Ein beteiligter niedergelassener Arzt zieht Bilanz
Wie von Berlin verordnet, waren sie pünktlich zum 15. Dezember 2020 einsatzfähig. Am 19. Januar 2021 legten die ersten sechs hessischen Impfzentren los. Die anderen 22 folgten Anfang Februar. Am meisten los war Anfang Mai. Erst mangelte es an Nachschub, zum Schluss am Interesse. Und spätestens Ende September ist dieses Kapitel der größten Impfkampagne Deutschlands Geschichte. Ersten Schätzungen des hessischen Innenministeriums zufolge beliefen sich die Durchschnittskosten für den Aufbau und Betrieb der Zentren bei monatlich rund 1,8 Millionen Euro je Einrichtung. Die Hälfte davon übernimmt der Bund.
Die Regelversorgung übernehmen Niedergelassene & Betriebsärzte
Der Staat zieht sich zurück. Die Verantwortung für die Impfung der Bevölkerung tragen fortan wieder alleine die Haus- und Fachärzte, die betriebsärztlichen Dienste, nach Bedarf unterstützt von den örtlichen Gesundheitsämtern. Die Landesregierung hat zu diesem Zweck eine „Impfallianz“ ins Leben gerufen. Vereint sind darin die Landesärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung Hessen, der Landesverband der Hausärzte sowie Hessens Apothekenkammer und Apothekerverband.
War die Impfkampagne ein Erfolg? „Jein“, sagt Christian Sommerbrodt, Schatzmeister des Hausärzteverbandes Hessen. Im Großen und Ganzen sei sie gut gelaufen und vor allem die schnelle Impfung der Risikogruppen sei ein Verdienst der Impfzentren. Vor allem wenn, wie in seiner Heimatstadt Wiesbaden, die Niedergelassenen von Anfang an eingebunden waren. Wie er aus anderen Ecken Hessens weiß, war dieses Miteinander eher eine Ausnahme als eine Selbstverständlichkeit. Er selbst hatte sich aktiv am Aufbau des Impfzentrums im Rhein-Main-Congresscenter beteiligt. Verstand sich als Bindeglied zwischen dem Zentrum und den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Von Anfang an war ihm aber klar, dass die Ziele der Politik zu hoch gesteckt waren. „Eine hundertprozentige Impfquote der Gesamtbevölkerung ist illusorisch.“
Im Januar ging es darum, professionelle Strukturen zu schaffen, sagt Sommerbrodt rückblickend. „Eine spannende Phase“, in der man Ärztinnen und Ärzte aus den unterschiedlichsten Fachgebieten kennenlernte und mit der Stadt, der Feuerwehr und dem Katastrophenschutz eng zusammenarbeitete. „Da ist ein Spirit entstanden, ein Korpsgeist.“ Eine große Herausforderung – keine medizinische, sondern eine administrative. „Eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit.“
„Die Telefonleitungen in den Praxen sind einfach zusammengebrochen“: Christian Sommerbrodt, Schatzmeister des Hausärzteverbandes Hessen, zur Impfstrategie des Landes Hessen.
„Hausarztpraxen haben keinerlei Hilfen bekommen“
Nicht gut zu sprechen ist Sommerbrodt hingegen darauf, wie die Politik die Hausärztinnen und -ärzte behandelte: Die Impfzentren, sagt er, konnten sich peu à peu aufbauen – am Anfang war der Impfstoff ja knapp. Die Praxen hingegen mussten im April von null auf hundert starten. Keine Hotline, die bei starkem Andrang personell aufgestockt werden konnte, kein zusätzliches Personal, weil das Geld dafür fehlte. „Die Telefonleitungen in den Praxen sind einfach zusammengebrochen.“ Und auch keine zusätzliche Honorierung für den Aufwand, die Impfungen zusätzlich zur normalen Regelversorgung zu stemmen. Während die staatlichen Einrichtungen finanziell wie personell „luxuriös“ ausgestattet wurden, hätten die Hausarztpraxen keinerlei Hilfen bekommen. „Das Land hat sich reichhaltig an den niedergelassenen Strukturen bedient.“ Und habe damit Zerwürfnisse mit den Impfzentren billigend in Kauf genommen.
Davon abgesehen habe die Massenimpfung organisatorisch sehr gut funktioniert. Die letzten Ungeimpften, sagt er, sollten nun mit einer „großen Kampagne“ eingefangen werden. Da sieht der Facharzt für Allgemeinmedizin auf die Städte und Landkreise sowie auf die Hausärzte noch viel Arbeit zukommen, doch in Hessen sei man auf einem guten Weg. „Ich bin da sehr optimistisch.“
Jutta Rippegather