Leserbrief zum Artikel „Zweiter Corona-Sommer – und dann?“ von Prof. Dr. med. Ursel Heudorf und Prof. Dr. Dr. med. René Gottschalk, HÄBL 07/08 2021, S. 432
Prognosen trotz ständig wechselnder Varianten-Lage?
Ihre Veröffentlichung des Artikels „Zweiter Corona-Sommer – und dann?“ stimmt mich nachdenklich. Da werden Erkenntnisse aus Zeiten der dominierenden Ursprungs- und Alpha-Variante, konkret bis zur 19. KW 2021, in fahrlässiger Weise zu der Aussage kumuliert, die Schulen, besser gesagt Kinder und Jugendliche, würden keinen Beitrag zum Infektions- und Krankheitsgeschehen leisten, weshalb nach den Sommerferien in Schulen keine besonderen Maßnahmen mehr nötig seien.
Dieser Artikel erscheint dann in der 26. KW 2021, in der die Delta-Variante mit 50 %-igem Anteil in Deutschland zur häufigsten aller Varianten geworden ist und von der aus dem gut durchgeimpften Schottland bereits bekannt ist, dass sie sich vornehmlich in Schulen verbreitet. Auf den darauf zurückzuführenden Massenausbruch unter Schulkindern auf Mallorca, der in einem anderen sozialen Umfeld stattfand, sei nur am Rande verwiesen.
Die Frage, inwieweit es bei ständig wechselnder Varianten-Lage im Sinne eines verantwortungsvollen Journalismus vertretbar ist, unter diesen Bedingungen sieben Wochen alte Erkenntnisse als Zukunftsprognose zu veröffentlichen, mögen Sie sich selbst beantworten.
Helge Hofmann, Arzt für Arbeitsmedizin im Ruhestand, Offenbach
Leserbriefe zu „Ihr seid doch mit gemeint!“ von Dr. med. Christine Hidas, HÄBL 05/2021, S. 278
Gendern: „Unerschöpfliche Fallgrube für unsere intellektuellen Ressourcen“
Zunächst möchte ich allen Frauen und Kolleginnen – und auch den beteiligten Männern und männlichen Kollegen –, die sich für Gleichberechtigung der Geschlechter eingesetzt haben und weiterhin einsetzen, danken, dass es sich für junge Frauen wie mich (ich bin Jahrgang 1986) heute selbstverständlich anfühlt, Abitur zu machen, zu studieren und mich im Arztberuf etablieren zu können.
Beiträge wie der von Frau Dr. Hidas und teils auch die abgedruckten Leserbriefe, die sich darauf bezogen, erzeugen in mir jedoch Sorge, wie viel Energie und vielfältige intellektuelle Ressourcen in Deutschland in der Versteifung auf ein sprachbezogenes und unerschöpfliches Kampffeld gebunden werden, das ursprünglich für die Sichtbarmachung der Frau in der Gesellschaft wieder eröffnet wurde. Denn Brinkmann hatte sich bereits 1962 für eine auf die Semantik konzentrierende Sprache losgelöst vom grammatikalischen Geschlecht stark gemacht. So diskutierte er sinngemäß, „der Arzt“ meine, auch wenn grammatikalisch die Form maskulin ist, eine Person in der Funktion, ärztliche Tätigkeit auszuüben, unabhängig vom biologischen Geschlecht (Brinkmann, 1962)*.
Mit dieser Interpretation der deutschen Sprache könnte sicherlich viel Unzufriedenheit und Ärger bei denjenigen vermieden werden, die täglich über „unzureichend gegenderte“ Sprache stolpern, sich dadurch angegriffen oder ausgegrenzt fühlen und mit viel Kraft für eine sprachliche „Sichtbarmachung“ der Frauen kämpfen. Wäre es dagegen nicht der viel größere emanzipatorische Schritt, sich selbstverständlich in der grammatikalisch maskulinen Bezeichnung einer Person, die lehrt oder studiert oder ärztlich tätig ist, als Frau zu finden und zukünftig in Texten nur sprachlich zu kennzeichnen, wenn explizit ein männlicher oder weiblicher Vertreter gemeint ist?
Darüber hinaus führt die in Perfektion betriebene Gendersprache meines Erachtens zur Ausgrenzung der Menschen, die sich nicht in den klassischen Geschlechtskategorien „männlich“ und „weiblich“ wiederfinden. In „Ärztinnen“ ist eben kein „d“ enthalten. Für „das Mädchen“ konnte ich übrigens noch keine Diskussion finden über den Wunsch, das grammatikalische Geschlecht abzuändern, obwohl ein Mädchen semantisch immer eine weibliche junge Person ist. Vielleicht scheint an dieser Stelle die Semantik wohl tiefer im Gedankengut verwurzelt, sodass hier kein Änderungswunsch besteht?
Gleichsam gibt es kein Bedürfnis, Giraffen, Katzen oder gar Pferde in die Gendersprache einzubeziehen, obwohl grammatikalisch feminin bzw. neutral und damit nach der Logik der männlichen und weiblichen Verfechter der Gendersprache nicht korrekt bezeichnet.
Um den Bezug zum Fokus menschlichen Handelns wieder herzustellen, ist auch die an vielen Stellen neu eingesetzte „Kraft“ („Reinigungskraft“, „Pflegekraft“) weiblich. Somit müsste der Logik folgend hier immer der Zusatz „männlich“ zugefügt werden, weil ja sonst keine männlichen Vertreter des Berufszweiges gemeint sein könnten? Ich sehe da eine unerschöpfliche Fallgrube für unsere intellektuellen Ressourcen.
Ich schließe mich Frau Dr. Hidas an, dass es schlampig ist, einen Brief an „Frau Oberarzt“ zu schreiben, da semantisch in diesem Kontext nur die weibliche Form gemeint sein kann und unsere Sprache mit dem Wort „Ärztin“ das Privileg einer extra Bezeichnung für weibliche Ärzte bereithält, das in gegebenem Kontext verwendet werden sollte. Und ich finde es auch wichtig, dass der historisch gewachsene Begriff der Kranken-„Schwester“ gemäß dem modernen Verständnis des Berufes umbenannt wurde, da ebenso wie bei „Mädchen“ die semantische Assoziation mit dem weiblichen Geschlecht bei „Schwester“ zu groß ist.
Trotzdem finde ich es absurd, wenn inhaltlich korrekte Aufsätze abgewertet werden, weil die Sprache nicht in ausreichendem Umfang „genderneutral“ gewählt wurde. Ich für meinen Teil werde nicht sitzen bleiben, wenn im Zug die Durchsage kommt: „Ist ein Arzt an Bord?“ Und ich fühle mich auch angesprochen als Adressat des Deutschen und Hessischen „Ärzteblattes“, denn ich empfinde mich natürlicherweise als gleichberechtigte „Person, die ärztlich tätig“ sein darf. Und dafür bin ich dankbar. Dieses Gefühl wünsche ich mir für meine Kolleginnen auch.
Dr. med. Eva Zieleniewicz, Frankfurt am Main
* Brinkmann, Henning (1962): Die deutsche Sprache – Gestalt und Leistung, Band 1, Düsseldorf.
„Wichtiger: Gleiche Bezahlung“
Haben wir im Zeitalter von Corona, Welthunger, Flutkatastrophen und Waldbränden nichts Wichtigeres zu tun, als über Gendergerechtigkeit zu diskutieren?
Es ist doch absurd, dass das Ärzteblatt Ärztinnen und Ärzteblatt heißen soll.
„Ärzteblatt˝ bedeutet doch, dass beide Geschlechter gemeint sind. Es verhunzt die Deutsche Sprache: * Innen.
Haben wir Frauen so wenig Selbstwertgefühl, dass es in der deutschen Sprache dokumentiert werden muss? Gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit sollte endlich klar sein bei Mann und Frau. Das wäre sehr wichtig.
Dr. med. Walburg Neubourg, Seeheim-Jugenheim