Prof. Dr. med. Sandra Ciesek gegen zu schnelle Lockerungen
Nach wie vor hat die Pandemie Deutschland im Griff. Der Lockdown ist bis zum 7. März verlängert worden. Halten Sie ein baldiges Ende der strengen Maßnahmen für realistisch?
Prof. Dr. med. Sandra Ciesek: Es ist sehr ermutigend, dass die eingeleiteten Maßnahmen Erfolge zeigen und die Fallzahlen zurückgehen. Natürlich wünscht man sich da jetzt Lockerungen – allerdings darf das auf keinen Fall zu rasch erfolgen, um den Erfolg nicht zu gefährden. Sonst würde der nächste Anstieg drohen.
Daten einer Studie aus Oxford haben ergeben, dass die neue Corona-Variante B.1.1.7 aus Großbritannien bis zu 35 Prozent infektiöser ist als der ursprüngliche Typ des Virus. Neben der britischen Variante sind in Hessen bereits die in Südafrika und Brasilien entdeckten Corona-Mutanten festgestellt worden. Ist die Sorge berechtigt, dass wir die Pandemie nicht mehr unter Kontrolle bringen, wenn sich die Mutationen ausbreiten?
Ciesek: Auch die neuen Varianten kann man unter Kontrolle bringen. Etwa in Großbritannien waren die Fallzahlen zuletzt deutlich rückläufig. Dass die neuen Varianten auch in Deutschland immer häufiger gefunden werden, ist aber auf jeden Fall ein weiterer Grund, nicht zu rasch Lockerungen durchzusetzen, die dann einen erneuten, rasanten Anstieg begünstigen könnten, bevor ein großer Teil der Risikopatienten durch eine Impfung geschützt werden konnte.
Wird inzwischen bei Corona-Tests gezielt sequenziert, um die Mutanten festzustellen? Oder wird nach der Einreise aus bestimmten Ländern oder aufgrund besonderer Symptome eine Analyse der Sequenz vorgenommen?
Ciesek: Es wird sowohl anlassbezogen nach Mutationen geschaut, etwa nach einer Reise aus Gebieten, in denen bestimmte Varianten sehr häufig vorkommen, oder bei Ausbrüchen. Es wird aber auch ungezielt ein gewisser Anteil aller auf SARS-CoV-2 untersuchten Proben auf neue Varianten untersucht oder komplett sequenziert.
Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Ausbreitung der Coronavirus-Varianten zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen?
Ciesek: An erster Stelle steht, dass die ohnehin schon bekannten Maßnahmen weiterhin so konsequent wie möglich angewendet werden. Besorgniserregende Varianten, die bei uns bisher hauptsächlich über Reisende eingeführt wurden, müssen konsequent an der Verbreitung gehindert werden. Dazu kann dann zählen, dass Reisende aus bestimmten Ländern bei der Einreise einen negativen Test vorweisen und sich zunächst in Quarantäne begeben müssen.
Sie haben am 6.11.2020 die Ergebnisse der SAFE KiDS-Studie veröffentlicht. Welche Rolle spielen Kinder, die nach aktuellen Informationen besonders empfänglich für die Corona-Variante B.1.1.7 sein sollen, bei der Verbreitung des Virus?
Ciesek: Zunächst mal sehe ich bei B.1.1.7 keine besondere Empfänglichkeit bei Kindern, sondern eine höhere Ansteckungsgefahr, die von allen Altersgruppen ausgeht. In der SAFE KiDS-Studie konnten wir zeigen, dass in hessischen KiTas im Sommer das Virus sehr selten gefunden werden konnte, hier war aber auch die gesamte Inzidenz sehr niedrig. Wie die Situation nun im Winter aussieht und ob dabei die neuen Varianten eine Rolle spielen, das untersuchen wir gerade in einer zweiten Phase dieser Studie.
Corona-Impfungen gelten als Weg aus der Krise. Doch der Start der Impfungen verläuft schleppend. Wirken die bekannten Impfstoffe – von Biontech, Moderna und Astra-Zeneca – auch gegen die Mutationen?
Ciesek: Einige Untersuchungen zur Wirksamkeit der Impfung bei neuen Mutationen laufen noch, und wir erwarten in den nächsten Monaten hierzu weitere Erkenntnisse. Bisher gab es Hinweise, dass bei der neuen Variante B.1.1.7 die mRNA-Impfstoffe, die in Deutschland bereits zugelassen sind, ebenso wirksam sind wie bei dem hier vorherrschenden „Wildtyp“. Glücklicherweise können die bisher in der EU zugelassenen Impfstoffe an neue Varianten angepasst werden.
Bei der Antikörpertherapie sollen Antikörper aus dem Blut genesener Corona-Patienten Kranken helfen. Für wen eignet sich diese Therapie?
Ciesek: Antikörper sind zur Therapie schlecht geeignet, wenn die Infektion bereits fortgeschritten ist und schwere Symptome vorliegen. Wirksam sind sie vor allem, wenn man eine Therapie sehr früh beginnt – also direkt nach Beginn der ersten Symptome oder sogar vorher. Hierbei müssen die Antikörper im Blutplasma der Spender, die eine Infektion bereits durchgemacht haben, aber gut charakterisiert werden. Man sollte schauen, wie viele spezifische Antikörper gegen SARS-CoV-2 vorliegen und vielleicht sogar, ob z. B. keine Autoantikörper gegen Interferone vorliegen. Alternativ kann man aber auch auf sogenannte „monoklonale Antikörper“-Produkte zurückgreifen, zu denen es zuletzt vielversprechende Daten gab.
Welche Voraussetzungen müssen aus Ihrer Sicht für mögliche Lockerungen der Corona-Regeln erfüllt sein? Können Antigen-Tests auch für den privaten Gebrauch einen Beitrag dazu leisten?
Ciesek: Das Auftreten der neuen Varianten macht den Pandemieverlauf in den kommenden Monaten noch schlechter vorhersehbar, als er ohnehin schon ist. Lockerungen in dem aktuellen sehr erfreulichen Abwärtstrend der Fallzahlen könnten auch schnell in einen weiteren schnellen Anstieg führen. Die grundlegenden Maßnahmen werden uns somit noch weiter begleiten, bis wir es schaffen, einen großen Anteil der Bevölkerung durch eine Impfung zu schützen.
Interview: Katja Möhrle
Stand: 17.02.2021
Prof. Dr. med. Sandra Ciesek ist Fachärztin für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie sowie Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie und MHBA. Sie ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität. Zu ihren Schwerpunkten gehören neue Therapieformen für Hepatitis C und die Suche nach Medikamenten gegen Covid-19.
Im Wechsel mit Prof. Dr. med. Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, steht Ciesek im bundesweit bekannten Podcast des NDR zur Covid-19-Pandemie Rede und Antwort. Der Podcast kann unter www.ndr.de, Stichwort „Coronavirus-Update“ abonniert werden. Zusätzlich gibt es dort die Manuskripte auch zum Download.