Eine Ausstellung über Ärztinnen, Ärzte und Kultur
Feder statt Skalpell: Vor der Entscheidung Kunst oder Medizin standen viele Medizinerinnen und Mediziner schon vor Jahrhunderten. Während die einen ihren künstlerischen oder kulturellen Neigungen nachgaben, versuchten andere, Beruf und Berufung miteinander zu verbinden. Ob Ärztinnen und Ärzte eine besondere Affinität zur Kultur hegen, lässt sich mit Zahlen schwer belegen. Doch selbst wenn ihr prozentualer Anteil nicht höher sein sollte als in anderen Berufssparten, stechen doch etliche berühmte Beispiele hervor.
Von Gottfried Benn über Maria Montessori bis Anton Tschechow: „Mehr als Medizin?“ lautet der Titel einer Ausstellung, die die Lebenswege kulturell ambitionierter Heilkundiger illustriert und von dem Bonner Arzt PD Dr. med. Johannes Kruppenbacher, ärztlicher Leiter und Eigentümer der CBT Gruppe (CBT: Centrum für Blutgerinnungsstörungen und Transfusionsmedizin), gestiftet wurde. Gegen eine Spende an ein medizinisch-karitatives Projekt können Praxen, Krankenhäuser und Gemeinden die Präsentation ausleihen. Außerdem wird sie kostenlos an Kulturinstitutionen, die durch die Corona- Pandemie schwer getroffen wurden, und an Universitäten verliehen.
Die Ausstellung umfasst Portraits von neun kulturschaffenden Medizinerinnen und Medizinern aus sieben Jahrhunderten. Alle Portraitierten nutzten ihre aus der Kenntnis des Menschen gewonnenen Erfahrungen für ihr literarisches und kulturelles Schaffen. So etwa Anton Tschechow (1860–1904), einer der bedeutendsten Autoren der russischen Literatur. Obwohl Arzt von Beruf, betrieb er Medizin fast ausschließlich ehrenamtlich. Dabei lieferte ihm die ärztliche Tätigkeit viel Stoff für seine Erzählungen, wie Heinz Setzer, u. a. Leiter des Tschechow-Archivs in Badenweiler, berichtet. Die Perspektiven der Medizinerin, des Mediziners und der Diagnostikerin, des Diagnostikers durchziehen das Lebenswerk aller Portraitierten und zeugen gleichermaßen von einer Sicht auf den Menschen, die sich nicht auf den Körper beschränkt, sowie auf die Gesellschaft als lebenden Organismus. Der Titel „Mehr als Medizin?“ lässt sich als Frage nach den Möglichkeiten einer ganzheitlichen Sicht des Menschen aber auch als Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung deuten. Da viele Herausforderungen in der Medizin kreative Lösungen erfordern, schwingt in ihm außerdem die Kreativität als ärztliche Eigenschaft mit. Stellvertretend sollen im Folgenden vier Beispiele Lust auf „Mehr als Medizin?“ machen.
Ein Arzt der Seele
Als Arzt der Seele wird Friedrich Schiller (1759–1805) beschrieben und an seinem Beispiel die Notwendigkeit von Freiheit und Entscheidungen für die Gesundung des Menschen vor Augen geführt. Das rotkolorierte Portrait zeigt den Arzt, Dichter, Philosophen und Historiker in der Blüte seiner Jahre. Als Schiller starb, verbreitete sich das Gerücht, dass er zuletzt nur noch kraft seines Geistes gelebt habe. Wie die Autopsie zeigte, hatte Schiller seinen eigenen Tod in einer seiner medizinischen Dissertationen vorweggenommen: „Nun scheidet sich die Entzündung in eine tödliche Brustfellerkrankung ab, die von Blut und Schleim verstopfte Lunge, unfähig diese Säfte auszuscheiden, wird den Menschen durch den Erstickungstod oder den Tod an Brand umbringen.“
Eine Zeittafel informiert über die biografischen Daten, der Text über Werk und Person Schillers stammt von Prof. Dr. phil. Robert S. Kamzelak, stellvertretender Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach und Honorarprofessor für Digital Humanities an der Universität Würzburg. Darin erfährt man, dass Schillers erste, 1779 als Dissertation eingereichte, Abschlussarbeit über die Beziehung von Körper und Geist von den Gutachtern als zu spekulativ abgelehnt wurde. Seinen zweiten Anlauf unternahm er mit zwei parallel eingereichten Dissertationen: Während er in „De discrimine febrium inflammatoriarum et putridarum“ („Über den Unterschied zwischen entzündlichen und fauligen Fiebern“) beschreibt, woran er einst selbst sterben sollte, trägt die zweite den Titel „Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen“.
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
In Grün ist das Portrait Georg Büchners (1813–1837) getaucht. Die „freie Entfaltung der Persönlichkeit als einzige Möglichkeit zur Gesundung“ steht darunter. Wie auf der Zeittafel nachzulesen ist, begleitete Büchner, als erstes Kind einer Arztes im südhessischen Dorf Goddelau geboren, seinen Vater schon während der Gymnasialzeit auf dessen Visiten und assistierte ihm nach dem Abitur beim Anatomie-Unterricht im Hospital. 1831 nahm er das Studium der Medizin und Naturwissenschaften in Straßburg auf, bevor er nach Gießen wechselte.
„Wie wird ein fleißiger Medizinstudent aus gutem Hause mit 21 Jahren zu einem gesuchten Verbrecher?“, fragt Peter Brunner, seit 2017 Leiter des Museums Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau in seinem Text zur Ausstellung. Und gibt auch gleich die Antwort: „1834 reicht eine eigene Meinung in der Verbindung mit dem Mut, sie öffentlich zu äußern. Büchner hat beides.“ Als Büchner 1837 in Zürich starb, hatte der junge Arzt, Naturforscher und steckbrieflich gesuchte Revolutionär seine ersten Vorlesungen als Privatdozent der Universität Zürich gehalten, sowie eine Kampfschrift, ein Drama, eine Dissertationsschrift über das Nervensystem der Flussbarbe, eine Komödie und Entwürfe zu seinem berühmtesten Werk „Woyzeck“ verfasst.
Heilkundige Universalgelehrte
Faszinierend auch die in Pink und Violett gehaltenen Portraits von Hildegard von Bingen und Maria Montessori. Wie keine andere Frau des Mittelalters zieht Hildegard von Bingen (1098–1179) bis heute in ihren Bann. Sie war Benediktinerin, Äbtissin, Dichterin, Komponistin und eine bedeutende natur- und heilkundige Universalgelehrte. In der römisch-katholischen Kirche wird sie als Heilige und Kirchenlehrerin verehrt. Hildegard von Bingen gilt als erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters, die sich in ihren Werken, unter anderem mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie befasste.
Hildegard von Bingen war Beraterin vieler Persönlichkeiten; selbst Kaiser Friedrich Barbarossa suchte ihren Rat. Auch ist von ihr ein umfangreicher Briefwechsel erhalten geblieben, der deutliche Ermahnungen gegenüber hochgestellten Zeitgenossen enthält, sowie Berichte über weite Seelsorgereisen und ihre öffentliche Predigertätigkeit. Als Prophetin, deren Autorität direkt von Gott kommt, verkündete sie in ihren Werken himmlische Visionen und zeigte sich als Pionierin der Naturwissenschaften. Der Text über die Heilkundige stammt von der Autorin und Historikerin Barbara Beuys.
Neuer Erziehungsansatz
Die italienische Ärztin Maria Montessori sorgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihrem neuen Erziehungsansatz weltweit für Aufsehen, wie Ulrike Hammer, Schulleiterin und Mitbegründerin der Montessori-Grundschule Rotenburg (Wümme), in ihrem Text zur Ausstellung schreibt. Obwohl Frauen in Italien seit 1875 studieren durften, wurde Montessori von der Universität abgelehnt, da das Medizinstudium noch Männern vorbehalten war. Nach ihrem ersten Hochschulabschluss in Naturwissenschaften an der Universität Rom gelang es ihr schließlich doch, Medizin zu studieren – als eine der ersten fünf Frauen in Italien. Anschließend beobachtete sie bei ihrer Arbeit mit geistig und körperlich eingeschränkten Kindern an der psychiatrischen Klinik in Rom, dass Kinder erstaunliche Veränderungen in ihrem Verhalten erlangten, wenn sich die Bedingungen der Umgebung veränderten und diese auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Kinder abgestimmt wurden.
Förderung von Kunst und Kultur
„Als Gesundheitsbetrieb versteht die CBT Gruppe ihr Engagement als aktiv gelebte Bürgerschaft. Diese umfasst sowohl die Fürsorge für unsere Patienten, unsere unternehmerische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft als auch die Förderung von Kunst und Kultur. Mit den Projekten unserer CBT Kulturpraxis, wie dieser Ausstellung, wollen wir diese Anliegen verbinden“, erklärt PD Dr. med. Johannes Kruppenbacher. Ab dem 24.05.2021 wird die von Dr. André Körner kuratierte und von dem international ausgezeichneten Berliner Design Büro Lindhorst-Emmede gestaltete Ausstellung sechs Wochen lang auf dem Gelände der Universität Bonn ausgestellt. Im Rahmen der internationalen Tschechow-Woche ist „Mehr als Medizin?“ vom 9.07. bis 18.07.2021 Open Air im Literatur Salon Badenweiler und ab August bis Ende September 2021 ebenfalls Open Air im Weingut Kruppenbacher im rheinhessischen Jugenheim zu sehen. Führungen für Schulen und Universitäten sind in Planung.
Katja Möhrle