Frauen müssen sich besser vernetzen – Verein „Die Chirurginnen e.V.“ in Marburg gegründet

„Gemeinsam einfach besser“ – so lautet das Motto, für das der Verein „Die Chirurginnen e.V.“ in erster Linie steht. Im Januar diesen Jahres gegründet, zählt er mittlerweile bereits fast 500 Mitglieder. Alles Chirurginnen, die sich in den unterschiedlichsten Positionen ihrer Laufbahn befinden: von der Studentin bis hin zur Ordinaria.

Prof. Dr med. Katja Schlosser, Präsidentin des Vereins und Chefärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie am Agaplesion Evangelisches Krankenhaus Mittelhessen in Gießen, erzählt im Gespräch, warum ein eigener Verein für Chirurginnen so wichtig ist und was dieser seinen Mitgliedern bietet.

Frau Prof. Schlosser, erzählen Sie uns, warum haben Sie den Verein „Die Chirurginnen“ gegründet?

Prof. Dr. med. Katja Schlosser: Frauen haben zu wenige Vorbilder, wir vernetzten uns bislang nicht genug. Männer machen das deutlich besser. Bereits im Jahr 2012 habe ich auf Facebook und Xing daher ein Chirurginnen-Netzwerk gegründet. Ein echter Austausch gelang über diese beiden Plattformen leider nicht. Über das Chirurginnen-Netzwerk bin ich aber in den Berufsverband der Deutschen Chirurgie (BDC) gekommen und habe dort viele Jahre das Referat der Chirurginnen geleitet. 2020 habe ich die Referatsleitung im BDC abgegeben. Das hatte verschiedene Gründe: Zunächst wurde darüber diskutiert, ob man ein Referat eigens für Chirurginnen überhaupt noch braucht. In abgewandelter Form wurde das Referat unter dem neuen Namen „Beruf und Familie“ weitergeführt. Das, worum es mir ging, konnte ich in dieser Konstellation nicht verwirklichen.

Prof. Dr. med. Katja Schlosser: „Wir wollen gerade die jungen Frauen erreichen, die in Kliniken arbeiten, wo es vielleicht maximal eine Oberärztin gibt oder auch gar keine Frau.“

Worum geht es Ihnen?

Schlosser: Unter den Weiterbildungsassistentinnen in der Chirurgie nimmt die Zahl der Frauen stetig zu. Leider erreichen die wenigsten dieser Frauen eine Oberarztposition. Auch verlieren wir einen relevanten Anteil dieser Frauen während der Ausbildung. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass diese Frauen Kinder bekommen und eine Familie gründen. Die Gründe sind vielschichtiger.

Was haben Sie dann gemacht?

Schlosser: Auf der Facebook-Seite des Chirurginnen-Netzwerkes habe ich gepostet, dass ich die Leitung des Referates abgegeben habe, aber das Facebook-Netzwerk weiterführen möchte und angeboten, dass sich die Frauen auch weiterhin bei Problemen in der Klinik oder auch bei Fragen zu Vertragsverhandlungen jederzeit bei mir melden können. In einem Nebensatz habe ich fallenlassen, dass ich mir schon vor Jahren gedacht habe, wir müssten einen eigenen Verein gründen. Daraufhin passierte etwas, was vorher noch nie passiert war und womit ich überhaupt nicht gerechnet habe. Es meldeten sich so viele Frauen, die sagten, das machen wir, ich bin dabei!

Und so kam es im November 2020 zum ersten Zoom-Meeting, bei dem wir gemeinsam überlegten, ob und wie wir das realisieren können. Wir haben dann zunächst den Ärztinnenbund kontaktiert mit der Überlegung, ob wir uns unter deren Dach formieren. Wir haben uns schließlich für eine eigene Gruppierung, ähnlich der „Association of Women Surgeons“ in Amerika, in enger Kooperation mit dem Deutschen Ärztinnenbund entschieden. Am 6.12.2020 haben wir eine WhatsApp-Gruppe mit gerade mal 20 Frauen eröffnet. Keiner von uns war damals klar, dass die maximale Anzahl in so einer Chatgruppe 256 Teilnehmerinnen beträgt und dass das bereits in kürzester Zeit zu einem Problem werden könnte. Zu diesem Zeitpunkt haben wir noch nicht aktiv versucht, Mitglieder zu gewinnen, sondern erst einmal überlegt, welche Form wir dem Verein geben könnten. Aber wir sind buchstäblich überrannt worden. Mitte Januar 2021 hatten wir schon über 256 Frauen zusammen und mussten die Gruppe teilen. Wenn ich mal 5 Stunden am Stück im OP war, hatte ich danach nicht selten 500 Nachrichten. WhatsApp ist mir regelmäßig abgestürzt. Der Redebedarf war und ist nach wie vor einfach enorm.

Austausch via Messenger – das klingt sehr niederschwellig…

Schlosser: Ja, aber uns ist sehr wichtig, dass wir wertschätzend miteinander umgehen. Frauen wird ja gerne eine gewisse Stutenbissigkeit unterstellt. Das gibt es bei uns nicht. Es war von vornherein klar, wir wollen das machen, um dem Nachwuchs eine Stütze zu sein und dafür braucht es ein für diese Zielgruppe entsprechendes niederschwelliges Angebot. Wir wollen gerade die jungen Frauen erreichen, die in Kliniken arbeiten, wo es vielleicht maximal eine Oberärztin gibt oder auch gar keine Frau. Diese sollten sich an uns wenden können, wenn sie ein Problem haben, ohne dass sie starre hierarchische Strukturen überwinden müssen.

Wir wollen auch ganz bewusst nicht nur in die Ecke „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ gedrängt werden. Das tun wir Frauen auch ohne unseren Verein. In fast allen Fachgesellschaften gibt es außerdem bereits so ein Referat. Es ist unserer Ansicht nach an der Zeit, dass sich gerade die Männer in einem solchen Referat mit einbringen.

Wenn die Vereinbarkeit von Beruf & Familie bei den „Chirurginnen“ nicht im Vordergrund steht, was dann?

Schlosser: Wir wollen alle Aspekte unseres Berufs abbilden. Es macht uns Spaß, zu operieren, wir wollen gerne forschen. Wir wollen lehren, wir wollen führen. Und wir haben überhaupt keine Lust mehr, als Ausnahme angesehen zu werden, wenn wir in eine Leitungsfunktion gehen. Wir wollen trotz Schwangerschaft und Kindern eine Chance zur Weiterbildung bekommen und schwanger operieren dürfen, wenn wir das wollen. Wir wollen den Frauen in unserem Verein helfen, dass sie gehört und gesehen werden. Man muss sich nur einmal die wichtigen Zeitschriften in der Chirurgie ansehen, die heißen „Der Chirurg“, „Der Unfallchirurg“ oder „Der Orthopäde“. Das betrifft aber alle Fachgebiete, nicht nur die chirurgischen Fächer. 70 Prozent aller Medizinstudierenden sind Frauen und die werden schon im Namen ausgegrenzt. Man soll sich immer mitgemeint fühlen. Wir wollen aber nicht nur mitgemeint sein, wir wollen auf Augenhöhe mitgestalten.

Gendersensible Sprache ist in der öffentlichen Diskussion gerade ja auch ein großes Thema.

Schlosser: Unsere Gesellschaft hat aufgrund des üblichen maskulinen Generikums in unserem chirurgischen Sprachgebrauch einfach keine Frau vor Augen, wenn „Prof. XYZ“ auf einem Schild steht. Das spiegelt sich selbst in großen Sitzungen wieder. Da wird der männliche Kollege mit vollem Titel angesprochen man selbst als Frau XYZ. Das geht einfach nicht. Entweder es werden alle mit vollem Titel angesprochen oder gar keine:r.

Dennoch: Wie steht es um die Vereinbarkeit von Kind(ern) und Karriere in der Chirurgie?

Schlosser: Nicht wenige Frauen in der Chirurgie verzichten auf Kinder. Und die, die Kinder bekommen, kommen meist nicht weiter. Da kommt der bekannte Karriereknick. Schwangere Frauen dürfen nicht mehr in den OP und später ist es auch nicht selbstverständlich, sich Hilfe bei der Kinderbetreuung zu holen. Als Frau kann man es einfach nicht richtigmachen. Wenn man Vollzeit arbeitet, gilt man als Rabenmutter. Arbeit in Teilzeit wird hingegen häufig als mangelndes Engagement gewertet. Finde deinen eigenen Weg und fühle dich damit wohl – das wollen wir mit unserem Verein auch transportieren. Viele Mitglieder unseres Vereins, mich eingeschlossen, sind Mütter und wir beweisen, dass Kind und Karriere geht. Wir wollen gerade den jüngeren mit unserer Erfahrung zur Seite stehen und ihnen Mut machen, sich diesem für uns schönsten Fach der Medizin zu verschreiben.

In unglaublich kurzer Zeit zählt ihr Verein bereits über 300 Chirurginnen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Schlosser: Wir haben eine ganz andere Kultur miteinander zu reden. Wir chatten und wir haben uns von Anfang an für ein „Du“ untereinander entschieden. Viele Chefärztinnen, die diesen harten Weg gegangen sind, tun sich anfangs damit etwas schwer, aber uns trennt so viel weniger, als das, was uns verbindet. Es macht es außerdem einfacher. Die Hierarchien verflachen sich und die Jüngeren haben viel weniger Hemmungen, etwas zu fragen und sich zu öffnen. Das trifft wohl den Nerv der Zeit.

Mittlerweile kommunizieren wir über einen Messenger namens Siilo, bei dem wir eine unbegrenzte Teilnehmerinnenzahl haben und der extra für den Medizinbereich entwickelt wurde. Siilo hat uns eine Plattform für unseren Verein eingerichtet, mit diversen Chatgruppen und Informationskästen zu den unterschiedlichsten Themengebieten, wie z.B. „Interessante Fälle“ oder Arbeitsgruppen wie die AG Nachwuchs, AG Hospitation oder die AG Wissenschaft. Wir haben eine Webakademie mit Fortbildungspunkten etabliert und im April ein Mentoringprogramm gestartet, an dem sich über 120 Mitglieder beteiligen. Es gibt z.B. auch eine Nachtdienst-Chatgruppe, die sich vor allem an junge Ärztinnen richtet. Wenn diese während der ersten Nachtschichten ein Problem haben und ihre:n Vorgesetzte:n nicht anrufen möchten, bekommen Sie Rat in der Chatgruppe – es dauert meist keine 10 Minuten und funktioniert hervorragend. Bevor es unseren Verein gab, hat jede Frau für sich alleine versucht, das Beste aus ihrer beruflichen Situation zu machen. Frauen sind im Privaten außerordentlich gut darin, sich zu vernetzen, aber sie waren es bislang nicht in Bezug auf Beruf und fachliche Fragestellungen. Das ändern wir gerade.

Interview: Maren Grikscheit & Dr. med. Peter Zürner

Angebote des Vereins „Die Chirurginnen e.V.“

Arbeitsgruppe Mentoring

Wir bieten für die Ärztinnen des Vereins ein Mentoringprogramm an, wobei die Zuteilung auf die Bedürfnisse der jeweiligen Mentee zurechtgeschnitten wird. Hier ist nicht nur eine fachliche oder wissenschaftliche Unterstützung möglich, sondern auch eine Begleitung in schwierigen Lebenslagen und in komplikativen Arbeitsumgebungen. Über unser Mentoringprogramm können wir eines unserer Hauptziele, Frauen in der Chirurgie in ihrer klinischen oder wissenschaftlichen Karriereplanung zu unterstützen, direkt verwirklichen. Letztlich kann und sollte jede Chirurgin eine helfende Hand bereitstellen und für die nächstjüngeren als Rollenmodell zur Verfügung stehen.

Arbeitsgruppe Arbeitszeit / Kids and Surgery

Diese Arbeitsgruppe beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung kluger Arbeits-, Ausbildungs- und Teilzeitmodelle unter Berücksichtigung des Arbeitsrechts. Diese Arbeitsgruppe will Wege aufzeigen, wie eine Vollzeitarbeitsstelle mit Kindern organisiert oder wie bei einer Reduktion auf eine Teilzeitstelle das Recht auf eine Vollzeitstelle erhalten werden kann oder wie z. B. durch ein Splitting zwischen Präsenz- und Homeoffice keine Zeit bis zum Facharzt verloren geht.

Arbeitsgruppe Operieren in der Schwangerschaft (OPIDS)

Die Phase der Familiengründung und der Schwangerschaft stellt für viele Chirurginnen einen Einschnitt in die berufliche Entwicklung dar. Noch vor einigen Jahren wurde mit der Mitteilung der Schwangerschaft in vielen Fällen automatisch ein Beschäftigungsverbot erteilt. Um diese Situation zu verbessern, gründeten Dr. Maya Niethard und Dr. Stefanie Donner zusammen mit dem Jungen Forum der DGOU die Initiative „Operieren in der Schwangerschaft“ und erstellten Handlungsempfehlungen im Einklang mit der aktuellen Gesetzeslage. Zusammen mit allen Chirurginnen möchten wir ein starkes Netzwerk bilden, um Schwangere zu unterstützen und zu beraten, die ihre operative Tätigkeit fortsetzen möchten.

Arbeitsgruppe Wiedereinstieg

Ein Wiedereinstieg in den Beruf kann mit einer guten Strategie und Vorbereitung jeder Chirurgin auch nach längerer Auszeit gelingen. Wir möchten Motivation fördern und Selbstbewusstsein stärken, um eine erfolgreiche Rückkehr in die Chirurgie meistern zu können. Diese Arbeitsgruppe beschäftigt sich exklusiv mit dem Wiedereinstieg nach Arbeitspausen (z. B. nach längerer Krankheit, Auslandsaufenthalt oder Sabbatical).

Arbeitsgruppe Nachwuchs

Hier wenden wir uns an Studentinnen und PJlerinnen, die die Chirurgie als Berufswahl ins Auge fassen, sowie Ärztinnen am Anfang ihres Berufswegs: wir bieten über Siilo eine Chatgruppe an, die sich jeden Freitag mit einem bestimmten Thema befasst und in der übrigen Zeit ein Forum für alle Sorgen beim Berufseinstieg bietet.

Troubleshooting

Hierüber kann sich jedes ordentliche Mitglied per E-Mail an uns wenden, egal welches Problem bezüglich der Tätigkeit als Chirurgin besteht. Ob Unterstützung bei der Karriereplanung, Schwierigkeiten, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen oder akute oder grundsätzliche Probleme mit Kolleg*innen/Abteilungsleitungen.

Arbeitsgruppe Achtsamkeit

Achtsamkeit. Gefühl. Mitgefühl. Selbstführung und Führung. Raum schaffen. Sein. Alltag. Kleinigkeiten. Ein Fass, das überläuft. Voller Zuversicht, Vertrauen und Leichtigkeit. In der Arbeitsgruppe „Achtsamkeit und Selbstfürsorge“ sind alle Chirurginnen willkommen, die Lust auf Mehr haben.

Arbeitsgruppe Wissenschaft

Innerhalb unseres Netzwerkes möchten wir unsere Mitglieder bei der Durchführung von Forschungsvorhaben unterstützen. Gerade in diesem Bereich ist die Orientierung am Karrierebeginn oft schwierig, und sowohl die AG Wissenschaft als auch das Mentoringprogramm können durch Erfahrungsaustausch und Bündelung von Ressourcen sehr hilfreich sein.

Durch Hilfe bei der Umsetzung wissenschaftlicher Projekte, bei der Beantragung von Fördermitteln und durch Bündelung von Synergien oder auch der Bildung gemeinsamer neuer Arbeitsgruppen soll hier ein aktiver Beitrag dazu geleistet werden, Frauen auf dem Weg nach oben zu fördern und zu fordern.

Arbeitsgruppe Niederlassung

Ob man eine eigene Praxis neu gründet, einen Sitz übernimmt oder in eine Gemeinschaftspraxis einsteigt, es gibt viele Wege in die Selbstständigkeit. Jede Option hat ihre Vorteile und auch Fallstricke. Wenn man sich mit dem Abschied aus der Klinik beschäftigt, werden zahlreiche Fragen aufkommen und manche Informationen bekommt man einfach nicht über die Starterberatung der KV oder andere Quellen. Was wird für einen Zulassungsantrag gebraucht? Welche Zusatzbezeichnungen sind hilfreich? Wie viele Stunden muss ich eigentlich arbeiten? Wer hilft mir bei Fragen der Finanzierung? Welche Versicherungen brauche ich? Wie funktioniert die Abrechnung? Was muss man bei ambulanten Operationen beachten bzw. wie werde ich Belegärztin? Was gilt für die Heilmittelverordnung?

Chatgruppen und Informationen auf unserer Siilo-Plattform:

Alle Chirurginnen kommen zunächst in den „CHIRURGINNEN-FORUM“-Chat – in diesem kann man sich locker austauschen und unterhalten.

Des Weiteren gibt es Chats u. a. für Viszeralchirurgie, Gefäßchirurgie, Unfallchirurgie/Orthopädie oder auch für Notfallmedizin.

Außerdem gibt es die Chats „Oberärztinnen“ und „Nachtdienst“ – In diesem Chat bieten wir jungen Kolleginnen für die Dienste ein Back-up. Es handelt sich um Vorschläge und keine verbindlichen Therapieempfehlungen.