Landespflegerat Hessen für Einführung einer Pflegekammer
Der Pflegeberuf ist durch die Corona-Pandemie verstärkt in den Fokus gerückt. Doch wie steht es um die Wahrnehmung der beruflich Pflegenden selbst? Über Interessen, Organisation und Struktur der Pflege in Hessen berichten die Vorsitzenden des Landespflegerats Martin Hußing und Kerstin Jährling-Roth.
Der Landespflegerat Hessen (LPR) ist ein Zusammenschluss von 11 Berufsorganisationen, um die Interessen der beruflich Pflegenden gegenüber der Landespolitik zu vertreten. Was sind Ihre Ziele?
Martin Hußing: Der LPR Hessen ist ein freiwilliger Zusammenschluss der Berufsverbände der Pflege. In anderen Bundesländern hat dieser teilweise entweder Vereinsstruktur oder es gibt eine Pflegekammer bzw. einen -ring, wie z.B. in Bayern. Das wird hier in Hessen politisch nicht unterstützt – das Thema Selbstverwaltung der Pflege. Unsere Hauptaufgabe ist es, der beruflichen Pflege eine Stimme zu geben und mit unseren Möglichkeiten dafür einzutreten. Dafür wäre eine feste Verankerung in den Entscheidungsprozessen im Land Hessen hilfreich. Doch das ist im Moment so gut wie gar nicht der Fall. Wir müssen darum kämpfen, gehört zu werden.
Martin Hußing ist Pflegedirektor am Krankenhaus Nordwest, 1. Vorsitzender des LPR Hessen und des Bundesverbands Pflegemanagement
Kerstin Jährling-Roth: Wir kämpfen schon lange darum, auf Augenhöhe mitzuwirken und an den Diskussionen beteiligt zu werden, die die Gesundheitsversorgung betreffen. Es ist schwierig, weil wir nur ehrenamtlich tätig sind. Unser Hauptziel ist die Selbstverwaltung, um kompetent mitwirken zu können. Systemrelevant heißt für uns auch, beim System mitwirken zu können – nicht nur unten, sondern auch oben. Wir als Landespflegerat sind zumindest in den Gesundheitskonferenzen vertreten. Doch da merken wir, dass wir im Unterschied z.B. Landesärztekammer, die Statistiken und viel Hintergrundrecherchen bringen, dazu gar nicht in der Lage sind. Uns fehlen die Möglichkeiten, um derartige Vorarbeiten leisten und somit die pflegerische Versorgung entsprechend darstellen zu können. Wir würden da gerne deutlich mehr Beitrag leisten.
Kerstin Jährling-Roth ist Abteilungsleiterin beim Caritasverband für den Bezirk Main-Taunus e. V. Fachbereich Gesundheitsdienste/Altenhilfe. Die diplomierte Sozialpädagogin und Pflegewirtin ist u. a. Stv. Vorsitzende des LPR Hessen und Vorstandsmitglied im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe Südwest e. V.
Wie ist die aktuelle Lage zum Thema Pflegekammer in Hessen?
Hußing: Wir hätten gerne eine Pflegekammer, aber wir sind politisch sehr weit entfernt davon.
Jährling-Roth: Es gab mal eine offizielle Umfrage dazu, die jedoch von der Politik äußerst unprofessionell durchgeführt wurde. Das Frageverfahren wurde innerhalb von nur drei Monaten einfach durchgezogen. Wir hatten keine Zeit, unsere Kolleginnen und Kollegen inhaltlich umfassend darüber zu informieren und vorzubereiten. Der Fragebogen wurde außerdem nicht von einem neutralen wissenschaftlichen Institut entwickelt, einfach auf den Stationen ausgelegt mit einem Zugangscode. Rein theoretisch konnte sich da Gott und die Welt einwählen und abstimmen. Eine unsägliche Vorgehensweise.
Hußing: Es wurden einfach 50.000 Fragebögen gedruckt und dann festgestellt, das ist zu wenig. Bestimmte Bereiche wie Dialysezentren wurden nicht angeschrieben. Es gab viele Beschwerden durch Kolleg*innen aus der Praxis, die keine Fragebögen erhalten hatten. Hessen ist in Bezug auf die Gesundheitsberichterstattung ein sehr rückständiges Land. Die Landesregierung weiß im Moment nicht, wie viele examinierte Pflegefachkräfte da sind. Es gibt auch kein Wissen über die Verteilung oder die Verweildauer im Beruf. Es gibt zwar den Hessischen Pflegemonitor, der alle Einrichtungen jährlich in Hessen befragt und wertvolle Hinweise zu gesundheitspolitischen Fragestellungen leistet. In Nordrhein-Westfalen gibt es aber seit langem eine Gesundheitsberichterstattung, mit aufbereiteten Kennzahlen, die der Politik entsprechend helfen, in diesen Bereichen steuernd einlenken zu können. Das gibt es in Hessen unseres Wissens nicht.
Was versprechen Sie sich von der Einführung einer Pflegekammer?
Hußing: Frau Jährling-Roth und ich, wir haben ja beide einen Fulltime-Job. Wir sind seit langem in unseren Berufen mit der Covid-Pandemie beschäftigt. Die Dinge für den LPR können da nur nebenher laufen. Unter diesen Bedingungen haben wir keine ausreichenden Kapazitäten, um auf Anfragen der Politik wissenschaftlich fundiert zu antworten. Wir erhalten Vorlagen mit recht kurzer Frist zur Stellungnahme. Das ist für uns organisatorisch so gut wie nicht machbar. Wir wollen kein großes Gebäude, aber es muss allen klar sein: Wenn man die Pflege tatsächlich einbinden möchte und diese Berufsgruppe als wichtig einstuft, dann muss man überlegen, wie sie sich auch adäquat an den Prozessen und Entscheidungen beteiligen kann. Wenn das rein im Ehrenamt bleibt, wird das nicht gelingen. Man kann natürlich darüber streiten, ob eine Pflegekammer Beiträge erhebt und wie groß diese tatsächlich sein sollen. Doch was z.B. die Pflegekammer in Rheinland-Pfalz in der Corona-Krise für die Landesregierung, Krankenhäuser und die Gesundheitsversorgung geleistet hat, mit welcher Professionalität dort Programme zur Schulung und Bewältigung aufgelegt wurden, davon können wir hier in Hessen nur träumen.
Sie möchten eine Mindeststruktur für die professionelle Selbstverwaltung und Interessensvertretung des Pflegeberufs?
Hußing: Eine Kammer analog der Ärztinnen und Ärzte mit Versorgungswerk etc. – das brauchen wir nicht. Eine Stelle, die koordiniert, die die Kommunikation zu den Ärzten, zu anderen Verbänden und zur Politik steuert, und wir benötigen pflegewissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Das muss das erste Ziel sein. Mit dem letzten politischen Wechsel im Gesundheitsministerium hatten wir uns eigentlich mehr versprochen, aber das hat sich leider nicht erfüllt. Weiterhin halten wir natürlich an dem Ziel fest, in Hessen eine Pflegekammer zu errichten.
Jährling-Roth: Man muss überlegen, wer verändert was an welcher Stelle. Aufgaben in der Gesundheitsversorgung lassen sich nicht einfach so verändern. Wir brauchen Personen in Positionen, die für die Weiterentwicklung der professionellen Pflegepraxis und die Beteiligung in der Gesundheitsversorgung die Weichen stellen. Viele gute Pflegepersonen gehen aus dem Beruf, weil sie mit den Strukturen unzufrieden sind, die auf Augenhöhe mit den Ärzten zusammenarbeiten möchten. Wir würden das gerne auf einer anderen Ebene mit den Ärzten besprechen, um zu einer gemeinsamen Zukunft zu kommen. Wir wollen niemanden etwas wegnehmen, sondern einen Beitrag als professionell Pflegende leisten, der auch den Ärzten in der Gesundheitsversorgung hilft.
Wie könnte die Zusammenarbeit von Pflege und Ärzteschaft aussehen?
Hußing: Nehmen wir als Beispiel das Thema Ärztemangel auf dem Land. Die Politik antwortet darauf mit Bonusprogrammen für Ärztinnen und Ärzte und finanziert dort Häuser etc. Ein aus unserer Sicht besserer Weg wäre, wenn Ärzte und Pflege miteinander darüber ins Gespräch kommen, wie wir eine effiziente Gesundheitsversorgung in besserer Zusammenarbeit gewährleisten können. Im internationalen Vergleich sieht man ja durchaus, dass das möglich ist.
Neben der medizinischen Diagnose und dem Therapieplan, geht es um den Gesundungs-, Anpassungs- oder Versorgungsprozess, bei dem die Pflege je nach Schwere der Erkrankung und/oder Pflegebedürftigkeit einen großen Beitrag leistet oder leisten könnte. Da sind andere Länder wesentlich weiter als Deutschland.
Jährling-Roth: Wir machen uns Sorgen, weil wir im europäischen Vergleich so hinterherhinken. Dabei geht es uns nicht nur um die Entlohnung. Die professionelle Fachpflege möchte als solche gesehen werden und auf Augenhöhe mitreden.
Bedeutet eine höhere Entlohnung nicht auch mehr Wertschätzung?
Hußing: Unsere Aufgabe ist es nicht, 4000€ Einstiegsgehalt zu fordern, das ist Aufgabe der Gewerkschaft. Uns geht es um die fachlichen Fragen und das muss man trennen. Ein höheres Einstiegsgehalt allein löst auch nicht die Probleme der Pflege. Die Arbeitsbedingungen müssen sich ändern.
Jährling-Roth: Wir wollen die Fachpflege einbringen und wir möchten damit eine Differenzierung voranbringen, denn unter dem Begriff Pflege wird alles subsumiert.
Interview: Maren Grikscheit
Der Landespflegerat Hessen (LPR)
Der Landespflegerat Hessen ist die Arbeitsgemeinschaft der Berufsverbände der Pflege und des Hebammenwesens. Er hat sich in den 1990er Jahren als Dachverband der Pflegeorganisationen (DPO) gegründet und mittlerweile gehören ihm 11 Verbände und Organisationen an:
- Arbeitsgemeinschaft Christlicher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen in Deutschland e.V.
- Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe e.V.
- Bundesverband Pflegemanagement e.V., Landesgruppe Hessen
- Hebammen, Landesverband der Hessischen Hebammen e.V.
- Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e.V.
- Bundesfachvereinigung Leitender Krankenpflegepersonen der Psychiatrie e.V.
- Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe, Regionalverband Südwest e.V.
- Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e.V.
- Deutscher Pflegeverband e.V.
- Verband der Schwesternschaften
- Verband der PflegedirektorInnen der Unikliniken
Damit repräsentiert der LPR den überwiegenden Teil der berufsverbandlich organisierten Pflegefachkräfte und Hebammen in Hessen.
Der LPR bzw. Vertreter der einzelnen Verbände sind in folgenden Gremien in Hessen vertreten:
- Landeskrankenhausausschuss (LKHA), mit beratender Stimme
- Fachbeirat Pflege
- Lenkungsausschuss der Geschäftsstelle Qualitätssicherung (§137, SGB V)
- Beirat des Hessischen Pflegemonitors
- Landespflegeausschuss (§92,SGB V)
- MD (§279 , SGB V)
- Seit 2019 auch in den Gesundheitskonferenzen Hessens
Nicht vertreten ist der LPR als Partner beim Hessischen Gesundheitspakt 3.0.
Der LPR tagt 6x im Jahr und bei Bedarf. Die Mitglieder erbringen ihre Tätigkeit ehrenamtlich.