Innovative Impfstoffherstellung in Marburg
1527 gründete Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen in Marburg die erste protestantische Universität der Welt. Noch heute ist die nach ihm benannte Philipps-Universität lebendiger Mittelpunkt der Stadt, von der bahnbrechende medizinische Innovationen ausgegangen sind. 1901 erhielt Emil von Behring1, der 1895 auf den Lehrstuhl für Hygiene der Marburger Universität berufen worden war, den ersten Nobelpreis für Medizin „für seine Arbeit an der Serumtherapie, insbesondere zur Anwendung gegen die Diphtherie, mit der er der Medizin neue Wege eröffnet und dem Arzt eine siegreiche Waffe gegen Krankheit und Tod in die Hand gegeben hat“.
Retter der Kinder und Soldaten
In der Presse wurde der Arzt, Immunologe und Serologe Behring (15. März 1854–31. März 1917) für seine Entwicklung einer Serumtherapie gegen Diphtherie als „Retter der Kinder“ und – da das Tetanusheilserum insbesondere den Verwundeten des Ersten Weltkriegs zugutekam – als „Retter der Soldaten“ gepriesen. Nun soll wieder Rettung aus Marburg nahen: Am Standort Behringwerke will das Mainzer Biotechnologieunternehmen Biontech seinen Corona-Impfstoff produzieren. Dafür hat Biontech im September 2020 eine Produktionsanlage des Schweizer Pharmaunternehmens Novartis innerhalb des Werksgeländes von Pharmaserv in Marburg übernommen und umgebaut.
Hoffnung für Corona-Impfungen
Im Februar hat das Mainzer Unternehmen zunächst damit begonnen, hier den mRNA-Wirkstoff herzustellen. Eine Produktion, mit der sich die große Hoffnung verbindet, dass der schleppende Auftakt der Corona-Impfungen in Deutschland an Fahrt aufnimmt. Im ersten Halbjahr 2021 sollen in Marburg 250 Millionen Dosen des Impfstoffes von Biontech und seines US-Partners Pfizer hergestellt werden. Als Gesamtmenge einer Jahresproduktion streben die Mainzer nach eigenen Angaben hier 750 Millionen Dosen an.
Die Produktionsstätten des neuartigen Impfstoffs befinden sich auf historischem Gelände: Hier waren die ehemaligen Behringwerke zu Hause.
1904 gründete von Behring das Behring-Werk in Marbach bei Marburg. Fünfzehn Jahre zuvor war ihm mit der Veröffentlichung „Ueber das Zustandekommen der Diphtherie-Immunität und der Tetanus-Immunität bei Thieren“ in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift der wissenschaftliche Durchbruch gelungen. Zusammen mit seinem japanischen Kollegen Shibasaburo Kitasato (1852–1931) hatte Behring am Hygienischen Institut in Berlin, wo er damals als Assistent Robert Kochs tätig war, nachgewiesen, dass es möglich war, „Bakterientoxine“ durch „Antitoxine“ zu neutralisieren.
Blutlieferanten aus dem Pferdestall
Behring zeigte, dass die antitoxische Eigenschaft des Blutes nicht von den darin enthaltenen Zellen, sondern vom zellfreien Blutserum ausgeht. Bei den „Antitoxinen“, heute Immunglobuline genannt, handelt es sich um Antikörper, die aus dem Serum von Genesenden oder Labortieren gewonnen und erkrankten Menschen appliziert werden. In Berlin wurden Hunde, Schafe und Pferde immunisiert, die Behring als Blutlieferanten in improvisierten Ställen unterbrachte.
Schon 1892 erkannte ein Vorstandsmitglied der Farbwerke Hoechst die Bedeutung von Behrings Ideen und konnte den Wissenschaftler für eine Zusammenarbeit gewinnen. Kurz darauf startete die Serumproduktion in Frankfurt-Höchst; moderne Labore und Stallungen für zunächst 57 Pferde entstanden. Ab 1894 wurde „Behring’s Diphtherie-Heilmittel“ weltweit verkauft. Ein Jahr später richtete Behring, mittlerweile Ordinarius für Hygiene an der Marburger Universität, auf dem Schlossberg in Marburg ein Privatlaboratorium ein.
Grundstock für die Behringwerke
In dem Wissenschaftler begann der Gedanke an ein eigenes Unternehmen zu reifen. Als Startkapital das Preisgeld nutzend, das er für den Nobelpreis erhalten hatte, erwarb er 1904 einen Gutshof am Schlosspark, eine Ziegelei und weitere Ländereien, die gemeinsam mit dem Labor den Grundstock für das Behringwerk bildeten. Die Standortwahl im Marburger Stadtteil Marbach ging unter anderem darauf zurück, dass sich in der Tallage Pferde – die Produzenten des Blutserums – gut halten ließen.
Am 7. November 1904 wurde das neue Unternehmen als „Behringwerke oHG“ ins Handelsregister eingetragen und nahm seinen Betrieb mit anfänglich zehn Mitarbeitern auf. 1914 wurde das Behringwerk in die Behringwerke Gesellschaft mbH umgewandelt. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges weitete man die Produktion stark aus. Neben dem Tetanusheilserum wurden Dysenterie- und Gasbrandserum sowie Choleraimpfstoff hergestellt. Nach Behrings Tod 1917 zeichnete sein Teilhaber, der Apotheker Carl Siebert, auch für die wissenschaftliche Arbeit verantwortlich.
Biotechnologie und Pharmaproduktion
Seit den Gründertagen entwickelte und wandelte sich das Unternehmen stetig. Ab 1942 zur I.G. Farbenindustrie gehörend, wurden die Behringwerke nach deren Auflösung 1952 Teil der Hoechst AG. 1967 kam es zum Ausbruch eines neuartigen Virus in den Laboren, das nach der Stadt Marburg-Virus genannt wurde. Für die Impfstoffproduktion eingeführte Meerkatzen aus Uganda hatten das Virus in die mittelhessische Stadt gebracht.
Inzwischen ist der Pharmastandort Behringwerke Marburg ein Biotech-Center mit innovativen Pharma-Unternehmen. Eines von ihnen ist die Biontech-Manufacturing Marburg GmbH.
Katja Möhrle
1 Lesen Sie zu Emil von Behring auch im HÄBL 05/2017, S. 294 den Beitrag von Dr. phil. Ulrike Enke.