Die seelische Verfassung in Zeiten der Corona-Pandemie
Wir blicken auf ein anstrengendes Jahr zurück, das uns epochale Herausforderungen aufgegeben hat. Ein kleines Virus hat uns global unsere Verletzlichkeit als Teil der Natur aufgezeigt, was schon eine Kränkung für uns Menschen als vermeintliche Corona bzw. Krone der Schöpfung ist. Die seuchenpräventiven Maßnahmen wie Quarantänephasen oder der wiederholte Lockdown waren für manche in der erzwungenen Entschleunigung erholsam und besinnlich, für viele aber belastend und bis in ihre wirtschaftliche Existenz bedrohlich.
Zwischen Autonomie und Unterwerfung
Die psychischen Auswirkungen von Einsamkeit über vermehrte Rückfälle bei Abhängigkeitserkrankungen bis zur Zunahme an häuslicher Spannung und Gewalt sowie die Verschärfung prekärer Arbeits- und Wohnverhältnisse haben wir vielfach bei unseren Patienten erlebt – sowie die Belastungen durch die Covid-19-Erkrankung selbst.
Ich sehe auch die daraus resultierende Erschöpfung und vielfach Anspannung in den verschiedenen Berufsgruppen und den therapeutischen Teams. Eine solche Krise und deren gesellschaftspolitische und medizinische Bewältigungsstrategien stoßen typischerweise das Pendel an, das zwischen Kontrolle, Autonomie bzw. Unabhängigkeit und Unterwerfung schwingt. Wir haben, auch gesamtgesellschaftlich, unterschiedliche Weisen des umsichtigen wie auch des irrational-destruktiven Umganges – oft auch als Abwehr des Ausgeliefertseins – erlebt und erfreulicherweise sehr viel gegenseitige Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Sympathie und Solidarität, für die wir dankbar sein dürfen.
Über- und Unterforderung als Auswirkungen der Seuchenprävention
In der zweiten Welle der Corona-Pandemie und dem lang anhaltenden Lockdown sind viele Menschen, unabhängig davon ob sie von der SARS-CoV-2-Infektion betroffen sind oder nicht, gestresst, erschöpft, beschämt, verschiedentlich berauscht, vielfach herrscht eine Erschöpfung der Seele, ein schwermütiges Schweigen angesichts des Horror vacui, die Zeit erstarrt in einer Übermacht an Gegenwart mit dem Blick auf die nächsten Infektions- und Todeszahlen.
Fast alle Menschen leiden an der Situation in einer deutlichen Polarisierung der Gruppen. Entweder sind sie überfordert und bei ihnen hat sich der berufliche Einsatz noch verschärft – vielerorts im medizinischen Bereich oder weil sie nebenbei zu Hause die Kinder beschulen und unterhalten müssen. Oder sie sind in Not geraten wegen anstrengender Unterforderung, weil sie ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nachgehen können und damit in ökonomische Schwierigkeiten geraten sind bzw. in Vereinsamung und Isolation leben, weil das Leben im Außen derart heruntergefahren ist.
Nähe wird als Gefahr erlebt, Distanz als Schutz
Die übliche Nähe-Distanz-Relativität ist durch die Corona-Krise geradezu in einen Schleudergang gestürzt [1], die Menschen handeln als sozialbedürftiges Wesen wider ihrer Natur und ihrer Bedürfnisse nach Nähe und Beziehung. Denn Distanz- und Abstandhalten sind neuerdings Ausdruck von Schutz, Fürsorge und Respekt, wohingegen Nähe mit Gefahr und Bedrohung durch Infektionsgefahr assoziiert ist.
Der disruptive Prozess der Pandemie erfordert rasche Anpassung an die gerade zu orwellsche Verdrehung grundsätzlicher Kategorien der menschlichen Beziehung und Bedürfnisse. Trotz eines enormen Effektes von kognitiver Dissonanz werden diese verordnete soziale Distanz und die soziale Selbstisolation unmittelbar als Übereinkunft und Norm der gesellschaftlichen Konvention akzeptiert – allerdings in der jetzigen zweiten Welle mit der Folge von mehr Ungeduld oder Fatalismus angesichts von Mutationen und dem schleppenden Impfbeginn. Die Nähe-Distanz-Regulation und unsere intrapsychische Setzung determinieren sämtliche Beziehungsstrukturen unseres Lebens und sind zum Beispiel in der Psychotherapie und in der Arzt-Patient-Beziehung wichtiges Fundament und therapeutisches Agens, das eine Transformation von der Begegnung hinter den Masken bis in die Online-Angebote der Videosprechstunde erfordert.
Unterschiedliche Strategien und Erwartungen verunsichern
Zudem verunsichern die postmoderne Perspektivenvielfalt bei der Risikoadjustierung und dem Krisenmanagement, wenn Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Bildung unterschiedliche interne Logiken, Erfolgsbedingungen, Erwartungsstile entwickeln und nicht mit Passung aufeinander bezogen sind – wie der Soziologe Armin Nassehi im „Ausnahmezustand als Normalfall“ ausführt [2]. Funktionale Differenzierung lautet der soziologische Fachbegriff dafür. So bieten selbst die sinnvollen Handlungsstränge entlang der virologischen und epidemiologischen Erkenntnisse keine gesellschaftliche Zentralperspektive. In diesen Zusammenhang passt auch Wittgensteins bekannter Satz, dass die Lösung aller wissenschaftlichen Probleme noch kein Lebensproblem gelöst hat.
Die Veränderung des Zeiterlebens in der Corona-Pandemie
Neben der Erstarrung in der totalen Gegenwart findet sich bei vielen Menschen eine (in der Depression typischerweise vorhandene) quälende Dehnung. In der derzeitigen coronischen Situation gestaltet sich plötzlich für viele Menschen das Verhältnis zur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ganz neu, genau wie auch das Verhältnis zur Zeitform und den Schichten untereinander. Hier passt zu diesem verwirrenden Zeiterleben in den coronischen Krisentagen auch das Thema des Zauberbergs von Thomas Mann (1924), der die Geschichte von Hans Castorp in den 15er-Jahren des 20. Jahrhunderts erzählt, bevor die Welt aus den Fugen geriet und danach eine andere war. So wirken Bücher aus vergangenen Jahrhunderten jetzt zeitgemäßer – wie Camus’ „Pest“ oder Márquez’ „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ oder „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust.
Vorcoronisch ließen sich lange Monate und Tage vorab strukturieren, planen und mit Zielgerichtetheit angehen im Sinne eines Timings. Die totale Zukunftslosigkeit wird durch das Licht am Ende des Tunnels, nämlich den begonnenen Impfungen, mittlerweile aufgehellt. Dennoch sind Reisen, Kongresse, Arbeitsplatzsicherheit etc. nicht plan- und realisierbar. Stattdessen wird die Gegenwart von Corona bestimmt und in eine Breite gezogen, der gar nichts Flüchtiges oder Zukünftiges innewohnt [3]. Manche können die erzwungene Entschleunigung als Gelegenheit zur Kontemplation, Muße, Innewerden, als ästhetische Erfahrung erleben oder praktisch nutzen zum Entrümpeln von Keller und Speicher. Das Fehlen an Außen im Rahmen von Kontaktverboten, Quarantänebestimmungen, Isolation, Homeoffice etc., weniger kulturellen und sportlichen Angeboten oder Vergnügungen außer Haus führt bei vielen zur Langeweile im Lockdown (negativ in Anlehnung an Kierkegaard als eine Macht, „die den Menschen vor das Nichts rückt“).
Einerseits verändert sich die Zeitigung des Daseins (Heidegger) in grundlegenden Dimensionen, denn das gegenwärtige Haben der Zeit als ein biographisch zusammenhängendes, gerichtetes Kontinuum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Sinne der Ich-Zeit findet einen Bruch in der Erfahrung des individuell bewegten Entwicklungsgeschehens.
Der Schrecken der Leere
Anderseits bleibt ein optimiertes Zeitmanagement geradezu das Gebot der Stunde für jene, die weiterarbeiten, wie im Homeoffice, bei der Kinderbetreuung und in der Organisation ihrer digitalen Präsenz. Für diejenigen ohne Arbeit im Lockdown wirkt sich das Übermaß an Zeit wie ein Ungeheuer aus; der Schrecken der Leere, im Sinne des Horror vacui, der ihnen in den Einkaufsstraßen, den Vereinshäusern und ihren eigenen Läden und Kneipen entgegengähnt. Hinzu kommt der Kontrast der chronobiologischen Zeitrhythmen und der Digitalisierung, die eben nicht miteinander verwandt und kompatibel sind, sondern weitgehend asynchron laufen. Dieser Kontrast findet sich auch in der Unendlichkeit des digitalen und der Winzigkeit des analogen Raumes wieder.
Warten, dass die Pandemie bald weggeimpft wird, sich das normale Leben wieder einstellt oder die Ungewissheit, ob wir noch weiter in die schlimmste wirtschaftliche Krise aller Zeiten schlittern, stellt eine Gratwanderung in dieser zeitlichen Ungerichtetheit dar.
„Wird auch aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Feuerbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?“ (sagt Hans Castorp hoffnungsvoll am Ende des Zauberbergs). Edmund Husserl beschreibt in der Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie eine Melodie ineinanderspielen – nicht als Abfolge von zusammenhängenden Tönen, sondern als eine Sinnganzheit wahrgenommen. Aktuell hört sich das für viele wie ein lang gezogenes, kreischendes Geräusch an.
Ist der Corona-Blues pathogen? Erfahrungen aus der versorgungspsychiatrischen Praxis
Der plötzliche und wiederholte Shutdown der Gesellschaft und der Lockdown unserer gewohnten Normalität stellen eine „potenziell traumatisierende Ausnahmesituation“ dar – so auch die Einschätzung des Psychoanalytikers Volker Beck. In den gravierenden Auswirkungen und wirtschaftlicher Not sind die Auswirkungen der körperlichen oder physischen Distanz im Rahmen der sozialen Distanz mit negativen Effekten verbunden und können sich als pathologischer Faktor manifestieren, hin zu mehr Einsamkeit bzw. Einsamkeitserleben. Das zunehmende Stressniveau kann zu Belastungsreaktionen oder Anpassungsstörungen führen und bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen in autonomistischer Reaktion auf das Ohnmachtserleben zu destruktiv-aggressiven Entladungen. Im gesellschaftspolitischen Feld, aber auch bis hin in die private Gruppe hinein gilt es, den Kontrast zwischen Alarmismus und Katastrophisierung einerseits und Verleugnung und Entsolidarisierung andererseits auszuhalten und auszugleichen. In unserem versorgungspsychiatrischen klinischen Alltag sehen wir:
- eine Häufung von Rückfällen bei Abhängigkeitserkrankungen im Zusammenhang mit dem coronischen Stress,
- einen Anstieg der affektiven Erkrankungen mit einer Phasenverschiebung der Inanspruchnahme je nach Ausmaß der SARS-CoV-2-Inzidenzzahlen und Kontaktbeschränkungen,
- eine Zunahme von Angststörungen mit hypochondrischer Akzentuierung,
- reaktive Psychosen mit Auskristallisation des Wahnthemas Covid-19,
- die Verstärkung von Zwangsstörungen (manche Zwangskranke mit vorbestehenden Dekontaminationsritualen fühlen sich allerdings auch erleichtert und endlich verstanden),
- eine signifikante Häufung von Konflikten, Gewalt und Missbrauch in Partnerschaften und Familien durch die auferlegte soziale Distanzierung und Kontaktreduktion in unserer Gesellschaft bzw. drängende Enge in Quarantäne und Homeoffice,
- die Verstärkung der Einsamkeit, Zunahme an Isolation und daraus folgende suizidale Krisen, wobei bislang kein Anstieg der Suizidraten festzustellen ist.
- Bei Paarbeziehungen verbessert bzw. intensiviert sich jedoch je nach Untersuchung die Sexualität bei bis zu 50 % der statistisch begleiteten Paare.
- Auch beobachten wir eine Zunahme von PC- und Mediensucht, Vermeidungsverhalten und Realitätsverlust (Berührt zu sein bei Facebook ist genauso wie reich zu sein bei Monopoly).
Versorgung in den psychiatrischen Kliniken während der Pandemie
- Hygiene- und Abstandsregeln manifestieren auch im therapeutischen Milieu die Verdrehung grundsätzlicher Kategorien der menschlichen Beziehung und Bedürfnisse (Nähe als Gefahr, Distanz als Schutz).
- Screening-Untersuchungen, Testungen, Isolierung, Quarantänemaßnahmen sichern und verunsichern Patienten und Professionelle.
- Besuchsverbote be- und entlasten Patienten.
- Reduzierung notwendiger Angehörigen- und Familiengespräche – es gelingt nur teilweise eine Kompensation über Telefonie- und Videosprechstunden.
- Restriktive Belastungserprobung erschwert den Transfer von stationärem Therapieerfolg in den familiären und sozialen Alltag.
- Expositionstherapien und Übung alltagspraktischer Fähigkeiten im sozialen Feld sind beschnitten.
- Dafür steigt oft der solidarische Zusammenhalt in der stationären therapeutischen Kommunität.
- Leiborientierte Therapien (Tanz-, Bewegungs-, Theatertherapie) sind verändert, reduziert, gestrichen; Gruppentherapien sind zum Teil verkürzt wegen kleinerer Zeitfenster für mehr Kleingruppen, um die Abstandsregeln einhalten zu können.
- In der Regelversorgung fehlen Betten bzw. Plätze wegen Isolierspangen, -stationen und -zimmern, Wegfall von Mehrbettzimmern, kleinere Gruppen in den Tageskliniken; das Entlassmanagement ist erschwert, zum Beispiel bei der Verlegung von gerontopsychiatrischen Patienten in Heimeinrichtungen.
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“
So Friedrich Hölderlin, der am 20. März 2020 seinen 250. Geburtstag hatte. Wie seine fielen auch viele andere Geburtstagsfeiern aus – und können nachgeholt werden.
Was hilft? Bewältigung und Prävention.
Um die Abwärtsspirale der Erschöpfung in die erlernte Hilflosigkeit und den Negativitätsbias zu vermeiden, gilt es Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge zu stärken.
Ich beginne mit einem kleinen Beispiel eigener Handlungsfähigkeit: dem täglichen Spaziergang. Rausgehen ist das neue Ausgehen. Frische Luft schnappen, Licht tanken, die Natur beobachten, sich bewegen, damit etwas in Bewegung kommt, ist nicht nur wirksam gegen den Winter-Blues, sondern auch ein Ausweg aus der coronaverschuldeten Einengung und kann etwas angstlösende Weitung bringen gegen die seelische Enge (das Wort „Angst“ kommt vom lateinischen angustus = eng).
Ein wichtiges Element in der Resilienzförderung, also dem Umgang mit Krisen, ohne schweren oder nachhaltigen Schaden zu nehmen, besteht weniger in der Durchhaltetaktik, also krampfhaft auf bessere Zeiten zu warten, weil dann eher Erschöpfung, Müdigkeit, Zermürbung zunehmen, sondern in langfristiger Anpassung an diese Situation. Hierzu gehört die Offenheit zum Perspektivenwechsel mit Chancen, eigene neue Wege auszuprobieren – und das nicht nur im Großen wie z. B. in der Digitalisierung, die zweifellos einen coronabedingten Schub ähnlich wie die Biotechnologie im Rahmen der Impfstoffentwicklung bekommen hat.
„Selig sind die, die einen Sprung in der Schüssel haben, denn sie lassen das Licht durchscheinen“ (Michel Audiard). Wie in der traditionellen japanischen Reparaturmethode für Keramik, dem Kintsugi, lässt sich die Schönheit in Fehlern entdecken. Hier werden Keramik- oder Porzellanbruchstellen nicht vertuscht, sondern vergoldet und damit in ihrer ganzen Schönheit inszeniert. Dieses wichtige Resilienzprinzip, nämlich dass wir an unseren Verletzungen wachsen und sie als wertvolle Lebenslinien annehmen können, die uns stark machen, gilt auch für die Bewältigung der Corona-Pandemie.
Die Bewältigungsproblematik hat viel mit Lebens- und Krankengeschichte bzw. Biografie und Krankheit zu tun. Jede Krankengeschichte und Biografie ist nicht nur aus ihrer Vorgeschichte heraus zu verstehen, im Sinne der Prägung aus der frühen Kindheit. Sie konstituiert sich nicht nur aus dem Ineinander von Bewusstem und Unbewusstem, sondern ebenso sehr aus dem Ineinander von Mitgebrachtem und Eingebrachtem – also Zufall, Fügung seitens der Lebensereignisse, die Öffnung des Zukunftsaspektes im Hier und Jetzt. Was bedeuten also zwei oder vielleicht auch drei Corona-Jahre? Am Ende können sie zusammensurren zu einer Geschichte, die wir unseren Enkeln erzählen werden. Hierbei dürfen wir nicht zynisch werden, denn viele, zu viele, weit über 60.000 Menschen in Deutschland sind an oder mit dem neuartigen Corona-Virus gestorben und werden ihre Bewältigungsgeschichte nicht mehr ihren Enkeln erzählen können. Hier gehört zur Bewältigung der Überlebenden eine offene und auch geteilte Trauerarbeit.
Um noch einmal auf das Zeiterleben zurück zu kommen, ist es hilfreich, die Futur-II-Perspektive einzunehmen, beispielsweise von 2023 aus auf die heutige Situation zu schauen: Es wird gewesen sein. Diese Perspektiven drehen sich und erleichtern eine Befreiung aus der Gegenwart und eine Distanzierung von der Übermacht der Vergangenheit, die nun in ihrer Absolutheit, in ihrer oft unheimlichen Festgestelltheit und Endgültigkeit verflüssigt und manchmal sogar „suspendiert“ wird [4].
Zum Prozess der Resilienz gehört die Identifizierung ihrer Strategien, also interpersoneller-, externer-, intrapersoneller Ressourcen sowie Bewältigungs- und Coping-Strategien. Zur Resilienzförderung gehören die Prävention, die Rehabilitation, die Bildung, die Psychotherapie. Eine seelische Erkrankung durch psychische Belastung lässt sich nicht sicher verhindern, ebenso wenig ein Rezidiv einer bestehenden Erkrankung.
14 salutogenetische Tipps
Die Resilienzförderung ist ein Weg, um die mentale Gesundheit zu stärken und Krisen besser zu meistern – nicht nur in der Corona-Pandemie. In pragmatischer Ergänzung an das vorab Beschriebene noch einige Tipps zur Stärkung der Psyche – orientiert unter anderem an der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen am Leibniz-Institut für Resilienzforschung oder bei der Organisation Mental Health Europe:
- Akzeptieren Sie, was Sie nicht ändern können.
- Achten Sie auf Informationen aus seriöser Quelle (z. B. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Robert-Koch-Institut, Bundesgesundheitsministerium, WHO).
- Vermeiden Sie „Infoflut“ und achten Sie auf dosierte Fakten. Legen Sie bewusst Informationspausen ein, das heißt geben Sie dem Thema Corona-Virus nicht zu viel Raum. Am besten, wenn Sie es sich beruflich erlauben können, nehmen Sie sich nur ein bis zwei feste Zeiten am Tag für die Informationen.
- Definieren Sie Auszeiten und finden Distanz. Mir hat es im vergangenen Jahr oft gut getan, nicht nur nach Corona in den PCR-Befunden zu suchen, sondern die Corona borealis – die nördliche Krone – am Sternenhimmel.
- Sorgen Sie für Routine. Gerade in einer Zeit, in der so viel ungewiss ist, ist es besonders wichtig, eine Struktur in Tag und Woche zu haben. Vor allem für Menschen, die an Depressionen erkrankt sind oder die dazu neigen, ist es wichtig, einen geregelten Tagesablauf einzuhalten, wenn nötig mit festem Tagesplan.
- Nehmen Sie Hilfe an: bei Bekannten, Freunden, in der Familie, bei Behörden sowie auch therapeutische Hilfe. Niemand ist vor einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung gefeit. Wichtig ist, bei möglichen Anzeichen Hilfe zu holen und zu akzeptieren und eine Beratungsstelle, eine Hotline oder noch besser den Haus- oder Facharzt aufzusuchen. Eine depressive Episode ist in der Regel gut behandelbar.
- Pflegen Sie Ihre Kontakte. Insbesondere Alleinlebende oder Menschen, die für Depressionen anfällig sind, entwickeln aus dem Alleinsein ein Einsamkeitserleben, das psychisch und somatisch sehr belastend und krankmachend sein kann. Auch wenn körperliche Nähe gerade schwer möglich ist, ist soziale Nähe umso wichtiger in Form von gemeinsamen Spaziergängen, Videoanrufen, Gebeten, Telefonaten, Chats, E-Mails, Briefen etc.
- Achten Sie auf Selbstfürsorge. Behandeln Sie sich, wie Sie einen guten Freund behandeln würden, und sorgen Sie für die Erfüllung der Grundbedürfnisse: ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung. Bleiben Sie in Bewegung, etwa durch tägliche Spaziergänge oder sportliche Aktivitäten, auch in den eigenen vier Wänden. Vermeiden Sie unbedingt einen erhöhten Alkoholkonsum.
- Bieten Sie anderen Hilfe an, vor allem älteren Menschen oder Personen, die psychisch labil sind: Sie brauchen jetzt Aufmerksamkeit, ein offenes Ohr oder praktische Unterstützung im Alltag. Seien Sie altruistisch und spüren den Zusammenhalt einer solidarischen und hilfsbereiten Gemeinschaft.
- Üben Sie Stressabbau. Aktuell ist ein guter Zeitpunkt Entspannungstechniken, wie Autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation oder auch Achtsamkeitsübungen, zu lernen. Hierzu finden Sie Anleitungen im Internet oder bei Online-Kursen.
- Seien Sie offen zu Ihren Kindern. Gerade in diesen unsicheren Zeiten benötigen Kinder das Gefühl der Geborgenheit und der Sicherheit. Wichtig ist, mit ihnen ganz offen über das Thema zu sprechen und ihre Fragen zu beantworten und ihnen zuzusichern, für sie da zu sein. Wichtig ist es auch, Rituale beizubehalten.
- Mobilisieren Sie Energie bei Dingen, die Sie verändern können.
- Trotz aller berechtigten Verunsicherungen und Zukunftssorgen bezüglich der eigenen Gesundheit oder der beruflichen und familiären Sicherheit: Vermeiden Sie negative Gedankenspiralen.
- Bleiben Sie SARS-CoV-2-negativ und denken positiv!
Dr. med. Matthias Bender, Klinikdirektor Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (KPP) Kassel, Bad Emstal, Hofgeismar und Melsungen, Ärztlicher Direktor Vitos Klinikum Kurhessen, Kassel; Kontakt via E-Mail: matthias.bender@vitos-kurhessen.de
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