Nachdruck aus: Onkologe 26, 443– 448 (2020). Im Internet abrufbar https://doi.org/10.1007/s00761-020-00750-5 Online publiziert: 24. März 2020 © Springer Medizin Verlag
Onkologische Versorgung schließt die Behandlung von Patienten am Lebensende ein. Derzeit wird nach Einführung entsprechender Gesetze in einigen Ländern Beihilfe zur Selbsttötung durch Ärzte diskutiert („physician-assisted suicide“, PAS). In Deutschland ist ein Gesetz, das geschäftsmäßige Suizidhilfe unter Strafe stellte, kürzlich vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden [7]. Das Gericht fordert den Gesetzgeber auf, Begrenzungen und Missbrauch der Beihilfe zum Suizid neu und auf andere Weise zu regeln. Beihilfe zum Bilanzsuizid ohne Vorliegen einer Krankheit ist keine ärztliche Aufgabe. Doch gehört der Umgang mit suizidalem Begehren zu den unverzichtbaren Aufgaben bei der Betreuung von Patienten mit fortgeschrittener, lebensbedrohlicher Erkrankung.
Eine differenzierte normative Einordnung medizinischer Handlungen am Lebensende ist Grundlage der professionellen Integrität und Voraussetzung, eine angemessene ärztliche Haltung zum Verlangen, ärztliche Hilfe beim Suizid zu leisten, zu finden.
Medizinische Handlungen am Lebensende
Eine sachgerechte Beschreibung ärztlicher Handlungen am Lebensende ist Voraussetzung ihrer ethischen Bewertung. Unklare Begriffe befördern ethische Konflikte. Dies lässt sich am Begriff der passiven Sterbehilfe illustrieren. Dem Konzept wurde von den Befürwortern der Tötung auf Verlangen und der ärztlichen Suizidassistenz unterstellt, die Herbeiführung des Todes von Patienten am Lebensende zu intendieren [20].
Diese Zuschreibung beruht auf einem semantischen Missverständnis, d. h. der Zuordnung der Handlungsweise zu einer ethischen Bewertung (aktiv=verboten/ passiv=erlaubt) [21]. Dies ist jedoch handlungstheoretisch falsch.
»Bei der ethischen Bewertung einer Handlung ist die Intention wesentlich, nicht der Handlungsmodus«
Bei der ethischen Bewertung kommt es primär nicht auf deren Modus, sondern vielmehr auf die Intention an. Daher wurde das Konzept von einschlägigen Institutionen und Ärzteorganisationen zurückgewiesen [16, 17], ebenso von der deutschen Ärzteschaft. Die hat in Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung eine angemessene Terminologie etabliert [4, 5]. Am Lebensende ist es geboten, nicht mehr hilfreiche Therapien ebenso wie Behandlungen, die vom Patienten nicht gewünscht sind, zu beenden oder sie erst gar nicht aufzunehmen.
Diese Handlungsweise wird zutreffend als Änderung des Therapieziels beschrieben [5, 21, 22]. Diese Beschreibung erlaubt eine klare Abgrenzung von Handlungen, die den Tod herbeizuführen beabsichtigen, wie die Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe) und PAS.
Ebenso ungeeignet erweist sich der Begriff der indirekten aktiven Sterbehilfe. Mit ihm sollten Handlungen beschrieben werden, die zur Symptomlinderung eingeleitet werden, jedoch unbeabsichtigt den Tod des Patienten nach sich ziehen können. Als Beispiel wurde die Schmerztherapie mit Morphin angeführt. Doch gehören tödliche Nebenfolgen zu allen medizinischen Maßnahmen. In anderen Bereichen der Medizin sind sie zudem viel häufiger als in der Palliativmedizin und Schmerztherapie [8, 15, 29]. Wer das Konzept der indirekten aktiven Sterbehilfe beibehalten will, wäre gezwungen, viele Interventionen in der Medizin im Fall des Verwirklichens einer tödlichen Nebenfolge als indirekte aktive Sterbehilfe zu bezeichnen. Die Einordnung wäre absurd.
Professionelle Identität und Ethik verlangen, dass Ärztinnen und Ärzte wie auch Pflegende Handlungen normativ einzuordnen in der Lage sind. Im Infokasten sind einschlägige Begriffe definiert. Die Unterscheidung ist notwendig, um den ethischen Herausforderungen begegnen zu können [22].
Medizinische Handlungen am Lebensende – Definitionen | |
Handlung | Definition |
Aktive Sterbehilfe/Tötung auf Verlangen | Tötung eines Patienten durch medizinisch nicht indizierte Maßnahmen. |
Sterbehilfe | Unklarer Begriff. Er wird gebraucht zur Beschreibung von Handlungen mit Absicht, den Tod herbeizuführen, ebenso wie von Akten, die allein der Symptomlinderung dienen. |
Sterbebegleitung | Alle medizinischen, pflegerischen, psychologischen und seelsorgerischen Maßnahmen des Sterbebeistands und der Symptomlinderung. |
Ärztlich assistierter Suizid | Unterstützung der Selbsttötung von Patienten durch die Bereitstellung medizinischer Mittel. |
Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit | Handlungsweise eigener Art [24]. Bewusster Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit in der Absicht, das Sterben herbeizuführen. |
Palliative Sedierung | Reversible, in der Intensität kontrollierte Ausschaltung des Bewusstseins bei anders nicht zu behandelnden Symptomen. In vielen Fällen wirkt sie lebensverlängernd. |
Palliative Kultur als Wesensmerkmal medizinischer Praxis
Die ethische Auseinandersetzung um den PAS ist verknüpft mit der Frage angemessener Behandlung am Lebensende. Dazu gehört die Begrenzung lebenserhaltender Behandlungen bei Patienten mit irreversibler und weit fortgeschrittener Erkrankung. Bestünde eine unbedingte Behandlungspflicht in allen Krankheitslagen (abgesehen vom Recht der Patienten, Behandlungen zurückzuweisen), wäre die Medizin in vielen Fällen eine Hölle.
Es zählt vielmehr zur Routine ärztlicher Praxis, Behandlungen am Lebensende zu begrenzen bzw. nicht erst aufzunehmen. Dies ist empirisch belegt [27]. Die Einordnung der ärztlichen Suizidhilfe ist vor dem Hintergrund einer medizinischen Praxis zu sehen, die sich eine palliative Kultur zu eigen gemacht hat und den Zeitpunkt zu erkennen sucht, ab dem eine auf Lebensverlängerung oder Heilung ausgerichtete Therapie nicht mehr länger sinnvoll ist. Dann ändert sich das Ziel der Therapie hin zur ausschließlichen Linderung von Symptomen [5, 18]. Gesetzliche Rahmenbedingungen für die spezialisierte palliative Betreuung (ambulant/stationär) wurden erheblich verbessert.
PAS als Bestandteil ärztlicher Praxis?
In den Niederlanden, in Kanada, in neun Bundesstaaten der USA ist die Assistenz beim Suizid unter Beachtung bestimmter Kautelen straffrei und an den Nachweis einer fortgeschrittenen Erkrankung der Suizidwilligen gebunden [14]. In der Schweiz darf sie von Laien auch ohne Vorliegen einer Erkrankung angeboten werden [25]. Auch der Verein Sterbehilfe Deutschland (wie andere Vereine ebenso) hat in dieser Weise Beihilfe zum Suizid geleistet. In Deutschland hat der Gesetzgeber im Jahre 2015 geschäftsmäßige Suizidassistenz unter Strafe gestellt. Seitdem hatte der Verein seine Aktivitäten eingestellt. Jetzt wurde das Gesetz höchstrichterlich unter Verweis auf das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit aufgehoben. Das Gesetz schloss Straffreiheit der Suizidassistenz durch Ärzte im Einzelfall nicht aus, verbot aber PAS als Bestandteil regelhafter medizinischer Praxis. Doch erkennt das Gericht die Intention des Gesetzgebers an, Missbrauch des Angebots der Suizidhilfe zu unterbinden. Jetzt ist der Gesetzgeber aufgefordert, neue Regelungen zu formulieren. Aus ärztlicher Sicht stellt sich die Frage, ob es Gründe gibt, PAS als routinemäßigen Bestandteil ärztlicher Versorgung anzusehen.
»Die Mehrheit aller Ärzteorganisationen lehnt PAS als nicht vereinbar mit ärztlicher Tätigkeit ab«
Der Weltärztebund hat in Regionalkonferenzen im Jahr 2017 in allen Erdteilen Tötung auf Verlangen und PAS diskutiert. Mit großer Mehrheit wurde die Ablehnung beider Handlungen 2019 bestätigt und PAS als nicht vereinbar mit der ärztlichen Profession zurückgewiesen [30, 31]. Die überwältigende Mehrheit aller Ärzteorganisationen weltweit lehnt PAS als nicht vereinbar mit ärztlicher Tätigkeit ab. Der Deutsche Ärztetag hat PAS mit sehr großer Mehrheit zurückgewiesen [6].
Ungeachtet der jetzt ausstehenden gesetzlichen Regelung ist es notwendig, nach einer sachgerechten ärztlichen Haltung gegenüber suizidalem Begehren aus der Perspektive der Ethik in der Medizin zu fragen. Auch ist zu prüfen, ob durch die Rückweisung geschäftsmäßiger Assistenz beim Suizid die palliative Versorgung von Patienten behindert wird.
Umgang mit Suizid in einer freien Gesellschaft
Die Prüfung der Gründe, die für die Liberalisierung des PAS angeführt werden, setzt eine Unterscheidung voraus. Es geht nicht um eine Bewertung der Suizidhandlung, vielmehr allein um die der Beihilfe dazu. Die Freiheit der persönlichen Lebensführung, das Recht, das eigene Leben selbstbestimmt zu führen, schließt auch das Recht ein, das Ende des Lebens zu bestimmen. Dies ist verfassungsrechtlich garantiert. Daraus folgt aber nicht, dass die Suizidhandlung von der Gesellschaft positiv zu bewerten ist. Eine Gesellschaft, die gleichermaßen liberal und solidarisch zu sein beansprucht, muss die Existenz jedes ihrer Mitglieder seiner Nichtexistenz vorziehen. Dieses liberale Axiom ist u. a. säkulare Grundlage der Menschenrechte. Wer eine Suizidhandlung begeht, dokumentiert, aus dem Netz sozialer Beziehungen heraustreten zu wollen. Doch gilt dies nur für den freien, unbeeinflussten Entschluss zum Suizid, den Bilanzsuizid, der ohnehin nur eine sehr kleine Minderzahl aller Suizide ausmacht [10].
»Suizidhandlungen entziehen sich einer moralischen Bewertung, nicht aber die Assistenz beim Suizid«
Diese Überlegungen begründen die einzig angemessene Einstellung gegenüber Suizidhandlungen vom Typ des Bilanzsuizids: Die Suizidhandlungen entziehen sich einer moralischen Bewertung [21, 22]. Daherwerden Personen, die eine Suizidhandlung begehen, diese aber überleben, nicht bestraft und nicht moralisch geächtet. Es besteht vielmehr die Pflicht, Hilfe und Unterstützung anzubieten.
Die angemessene Haltung einer freien Gesellschaft zum Suizid ist, sich eines moralischen Urteils zu enthalten. Gleichzeitig folgt aus dem Axiom, Suizidhandlungen zu bedauern und keinesfalls zu befördern. Hierauf basiert das Eingriffsrecht staatlicher Institutionen, den Lebensschutz auch im Blick auf Suizide zu stärken.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sind die Gründe zu reflektieren, die für die Liberalisierung des PAS im Kontext der Medizin angeführt werden. Dabei sind grundlegende Argumente von aus der Praxis der Medizin abgeleiteten Motiven zu unterscheiden.
Grundlegende Argumente
Als grundlegende Argumente, die PAS rechtfertigen sollen, werden angeführt: das Recht auf selbstbestimmte Lebensführung einerseits, die Konstatierung eines Leidenszustands andererseits, dem durch Beihilfe zum Suizid zu begegnen sei [2, 28]. Beide Argumente sind eng verbunden, da Ersteres fast ausnahmslos mit Letzterem verknüpft wird. Das Bestreben einiger Institutionen und Autoren wie auch des Verfassungsgerichts, Suizidassistenz ohne Vorliegen einer Erkrankung zu liberalisieren, muss hier nicht thematisiert werden.
Die Berufung auf die Selbstbestimmung erweist sich als widersprüchliches Argument, sofern sie – wie im Zusammenhang der Praxis der Medizin nahezu ausnahmslos vorgetragen – nur dann gelten soll, wenn Personen bei unheilbarer schwerer Erkrankung nahe dem Lebensende sind. Denn dies bedeutet, dass eine Prüfung erfolgen muss, um einen solchen Leidenszustand zu konstatieren. Dies sollen Ärzte bestätigen. Damit wird die Selbstbestimmung an eine Genehmigungspflicht geknüpft. Dies hebt sie auf. Für die Onkologie bedeutet dies, dass Ärzte gehalten sein sollen, die Unerträglichkeit von Leidenszuständen zu bescheinigen und nachzuvollziehen. Damit machen sie sich den Todeswunsch der Patienten selbst zu eigen und sind Faktor, der das suizidale Begehren unterstützt [26]. Dies widerspricht ärztlicher Ethik und dem erläuterten grundlegenden Axiom.
Das zweite Argument zielt auf die Annahme eines unerträglichen Leidenszustands. Dies ist Voraussetzung der entsprechenden Gesetzgebung zur Liberalisierung in den Niederlanden, Kanada und acht Bundesstaaten der USA. Die Annahme geht einher mit einer Geringschätzung der Möglichkeiten palliativer Medizin. Von Patienten als nicht erträglich eingeschätzte Leidenszustände sind immer einer Therapie zugänglich, und sei es durch eine vorübergehende, reversible palliative Sedierung [9, 18, 22].
Medizinische Kriterien, die die Zuschreibung von Zuständen als „nicht erträglich“ erlauben, existieren nicht. Mithin ist die Rechtfertigung des PAS aufgrund solcher ärztlichen Einschätzung nicht vertretbar. Sie setzen ein medizinisches Urteil voraus, das den Todeswunsch rechtfertigt. Wie schon ausgeführt, widerspricht dies der ärztlichen Ethik. Dort, wo Beihilfe zur Selbsttötung liberalisiert ist oder gar auch die Tötung auf Verlangen, entsteht notwendig die Nachfrage nach Einrichtungen, die beides gewähren in dem Fall, wenn Ärzte aufgrund ihrer Beurteilung des Zustands der Patienten dem suizidalen Begehren nicht nachzugeben bereit sind [12, 14]. Dies belegt, dass eine solche Einschätzung kein medizinisches Fachurteil ist. Hinzu kommt die Beobachtung, dass Patienten in ihrer Ambivalenz im Blick auf Selbsttötung die Zustimmung von Ärzten erwarten. Dies wird bestätigt durch die Tatsache, dass die Zahl der Personen, die zur Selbsttötung aus Deutschland in die Schweiz reisten, sehr gering ist, obgleich die Mehrzahl reisefähig ist [19]. Doch in der Ambivalenz wird ärztliche Zustimmung zum ausschlaggebenden Faktor, was professioneller Ethik widerspricht.
Rechtfertigung des PAS aus der medizinischen Praxis?
Eine Reihe von Gründen wird angeführt, die aus den Erfahrungen ärztlicher Praxis heraus PAS im Ausnahmefall dennoch rechtfertigen sollen. Es wird behauptet, dass das Angebot des PAS das Vertrauen von Patienten zu Ärzten zu stärken vermag. Für diese Annahme gibt es keine empirischen Belege. Das Umgekehrte ist der Fall. Denn das Angebot der Suizidassistenz setzt vulnerable Patienten einem Risiko aus. Dies lehrt die Suizidforschung. Jeder Suizidhandlung geht eine lange Phase der Ambivalenz voraus. Das Angebot selbst unterstützt in dieser Phase die suizidale Neigung. In Deutschland werden jedes Jahr 100.000 Suizidhandlungen begangen. Nur in 10.000 Fällen ist der Suizid komplett, die Suizidenten versterben in Folge. Von den übrigen 90.000 wiederholt die überwältigende Mehrzahl die Handlung nicht. Das Angebot der Suizidassistenz in dieser Phase stellt mithin eine große Gefährdung dar.
»Suizidhandlungen sind kontagiös«
Außerdem lehrt die Suizidforschung, dass Suizidhandlungen kontagiös sind. Dies ist als Werther-Effekt seit der Veröffentlichung von Goethes berühmtem Roman bekannt [11]. Nach der Übertragung der Beerdigung des Nationaltorhüters Enke, der durch Suizid starb, stieg die Suizidrate in Deutschland vorübergehend. Dieses Phänomen ist seit Langem bekannt. Dies ist u. a. auch Grund, in der Presse nur verhalten über solche Handlungen zu berichten. Das Angebot ärztlicher Suizidassistenz als Teil medizinischer Praxis stellt auch in dieser Hinsicht einen Risikofaktor da.
Drüber hinaus wird behauptet, das Angebot der Suizidassistenz könne präventiv wirken und die Rate an Suiziden senken. Diese Annahme hat sich als falsch erwiesen. Die Zahl so genannter Gewaltsuizide (durch Strangulieren, Schusswaffen, Ertränken) wird durch das Angebot der Suizidassistenz nicht gesenkt [14, 25]; dies ist hinreichend belegt durch empirische Forschung in den Ländern, in denen Suizidassistenz liberalisiert ist.
Darüber hinaus wird von Ärzten, etwa aus den Niederlanden, behauptet, das Angebot der Suizidassistenz sei ein Akt der Freundschaft für Patienten, die sie als Hausärzte sehr lange begleitet haben. Diese Argumentation ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert und dokumentiert eine Grenzüberschreitung. Diese lässt sich erläutern anhand des palliativen Paradoxes [1]. Ärztekodizes verbieten es Ärzten ausnahmslos, mit ihren Patienten sexuelle Beziehungen einzugehen. Dies gilt selbst bei Einwilligung. Hintergrund ist die grundsätzliche Asymmetrie der Patienten-Arzt-Beziehung. Die Gefahr des Missbrauchs aufgrund der Asymmetrie der Machtverteilung ist zu groß. Es ist aber absurd, mit Zustimmung erfolgende sexuelle Handlungen an Patienten für nicht vereinbar mit der ärztlichen Ethik zu halten, gleichzeitig jedoch die Hilfe bei der Tötung als Freundschaftsdienst zu deuten. Das Bild des Freundschaftsdiensts entlarvt ein Missverständnis der professionellen Rolle. Ärztinnen und Ärzte sollen empathische, mitfühlende, sorgende und professionell engagierte Begleiter ihrer Patienten sein. Sie sind aber nicht deren intime Freunde. Dies ist eine Grenzüberschreitung, die ärztliches Handeln fehlleitet.
Empirische Untersuchungen zur Liberalisierung der Suizidassistenz
Die empirische Begleituntersuchung zur Tötung auf Verlangen und Assistenz beim Suizid belegt in allen Ländern, dort wo sie liberalisiert sind, einen Anstieg der Fallzahlen. Allerdings tritt dieser Anstieg mit einer Zeitverzögerung ein [3]. Gleich den Spätfolgen medikamentöser Therapie steigen die Zahlen assistierten Suizids im Verlauf an. Dies gilt auch für den Bundesstaat Oregon und etwa die Schweiz [12, 14, 25].
Hochgerechnet auf die Bundesrepublik Deutschland wäre, konservativ geschätzt, mit einem Anstieg der Suizide um etwa 8.000 Fälle pro Jahr anzunehmen. Die Liberalisierung der Suizidassistenz steigert die Letalität durch Suizide. Die Gründe, die für eine Liberalisierung des PAS angeführt werden, haben sich als nicht überzeugend herausgestellt. Die Empirie zeigt einen deutlichen Anstieg der Zahl von Suiziden, eine exzessive Letalität, die durch das Angebot bedingt ist, denn das Angebot der Suizidassistenz ist ein unabhängiger Risikofaktor für Suizidhandlungen [13].
Diese Befunde und die aufgeführten ethischen Argumente sind Hintergrund der Entscheidung des Weltärztebundes, seine Ethik-Richtlinien nicht zu ändern [30]. Gleiches gilt für die Deutschen Ärztetage, die die Beihilfe zum Suizid ebenfalls als nicht vereinbar mit der professionellen Ethik zurückweisen.
Auf staatlicher Ebene wurde das jetzt aufgehobene Verbot geschäftsmäßiger Suizidassistenz als ein Akt der abstrakten Gefahrenabwehr begründet. Für die ausstehende neue gesetzliche Regelung gilt zu beachten, dass das Angebot selbst ein Risikofaktor ist, dem der Staat und die Gesellschaft mit gutem Grund zum Lebensschutz begegnen können. Ob und wie dies auf andere gesetzliche Weise gelingen kann, wird Gegenstand eines neuen Gesetzgebungsverfahrens sein. Änderungen der staatlichen Gesetzgebung sind jedoch kein Anlass, Prinzipien ärztlicher Ethik aufzugeben. Denn niemand ist verpflichtet, Suizidhilfe zu leisten [7].
Keine Einschränkung palliativer Medizin
Die Rückweisung der Suizidhilfe durch die verfasste Ärzteschaft (Bundesärztekammer) schränkt entgegen anderslautenden Behauptungen die Palliativmedizin nicht ein. Die kunstgerechte Behandlung mit morphinhaltigen Schmerzmitteln und Sedativa muss sachgerecht indiziert werden, hier mit dem Ziel der Symptomlinderung. Eine solche Behandlung verkürzt in aller Regel das Leben nicht und zeitigt viel seltener tödliche Nebenfolgen als andere etablierte Interventionen in der Praxis der Medizin.
Die sozial adäquate Verschreibung der Notwendigkeit angemessener Mengen von Morphin ist zudem auch rechtlich unbedenklich [23]. Dies galt auch für die mehr als vier Jahre, in denen das nun aufgehobene Verbot der Suizidhilfe gültig war.
Umgang mit suizidalem Begehren
Ungeachtet der obigen Ausführungen der Rückweisung der Beihilfe zur Selbsttötung aus medizinethischer Sicht besteht die Pflicht, mit suizidalem Begehren im klinischen Alltag angemessen umzugehen. Keinesfalls ist es gerechtfertigt, solches Begehren und Wünsche von Patienten zu negieren. Vielmehr ist es angezeigt, in diesen Fällen eine Beziehung zu den Betroffenen aufzubauen [9]. Ihnen ist zuzusichern, dass ihre Wünsche nach Begrenzung der Therapie geachtet werden. Die Patienten müssen professionell und kompetent palliativ betreut werden. Dabei sind spirituelle und soziale Bedürfnisse einzubeziehen und psychologische Hilfestellung zu gewährleisten. Alle Erfahrungen weisen aus, dass bei solchem Verhalten suizidales Begehren in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle verschwindet. Bleibt es bestehen, besteht dennoch kein Anlass, Beihilfe zum Suizid zu gewähren. Die Erfahrung zeigt, dass diese Haltung im klinischen Alltag keine konfliktbehafteten Situationen heraufbeschwört. Vielmehr ist die eindeutige Positionierung im ärztlichen Alltag und der medizinischen Praxis unter Beachtung der Prinzipien einer palliativen Kultur ethisch gut fundiert und hat sich in der Praxis bewährt. Sie schafft zudem Vertrauen. Der Aufbau einer Beziehung zum Patienten und die Zusicherung der Sorge kann als ein Vertrag gegen den Suizid bezeichnet werden. Dies ist eine etablierte Strategie, suizidalem Begehren menschlich und empathisch zu begegnen.
Fazit für die Praxis
- Ungeachtet einer ausstehenden und vom Bundesverfassungsgericht aktuell angeratenen neuen Regelung zur Suizidhilfe ist die Beihilfe zum Suizid als ärztliche Handlung abzulehnen.
- Sie widerspricht etablierten Prinzipien medizinischer Ethik.
- Die Rückweisung des PAS ist ein Akt der Gefahrenabwehr, denn das Angebot selbst ist ein Risikofaktor, der Suizidhandlungen induziert.
- Medizinisch besteht keine Notwendigkeit, suizidalem Begehren Folge zu leisten.
- Dies setzt allerdings eine Kultur medizinischer Praxis voraus, die Grenzen der Behandlung achtet und umfassende palliative Betreuung bereitstellt.
- Die Rückweisung ärztlich assistierten Suizids steht zudem in guter Übereinstimmung mit Prinzipien des Weltärztebundes.
Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Stephan Sahm, Dr. Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Goethe-Universität, Frankfurt/M., Medizinische Klinik I, Ketteler Krankenhaus Offenbach, E-Mail: s.sahm@ketteler-krankenhaus.de
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Literaturhinweise finden Sie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ in der PDF-Version dieses Artikels.
Lesen Sie dazu auch den Beitrag in Ausgabe 04/2020, S. 237 „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum § 217 StGB erschüttert das humanistische Menschenbild“ von Prof. Dr. med. Martin Teising und Prof. Dr. med. Reinhard Lindner.