Hintergrund

In gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen (SHG) schließen sich Menschen mit unterschiedlichen psychischen oder körperlichen Erkrankungen zusammen, um sich wechselseitig zu unterstützen und sich über krankheitsbezogene Informationen auszutauschen. Nach einer Definition der Spitzenverbände der Krankenkassen sind SHG freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen auf örtlicher oder regionaler Ebene mit dem Ziel, sich gegenseitig in der Bewältigung einer Erkrankung oder psychischen Belastungssituation, von denen sie entweder selbst oder als Angehörige betroffen sind, zu unterstützen [1]. SHG werden somit nicht von Professionellen (z. B. Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten) geleitet, können aber bei Bedarf Experten zu bestimmten Fragestellungen zu Rate ziehen. Daher gilt die Selbsthilfe-Unterstützung als ein Modell der gegenseitigen Hilfe auf der Grundlage gemeinsamer Erfahrungen [2].

Die geteilte persönliche Erfahrung bietet Wissen und Informationsaustausch, soziale Interaktion, emotionale Unterstützung oder praktische Hilfe sowie Ermutigung zur Überwindung der Krankheit [3, 4]. Selbsthilfe-Unterstützung kann dabei persönlich in Präsenz, online oder per Telefon erfolgen [5].

Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe verfolgt neben dem Ziel der psychosozialen Unterstützung der Einzelnen in der Bewältigung der Krankheit und ihrer Folgen auch das Ziel der gesundheitspolitischen Einflussnahme. Im Kontext gesundheitsbezogener Selbsthilfe lassen sich die individuelle und gemeinschaftliche Selbsthilfe unterscheiden. Die individuelle Selbsthilfe umfasst sowohl individuelle als auch gemeinschaftliche Handlungsformen innerhalb natürlicher sozialer Gebilde (z. B. Familie), die auf Erfahrungswissen und eigenen Ressourcen im Umgang mit der Erkrankung und deren Folgeproblemen beruhen. Eine Vielzahl von Konzepten wie Patient*innenkompetenz1, Gesundheitskompetenz, Empowerment, Selbstwirksamkeit oder Krankheitsbewältigung (englisch „coping“) lassen sich der individuellen Selbsthilfe zuordnen. Gemeinschaftliche Selbsthilfe umfasst individuelle und gemeinschaftliche Handlungsformen im Rahmen von eigens zu diesem Zweck geschaffenen sozialen Strukturen (z. B. SHG, Selbsthilfeorganisationen oder -verbände), deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten und/oder psychischen Problemen richten und darüber hinaus auch gesundheitspolitische Ziele verfolgen [6].

Die Aufgaben der Krebs-Selbsthilfe in Deutschland sind vielfältig und lassen sich über die Besonderheiten und Schwerpunktsetzungen einzelner Gruppen und Verbände hinweg wie folgt zusammen-fassen:

  • Psychosoziale Unterstützung von Betroffenen und Angehörigen.
  • Vermittlung von Information und Wissen über die Erkrankung und deren Behandlung durch persönliche Erfahrung und über verschiedene Medien.
  • Vertretung der Interessen von Krebserkrankten in sozial- und gesundheits-politischen Gremien.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in unserem Gesundheits- oder Sozialsystem liegt es nahe, dass das Thema Selbsthilfe in den vergangenen beiden Jahrzehnten immer wieder auch Gegenstand von Forschungsaktivitäten war und ist.

Die Forschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe stellt hierbei ein breit gefächertes Aufgabengebiet dar, das sich jedoch sowohl international als auch insbesondere für den deutschsprachigen Raum erst in den Anfängen befindet. Sieht man einmal von den Fragen der Grundlagen der Selbsthilfe ab, lässt sich die Erforschung der Selbsthilfe im Wesentlichen im Bereich der Versorgungs- und Evaluationsforschung verorten. Aufgabe der 2017 eingerichteten Stiftungsprofessur für Selbsthilfeforschung am Universitätsklinikum Freiburg (gefördert durch die Deutsche Krebshilfe) ist es, die verschiedenen Aspekte der individuellen und gemeinschaftlichen Selbsthilfe wissenschaftlich zu untersuchen und hierbei sowohl die Prozesscharakteristika als auch die Wirksamkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Der Schwerpunkt der Stiftungsprofessur liegt im Themenbereich Patient*innenkompetenz und Krebs-Selbsthilfe.

Im Folgenden werden ausgewählte Bereiche der Selbsthilfeforschung im Schwerpunkt Onkologie überblicksartig vorgestellt.

Struktur und Bedarf

In Deutschland hat die organisierte Selbsthilfe, insgesamt gesehen, an Akzeptanz gewonnen und gilt heute als wichtiger Teil psychosozialer Unterstützung von Krebsbetroffenen in Ergänzung des professionellen Versorgungssystems. Angesichts dieser wachsenden Bedeutung und Professionalisierung entstehen für die Selbsthilfe und ihre unterschiedlichen Organisationsformen neue Chancen, aber auch Herausforderungen. Die Erforschung der Strukturen der organisierten Selbsthilfe und von Fragen des Bedarfs wird von vielen Fachvertreterinnen und -vertretern sowie von den Betroffenenverbänden als notwendig angesehen – auch um Herausforderungen besser begegnen zu können. Damit neue zielgruppenspezifische Angebote der organisierten Selbsthilfe entwickelt werden können, ist es zudem erforderlich, sich mit den Bedürfnissen der Betroffenen auseinanderzusetzen.

Eine in jüngerer Zeit durchgeführte Struktur- und Bedarfsanalyse zur gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Deutschland befasst sich mit der Entwicklung, der aktuellen Situation sowie den Perspektiven der Selbsthilfe [7]. Dabei zeigt sich unter anderem, dass Selbsthilfe bei Betroffenen und deren Angehörigen zu Entlastungen führt und insgesamt die Informiertheit der Bevölkerung über Erkrankungen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten erhöht. Gleichzeitig ist die Selbsthilfe jedoch auch mit steigenden Herausforderungen konfrontiert und künftig auf nachhaltige finanzielle und politische Unterstützung angewiesen. In der Studie wurden aus dem Bereich onkologischer Erkrankungen Prostatakrebspatienten als eine von fünf befragten Untersuchungsgruppen ausgewählt. Einen stärkeren Fokus auf Krebsbetroffene legt das aktuell laufende Projekt „Gesundheitskompetenz, Selbsthilfeaktivitäten und Versorgungserfahrung von Menschen mit Krebs“ von Kofahl et al. [8]. Die Studie untersucht, wie Selbsthilfeaktivitäten und andere Unterstützungsmöglichkeiten die Gesundheitskompetenz und Krankheitsbewältigung von Betroffenen stärken können. Da das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, steht eine Publikation der Ergebnisse noch aus. An der Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung wird der Frage nachgegangen, wie die Patient*innenkompetenz von Krebspatientinnen und -patienten sowie Überlebenden gestärkt und Unterstützungsangebote der organisierten Selbsthilfe (weiter-)entwickelt werden können. Hierfür werden im Rahmen des aktuell laufenden Forschungsprojekts „Krebs-Selbsthilfe & Patient*innenkompetenz: eKSPlore“ die Strukturen der Selbsthilfe untersucht sowie der Unterstützungsbedarf und die Herausforderungen an die individuelle und gemeinschaftliche Patient*innenkompetenz ermittelt. Darüber hinaus sollen Themen identifiziert werden, die für die zukünftige Entwicklung der Krebs-Selbsthilfe bedeutsam sind. Zielgruppen der Studie sind die Vertreterinnen und Vertreter von Selbsthilfeorganisationen auf den verschiedenen Ebenen der Bundes- oder Landesorganisation sowie auf Gruppenebene. Ebenso werden Krebsbetroffene, die nicht in der Selbsthilfe aktiv sind, in die Untersuchung einbezogen. Die Durchführung der quantitativen Erhebung wird voraussichtlich jetzt, Anfang 2021, beginnen.

Wirksamkeit der Unterstützung durch Gleichbetroffene

Studien zur Überprüfung der Effektivität verschiedener Angebote der Krebs-Selbsthilfe sind selten und konzentrieren sich weitestgehend auf die Identifikation von möglichen Wirkfaktoren oder auf die gezielte Überprüfung der durch Selbsthilfe erreichten Veränderungen, z. B. im Bereich des Wissensstandes, der gesundheitsbezogenen Lebensqualität oder der psychischen Gesundheit der Teilnehmenden. Kontrolliert randomisierte Studien zur Überprüfung der Effektivität von Selbsthilfeaktivitäten sind dabei selten; es finden sich überwiegend retrospektive Vergleichs- oder Beobachtungsstudien. So konnten nicht-randomisierte Vergleichsstudien an Patientinnen mit Brustkrebs zeigen, dass Teilnehmende von SHG, einschließlich Online-Gruppen, verringerte Angst- und Depressionswerte, höhere Lebensqualität sowie ein größeres krankheitsspezifisches Wissen im Vergleich zu Nicht-Teilnehmenden aufweisen [9–11].

Weiterhin konnten Befragungen an Patienten mit Prostatakrebs zeigen, dass Mitglieder von SHG im Vergleich zu Nicht-Mitgliedern mehr über Patientenrechte und über die Erkrankung allgemein wissen. Dieses Wissen war unabhängig von Schulbildung und Alter der Patienten oder der Schwere der Erkrankung [12].

Eine Form der Selbsthilfe, die in ersten Studien als effektiv nachgewiesen wurde, ist die Einzelberatung und -begleitung von akut Erkrankten durch Gleichbetroffene. Insgesamt zeigt sich bei der Evaluation solcher Programme eine hohe Zufriedenheit auf Seiten der akut Erkrankten und der gleichbetroffenen Begleiterinnen und Begleiter (z. B. [13]). Die eigene Betroffenheit der Begleitenden wird dabei von Patienten in akuter Krankheitssituation als sehr wichtig bewertet und scheint daher ein wichtiger Wirkfaktor zu sein [14].

In Deutschland werden bundesweit derartige Programme und Besuchsdienste mit dem Ziel der Begleitung und Unterstützung von akut Betroffenen durch ehemals an Krebs Erkrankte von Selbsthilfeverbänden angeboten, aber bisher nur selten wissenschaftlich evaluiert. Im Rahmen laufender Forschungsprojekte werden derzeit Programme wie beispielsweise die isPO-Onkolotsen [15] oder Peer2Me [16], ein Peer Mentoring für junge Erwachsene mit Krebs, implementiert und wissenschaftlich evaluiert.

Auch an der Stiftungsprofessur für Selbsthilfeforschung wird aktuell in dem Forschungsprojekt ExPEERtise der Frage nachgegangen, inwieweit eine Einzelberatung durch geschulte ehemalige Krebspatienten zur Unterstützung und Stärkung der Patient*innenkompetenz von Gleichbetroffenen beitragen kann.

Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung, modellhafte Erprobung in einer Region und wissenschaftliche Evaluation eines Schulungsprogramms für ehemals Erkrankte (sogenannte Selbsthilfe-Coaches) zur Einzelberatung und psychosozialen Unterstützung von Gleichbetroffenen. Dieses Programm versteht sich als selbsthilfebasiertes Angebot in Ergänzung bestehender professioneller psychoonkologischer Angebote.

Digitale Selbsthilfe-Angebote

In den vergangenen Jahren haben auch digitale Selbsthilfe-Angebote zunehmend an Bedeutung gewonnen [17, 18]. Das Spektrum reicht dabei von digitalen Informationsmöglichkeiten z. B. auf der Website eines Selbsthilfeverbandes bis zu interaktiven Kommunikationsformaten (Live Chats, Diskussionsforen, Mailinglisten, Social-Media-Profilseiten etc.), die einen gegenseitigen Austausch zwischen Menschen mit ähnlichem Unterstützungsbedürfnis ermöglichen [19]. Betroffene können dabei zeit- und ortsunabhängig miteinander kommunizieren. Insbesondere wenn Gruppentreffen – wie etwa im Rahmen der Covid-19-Pandemie – nicht in gewohnter Form stattfinden können, bieten digitale Formate Mittel und Wege für persönlichen Austausch trotz räumlicher Distanz. Im Rahmen einer kürzlich abgeschlossenen bundesweiten Befragung wurden die Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung in der gesundheitlichen Selbsthilfe untersucht [20]. In der Befragung wurden insgesamt 119 Selbsthilfeorganisationen aus dem Gesundheitsbereich berücksichtigt, davon 15 aus dem Bereich Krebs-Selbsthilfe. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Selbsthilfeorganisationen bereits vielfache Erfahrungen mit digitalen Medien bzw. Tools gesammelt haben und einzelnen Tools von der Mehrheit der Anwender ein hoher oder sehr hoher Nutzen bescheinigt wird.

Neben dem Nutzen wird von Problemen wie etwa fehlenden Ressourcen oder Fragen des Datenschutzes berichtet. Bisherige Forschung im Zusammenhang mit digitalen Angeboten im Bereich Krebs-Selbsthilfe konzentriert sich einerseits auf die Identifikation von Wirk- und Prozessfaktoren oder Fragen der Akzeptanz, andererseits aber auch auf die Effektivität in Bezug auf verschiedene Ergebniskriterien. Ein aktuelles Review zu Online-Selbsthilfe für Patienten mit Prostatakrebs zeigt, dass in virtuellen SHG der Informationsaustausch sowie das Teilen emotionaler Inhalte und gegenseitige Unterstützung eine wichtige Rolle spielen und die Teilnahme an derartigen Gruppen für Therapieentscheidungen sowie für das soziale Umfeld der Patienten bedeutsam ist [21]. Nutzerinnen und Nutzer digitaler Formate müssen sich nicht aktiv beteiligen, sondern können beispielsweise in Online-Foren anonym Beiträge verfassen oder lesen, ohne sich selbst als Betroffene zu offenbaren [22]. Eine Studie, in der der subjektive Nutzen von Foren u. a. in Abhängigkeit der aktiven Beteiligung untersucht wurde, ergab jedoch, dass sich aktiv einbringende Anwender einen höheren subjektiven Nutzen aus den Angeboten ziehen als passive Beobachter [23].

Ähnliche Ergebnisse zeigte auch eine Längsschnittstudie, in der das Kommunikationsverhalten innerhalb von Online-Selbsthilfegruppen (OSG) untersucht wurde: Eine aktive Auseinandersetzung der Patienten mit Emotionen und Gedanken korreliert hier positiv mit psychischem Wohlbefinden, während das Vermeiden von krankheitsbezogenen Gedanken oder geringerem emotionalen Ausdruck negativ korreliert ist [24]. Im Rahmen eines Reviews zur Wirkung von OSG konnten in Studien keine Belege dafür gefunden werden, dass die Teilnahme an einer OSG im Vergleich zu einer Kontrollgruppe sich positiv auf Depressivität, Lebensqualität oder Angstwerte auswirkt [9].

Auch die Machbarkeitsprüfung einer nicht moderierten OSG bei Frauen mit Brustkrebs zeigte keine signifikanten Veränderungen bezüglich Distress oder Lebensqualität nach vier Monaten im Vergleich zur Kontrollgruppe [25]. Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass die Moderation bei Online-Angeboten eine wichtige Bedeutung für den Erfolg haben kann. Insgesamt verfügen wir derzeit noch über zu wenig wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu den Prozessen und Effekten von Online-Angeboten in der Krebs-Selbsthilfe.

Ausblick

Wie der Überblick gezeigt hat, konzentriert sich die Erforschung der krankheitsbezogenen Selbsthilfe im Bereich der Onkologie auf verschiedene Inhaltsbereiche und befindet sich, insgesamt gesehen, erst in den Anfängen. Neben einigen vielversprechenden Studien zu Struktur- und Prozessmerkmalen sowie zur Identifikation von möglichen Wirkfaktoren liegen nur wenige randomisierte Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit von Selbsthilfeangeboten vor und diese fokussieren primär die methodisch leichter zu erfassenden Online-Angebote. Trotz einiger positiver Entwicklungen in jüngerer Zeit ist die wissenschaftliche Evidenz noch relativ gering, zugleich der Bedarf an wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Weiterentwicklung der Selbsthilfe sehr groß.

Da künftig mit einem Anstieg bzw. Ausbau digitaler Angebote zu rechnen ist, wird die wissenschaftliche Erprobung und Begleitung in nächster Zukunft weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Ein bedeutsamer, aber bisher nicht ausreichend erforschter Bereich ist zudem die organisatorische und strukturelle Integration von Selbsthilfeangeboten in die onkologische Versorgung sowie deren Optimierung. Wichtige Fragen sind hierbei, inwieweit Patientenvertreter in die neuen Strukturen onkologischer Versorgung wie beispielsweise Tumorboards oder in Gremien zur Planung und Durchführung klinischer Studien integriert werden können. Forschungsprojekte können hier durch Modellerprobung bzw. Effektivitätsstudien Aufschluss geben, ob Patienten sich durch integrierte Selbsthilfe-Angebote besser betreut fühlen und Schnittstellen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung besser überbrückt werden können.

Darüber hinaus ist die Entwicklung und Erforschung von Versorgungskonzepten für die Krebsüberlebenden (Cancer Survivor) ein wichtiges Thema für die Zukunft. Die Anzahl der Tumorpatienten, die erfolgreich behandelt wurden oder aber mit einer Krebserkrankung über viele Jahre leben können, steigt stetig [26]. Je nach Art der Erkrankung oder Therapie können sehr unterschiedliche psychosoziale Folgestörungen auftreten, z. B. Fatigue, depressive Verstimmungen, Angst vor einem Rezidiv oder einer Progredienz der Erkrankung und/oder kognitive Einschränkungen. Diese Probleme stellen hohe Anforderungen an die Betroffenen im Hinblick auf die Integration in den Alltag und/oder das Berufsleben sowie die Änderungen des Lebenstils. Neben der professionellen Beratung und Behandlung können Angebote der Selbsthilfe einen wesentlichen Beitrag hierbei leisten. Der Erfahrungsaustausch in Selbsthilfegruppen kann eine psychosoziale Unterstützungsquelle für die Bewältigung und Anpassung an die geänderte Lebenssituation darstellen. Die modellhafte Erprobung und wissenschaftliche Evaluation derartiger Selbsthilfeangebote ist eine wichtige Aufgabe der zukünftigen Selbsthilfeforschung.

Die Beteiligung von Patienten an medizinischen Entscheidungsprozessen und an wissenschaftlichen Studien wird von Patientenvertretern zunehmend eingefordert und stellt eine neue Herausforderung für alle Beteiligten in diesen Bereichen dar. Innerhalb der Krebsforschung sorgt das Konzept der Patientenbeteiligung dafür, dass in der Entwicklung medizinischer und technologischer Möglichkeiten für Diagnostik, Behandlung und Pflege die Bedürfnisse und Prioritäten der von Krebs betroffenen Menschen angemessen berücksichtigt werden. Jedoch stellt die Beteiligung von Patienten an die engagierten Betroffenen Anforderungen zum Beispiel im Hinblick auf medizinisches Grundwissen, Grundlagen klinischer Studien, versorgungsorientierte Kenntnisse sowie Kenntnisse über den Umgang mit digitalen Medien und Grundlagen der Qualitätssicherung. Themenspezifische Seminare und Fortbildungen für Patientenvertreter und Mitglieder von Selbsthilfeorganisationen und deren wissenschaftliche Evaluation stellen hierfür notwendige Voraussetzungen dar.

Die Selbsthilfeforschung kann hierzu insgesamt einen wesentlichen Beitrag leisten, indem sie qualitative und quantitative Forschungsmethoden bereitstellt und gemeinsam mit den Patientenvertretern Strategien und wissenschaftlich begründete Konsentierungsprozesse erarbeitet und umsetzt.

Einbindung von Angehörigen

Ein weiteres Thema für die zukünftige Selbsthilfeforschung ist die Einbindung der Angehörigen von Betroffenen im Rahmen der organisierten Selbsthilfe. Je nach Krankheitsverlauf und Krankheitsphase des Betroffenen finden sich Angehörige häufig in der Rolle der Unterstützenden oder Pflegenden und sind mit existenziellen Ängsten, Sorgen und Gefühlen von Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Überforderung konfrontiert [27].

Zusätzlich zur eigenen körperlichen und emotionalen Belastung müssen Angehörige krebskranker Menschen oftmals komplexe Aufgaben in der Betreuung übernehmen und einen hohen Grad an instrumenteller, sozialer und vor allem emotionaler Unterstützung für die Betroffenen selbst leisten [28]. Fehlende soziale Unterstützung, familiäre Konflikte, finanzielle Probleme, Verlust von Ressourcen und Freizeitaktivitäten, aber auch Schwierigkeiten im Umgang mit der emotionalen Reaktion von Betroffenen auf die Diagnose sowie eine fehlende Aufklärung und Einbindung bei der Behandlung der Betroffenen können Faktoren sein, die die psychische und körperliche Überlastung der Angehörigen verstärken [29].

Vor diesem Hintergrund sind die Angehörigen auch eine Zielgruppe für die professionellen psychoonkologischen Unterstützungsangebote. Wir verfügen jedoch über noch zu wenig Erkenntnisse, inwieweit Angehörige auch von Angeboten der Selbsthilfe profitieren können. Daher ist die Untersuchung der Rolle der Angehörigen in der organisierten Selbsthilfe auch eine wichtige Aufgabe der Selbsthilfeforschung.

 

Lena Binkowski, M. Sc., Dr. rer. medic. Andrea Kiemen, Theresa Baadte, M. Sc., Prof. Dr. phil. Joachim Weis

Interdisziplinäres Tumorzentrum – CCCF, Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung, Universitätsklinikum Freiburg, Hugstetterstr. 50, 79106 Freiburg, E-Mail: andrea.kiemen@uniklinik-freiburg.de

 

Die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags hatten diesen in gegenderter Form mit „Gendersternchen“ eingereicht. Dies wurde redaktionell an das HÄBL-Layout angepasst, bis auf den Begriff „Patient*innenkompetenz“. Dessen Schreibweise hat sich sozialwissenschaftlich eingebürgert, außerdem ist ein Forschungsprojekt so benannt.

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