung des Systems von gesetzlicher und privater Krankenversicherung aus und bezeichnete den Freien Beruf als das Fundament einer liberalen Gesundheitsversorgung. Die FDP lehne eine Bürgerversicherung ab: „Das ist eine zentrale Frage der Zukunft.“ Der Wettbewerb der Krankenkassen sei notwendig. Auch in dem Wahlprogramm von CDU/CSU heißt es zur Gesundheitsversorgung, man setze auf die bewährte Selbstverwaltung, die freie Arzt- und Therapiewahl sowie das Zusammenspiel von gesetzlichen und privaten Krankenversiche­rungen. Eine Einheitsversicherung lehnt die Union ab.

Zukunft der ambulanten und stationären Versorgung

Pürsün, FDP, bezeichnete die ambulanten Strukturen als wichtigen Baustein in der Versorgung, der erhalten und weiter ausgebaut werden müsse. „Ganz wichtig sind die niedergelassenen Ärzte“, betonte der FDP-Politiker. Der ambulante Sektor müsse gestärkt werden. Auch Bartelt, CDU, gab ein klares Bekenntnis zur Bedeutung der Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ab. Sie seien der Kernpunkt im Gesundheitswesen. Allerdings komme es auf eine gute Versorgung der Bevölkerung sowohl durch ambulant als auch stationär tätige Ärzte an.

Zugleich bemängelte der CDU-Politiker eine Mangelversorgung nicht nur in ländlichen Regionen, sondern teilweise auch in sozial schwächeren Vierteln in Großstädten. Alleine mit Förderprogrammen für die Niederlassung – insbesondere in Einzelpraxis – funktioniere die Versorgung in diesen Bereichen nicht. So müssten dort auch Versorgungszentren gefördert werden, was eine „gewünschte Zusammenarbeit“ mit Kliniken erfordere.

Welche Konsequenzen die von der SPD geplante neue Rollenverteilung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor für niedergelassene Vertragsärztinnen und -ärzte haben werde, wollte LÄKH-Vizepräsidentin Monika Buchalik von Sommer, SPD, wissen. Diese bekräftigte die Notwendigkeit, die Sektorenschranken abzubauen. Man brauche ein Case-Management, um den Patienten zu steuern, damit er in dem richtigen Versorgungsbereich ankomme. Erster Ansprechpartner bleibe allerdings weiterhin der Hausarzt.

Von Pinkowski auf die im Bundestagswahlprogramm der Grünen vorgesehene übergreifende Planung von ambulanten und stationären Angeboten angesprochen, beschwichtigte Bocklet, Bündnis 90/Die Grünen: Es kämen keine „DDR-Verhältnisse“ auf die Ärzte zu. Tatsächlich fehlten aber vor allem auf dem Land Ärztinnen und Ärzte, so dass eine „staatliche Lenkung“ notwendig werde. Dazu gehöre auch eine stärkere Delegation einfacher ärztlicher Aufgaben.

Es gebe zwar quasi keinen Ärztemangel, aber doch zu wenig Ärzte auf dem Land, vor allem Kinderärzte, kritisierte Claudia Papst-Dippel, AfD. Gerade bei dringenden Notfällen dauere es in ländlichen Gebieten oft stundenlang, bis ein Arzt komme. Dies müsse sich ändern. Als Heilpraktikerin werde sie oft gefragt, was man tun könne, um gesund zu bleiben. Sie sei eine Verfechterin von Vitamin D, gerade für Senioren, betonte Papst-Dippel und forderte häufigere Screenings.

Klinikplanung, DRG

Sommer, SPD, hob hervor, dass eine grundlegende Reform des Fallpauschalensystems (DRG) notwendig sei. Hier werde man sich mit der Ärzteschaft als den Expertinnen und Experten abstimmen. Auch Böhm, Die Linke, machte die DRG für viele Probleme im Gesundheitswesen verantwortlich.

Mit der Frage: „Halten Sie eine bundesweit abgestimmte Klinikplanung und länderübergreifende Kooperationen für notwendig?“, wandte sich Zürner an Bartelt, CDU. Der Staat solle sich so wenig wie möglich einmischen, lautete dessen Antwort. Es gebe eine Vielzahl von Trägern und das sei gut. Er sei ein großer Freund von Verbundstrukturen, so Bartelt.

Arztstellen im Krankenhaus

„Wie ist Ihre Position zum Abbau von Arztstellen im Krankenhaus?“ Wenn das Land Hessen einen Versorgungsauftrag an die Kreise und kreisfreien Städte (als KH-Träger) vergebe, erwarte es auch, dass dieser Auftrag erfüllt wird, erklärte Marcus Bocklet, Bündnis 90/Die Grünen, auf die Frage. Werde jedoch der Verdacht erweckt, Arztstellen würden so abgebaut, dass dem Versorgungsauftrag nicht mehr nachgekommen werden könne, müsse die Politik natürlich reagieren. Allerdings seien ihre Einflussmöglichkeiten beschränkt und ein Eingriff in das operative Geschäft von Krankenhäusern sei nur dann möglich, wenn der Versorgungsauftrag gefährdet sei oder ein Rechtsverstoß vorliege. Aber Bocklet versicherte: „Es gibt kein politisches Ziel, Ärztestellen abzubauen – ganz im Gegenteil.“

Auf die Frage nach ihrer Position zum Rückkauf des Universitätsklinikums Gießen/Marburg (UKGM) antwortete Sommer, SPD, dass die SPD von Anfang gegen die Privatisierung gewesen sei. „Hätte es eine Rückkaufoption gegeben, hätte die SPD den Rückkauf unterstützt.“

Kinderbetreuungsangebote

„Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Kinderbetreuungsangebote für das Krankenhauspersonal in Hessen auszubauen und damit den Fachkräftemangel im Gesundheitssystem zu bekämpfen?“ Hier müsse sich der Staat Gedanken machen, inwieweit er z. B. die Träger unterstützen könne, wenn diese eigene Kindertagesstätten betrieben oder entsprechende Kooperationsabkommen mit anderen KiTas vereinbaren wollten, erklärte Bartelt, CDU. Das Thema Betreuungsangebote sei „ganz bestimmt ein Thema, das wir weiter angehen werden und was auch die Aufgabe der neuen Bundesregierung sein wird.“

Allgemeinheit einbinden

Angesprochen auf die im Parteiprogramm der Linken erhobene Forderung, den Einfluss der Pharmakonzerne zu begrenzen, etwa indem „Forschungsprogramme zukünftig in einem transparenten und partizipativen Prozess entwickelt werden [sollen], der neben Expertenwissen die Allgemeinheit“ einbinde, erklärte Böhm, Die Linke, dass ihre Partei Wert auf eine unabhängige Forschung lege. Es dürfe nicht sein, dass sich private Pharmafirmen in der Forschung für lukrative Projekte engagierten und der Staat die notwendige, aber wenig gewinnträchtige Produktforschung übernehme.

Stärkung der Prävention

Übereinstimmend plädierten die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen im hessischen Landtag für eine Stärkung der Prävention. Gesundheit sei „unser höchstes Gut und Prävention daher ganz wichtig“, erklärte Sommer (SPD). Man brauche – Stichwort „Eigenverantwortung“ – den Menschen als „Gesundmacher“ in der Gesundheitsversorgung, sagte Pürsün (FDP). Die Pandemie habe deutlich gemacht, dass es in der Bevölkerung einen hohen Informationsbedarf zur Prävention gebe. Papst-Dippel, AfD, die für eigenverantwortliches Verhalten des Einzelnen plädierte, bezeichnete Gesundheitsförderung als „klare Durchschnittsaufgabe der Politik“ und Marcus Bocklet, Bündnis 90/Die Grüne, nannte Prävention „ein Schlüsselfeld in der Gesundheitspolitik“.

Katja Möhrle