Die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen wird seit 1997 durch das Transplantationsgesetz (TPG) geregelt. Hierzu gehört auch die Organentnahme bei lebenden Personen, die so genannte Lebendspende. Sie ist nur unter engen allgemeinen Voraussetzungen (z. B. Volljährigkeit und Einwilligungsfähigkeit) und medizinischen Vorgaben (z. B. absehbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen) möglich. Über diese Lebendspenden muss die sogenannte Kommission Lebendspende gutachterlich Stellung nehmen und die Spenderin/den Spender anhören. Die Aufgaben der „Kommission Lebendspende“ wurden vom Sozialministerium in Wiesbaden der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) übertragen, die daraufhin die Kommission in Absprache eingerichtet hat.
Die „Kommission Lebendspende“ hatte ihre konstituierende Sitzung am 17. Januar 2001. Gemäß § 2 des hessischen Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes (HAGTPG) besteht die Kommission aus drei Mitgliedern (Abs. 1), und für jedes Kommissionsmitglied wird ein stellvertretendes Mitglied bestellt (Abs. 2). Die Mitglieder werden für die Dauer von drei Jahren gewählt (Abs. 3). Sie werden vom Präsidium im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration berufen. Zu den Mitgliedern gehört eine Ärztin bzw. ein Arzt, die/der weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt ist und auch nicht Weisungen eines anderen Arztes untersteht, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, ferner eine Person mit der Befähigung zum Richteramt sowie einer Person, die in psychologischen Fragen erfahren ist. In Hessen wird die letztgenannte Position mit einer Fachärztin bzw. einem Facharzt für Psychosomatische Medizin besetzt. Den Vorsitz der „Kommission Lebendspende“ hat die Person mit der Befähigung zum Richteramt inne.
Die „Kommission Lebendspende“ nimmt gutachterlich Stellung, „ob begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einwilligung des Spenders in die Lebendspende nicht freiwillig erfolgt oder das zu spendende Organ Gegenstand verbotenen Handeltreibens ist“. In Bezug auf die Freiwilligkeit der Spender muss sich die Kommission ein Bild davon machen, ob es sich tatsächlich um eine eigene Entscheidung der Organspenderin/des -spenders handelt und sie/er abzuschätzen vermag, was dieser Schritt für die eigene Gesundheit bedeuten kann.
Die häufigsten Lebendspenden sind Lebendnierenspenden. Selten sind die Fälle einer Teilleberlebendspende. Die Lebendspende ist nur zulässig zur Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder anderen Personen, die dem Spender in besonderer, persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen. Eine Organentnahme darf erst durchgeführt werden, wenn Organspender und -empfänger sich zu einer ärztlichen Nachbetreuung bereit erklärt haben. Die Anträge werden von den vier hessischen Transplantationszentren (Frankfurt, Fulda, Gießen und Marburg) an die „Kommission Lebendspende“ eingereicht. Um die Antragstellung für die Zentren zu erleichtern, wurde von der Kommission ein Antragsformular sowie Empfehlungen für das psychologische Gutachten erarbeitet. Bei eingereichten Anträgen, bei denen Spender nicht der deutschen Sprache mächtig sind, wird ein unabhängiger Dolmetscher (also kein Familienangehöriger oder Bekannter) hinzugezogen.
Die „Kommission Lebendspende“ hat seit 2001 bis Dezember 2020 in 225 Anhörungen insgesamt 812 Anträge der Transplantationszentren begutachtet. Hierbei handelt es sich meistens um Anträge auf Lebendnierenspende. Von diesen 812 Anträgen war ein Antrag auf eine Dünndarmteilspende und 13 Anträge auf eine Teilleberspende zu begutachten (siehe Tab. 1). Die meisten Lebendnierenspenden finden zwischen Ehegatten sowie zwischen Eltern und ihren Kindern statt (siehe Tab. 2).
Tab. 1: Übersicht über die Anhörungen der Kommission Lebendspende seit 2001: | |
Jahr | Anzahl Anhörungen |
2001 | 9 |
2002 | 10 |
2003 | 10 |
2004 | 12 |
2005 | 11 |
2006 | 12 |
2007 | 11 |
2008 | 11 |
2009 | 12 |
2010 | 12 |
2011 | 11 |
2012 | 12 |
2013 | 12 |
2014 | 11 |
2015 | 12 |
2016 | 12 |
2017 | 11 |
2018 | 12 |
2019 | 12 |
2020 | 9 |
Insgesamt | 225 |
Tab. 2: Übersicht über die Verwandtschaftsgrade seit 2001: | |
Verwandtschaftsgrad | Anzahl |
Ehefrau/Ehemann | 176 |
Ehemann/Ehefrau | 94 |
Mutter/Tochter | 70 |
Mutter/Sohn | 84 |
Vater/Tochter | 38 |
Vater/Sohn | 55 |
Sohn/Mutter | 2 |
Tochter/Mutter | 5 |
Tochter/Vater | 4 |
Sohn/Vater | 3 |
Schwester/Bruder | 44 |
Bruder/Schwester | 22 |
Bruder/Bruder | 47 |
Schwester/Schwester | 31 |
Großmutter/Enkel | 2 |
Weitere Spenderinnen und Spender mit besonderer Verbundenheit | 89 |
Neben den in der Regel monatlich stattfindenden Anhörungen der „Kommission Lebendspende“ findet einmal im Jahr ein Erfahrungsaustausch der Kommission mit den hessischen Transplantationszentren statt. Dort werden rechtliche Änderungen, Spezialfälle und eine Evaluation der Organspenden des vergangenen Jahres besprochen.
Wir gratulieren der „Kommission Lebendspende“ zum 20-jährigen Bestehen und hoffen auf eine weitere gute Zusammenarbeit.
Olaf Bender, Miriam Mißler, Landesärztekammer Hessen
Fallbeispiele für Lebendspenden
Fall 1: Unter Geschwistern
Ein 48-jähriger Mann möchte seinem Bruder eine Niere spenden, um ihm wieder zu einer besseren Lebensqualität zu verhelfen und ihm die Dialyse zu ersparen. Er selbst leidet unter einer chronischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis und ist sich seiner begrenzten Belastbarkeit bewusst. Nach eigener Einschätzung sei es für ihn jedoch die größte Belastung, wenn er seinem Bruder nicht helfen könne, weil dieser Bruder eine sehr wichtige Person in seinem Leben war und ist. In einem Netz von Struktur und Halt gebender Unterstützung durch einen Betreuer, Psychotherapeuten und Psychiater hat er sich mit seinem Wunsch, dem Bruder eine Niere zu spenden, und den damit verbundenen Risiken ausführlich auseinander gesetzt. Gemeinsam waren sie zu der Einschätzung gekommen, dass er eine Organspende bewältigen kann. Auch durch seine Familie hat er sehr viel Zuwendung und Verständnis erfahren. In der Anhörung hat sich die Kommission ein Bild davon gemacht, ob der potenzielle Spender seine Entscheidung freiwillig getroffen hat, ob er sich der Tragweite bewusst ist und sich den damit verbundenen Belastungen gewachsen fühlt. Da er in einem verlässlichen Unterstützungssystem gut eingebunden ist, gab es keine Einwände der Kommission gegen die Lebendnierenspende, trotz der psychischen Erkrankung.
Fall 2: Unter Freunden
Zwei Freundinnen stellen sich im Transplantationszentrum vor, beide haben Familie und Kinder. Man kenne sich seit der Schulzeit, fahre gemeinsam in Urlaub und auch die Kinder seien miteinander befreundet. Die Erkrankung einer der Freundinnen habe das Leben aller verändert, deshalb habe ihre langjährige Freundin sich im Tx-Zentrum auf eine mögliche Nierenspende untersuchen lassen. Eine Organspende von Personen, die dem Spender in besonderer, persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen, ist laut Gesetz zulässig. Die Kommission ist in der Anhörung zur Einsicht gelangt, dass die Spenderin freiwillig entschieden habe, ein besonders Näheverhältnis vorliegt und das Risiko der Lebendnierenspende berücksichtigt wurde.
Auch Ablehnungen möglich
Natürlich gibt es auch Fälle, die nicht befürwortet werden. Hier handelt es sich meist um Spender, die sich unter offensichtlichem oder verstecktem Druck der Empfänger fühlen. Dies schlägt sich dann oft in einer hochambivalenten Ausführung nieder, sodass zumindest eine Bedenkzeit nötig erscheint. In anderen Fällen ist es offensichtlich, dass die potenziellen Spender der Spende in keiner Weise gewachsen scheinen.