Egal, welche Koalition unser Land zukünftig regieren wird, sie wird große Aufgaben zu bewältigen haben. Damit meine ich nicht nur das Megathema Klimawandel, sondern auch die Gesundheitsversorgung. Auch wenn das Thema Gesundheit im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat, sind hier Kreativität und Lösungswille in erheblichem Maß gefordert.
Das Finanzpolster der Gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht mehr vorhanden, im Gegenteil. Sollen die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht steigen, um eine weitere Belastung der Wirtschaft zu vermeiden, muss der Bund seine Zuschüsse steigern. Forderungen nach mehr Geld vom Bund kommen aber natürlich auch aus anderen Ecken. Erwähnt seien nur die Rentenversicherung, die Pflegeversicherung, der Verkehr, Bildung und natürlich der Klimaschutz.
Damit dürfen wir uns auch im Gesundheitswesen einmal mehr auf schwierige Zeiten einstellen. Den „Wohltaten“ aus den Zeiten der Gesundheitsminister Gröhe und Spahn dürften kaum weitere folgen, zumal Erstere weiterhin dauerhaft finanziert werden müssen. Das verspricht ein hartes Ringen um die Budgets im vertragsärztlichen Bereich genau wie im stationären Bereich. Ein hartes Ringen wird es auch um die zwingend notwendige Verabschiedung der neuen GOÄ geben. Es bedarf keiner wahrsagerischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass hier große Überzeugungskraft notwendig sein wird, um die voraussichtlich zukünftig regierende Ampelkoalition zu diesem Schritt zu bewegen. Übrigens konnten Prof. Günter Neubauer und Dr. Christof Minartz vom Münchener Institut für Gesundheitsökonomik in einer Untersuchung des ambulanten Sektors in Frankreich, Österreich und der Schweiz einmal mehr zeigen, dass eine moderne, amtliche Gebührenordnung ein guter Verbraucherschutz für die Patientinnen und Patienten ist, da sie für privatärztliche Rechnungen einen klaren Rahmen vorgibt, den diese Länder so nicht kennen.
Weiterhin ungelöst ist die Reform der Notfallversorgung genau wie die Zukunft der stationären Versorgung und auch das Thema eHealth ist noch längst nicht so weit, wie wir uns das wünschen. Ein echter Mehrwert für die ärztliche Versorgung ist noch nicht in Sicht. Nicht zuletzt sind alle diese Reformen nicht umsonst zu haben. Wer langfristig sparen will, muss in aller Regel zuvor investieren. Das gilt selbstredend auch für den Klimaschutz, mit dem sich der Deutsche Ärztetag am 1./2. November schwerpunktmäßig befassen wird. Die Beschlüsse, die die Abgeordneten dort fassen werden, können ggf. auch finanzielle Konsequenzen für die Landesärztekammern haben.
Relativ kostenarm dürfte hingegen die Verringerung der leider immer noch überbordenden Bürokratie sein. Gerade bei dem sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel, sei es in der Medizin oder in der Pflege, dürfen überflüssige Dokumentationen und Formulare keine Zeiten binden, die dann in der Versorgung der Patientinnen und Patienten fehlen. Hier muss es endlich einen Ruck geben.
All dies zeigt, dass die ärztliche Fachexpertise endlich Gehör finden muss, und dies nicht nur durch die 15 Ärztinnen und Ärzte, die dem neuen Deutschen Bundestag als Abgeordnete angehören, sondern vor allem über die Landesärztekammern, die alle Ärztinnen und Ärzte vertreten. Auch die Kammern sind dem Gemeinwohl verpflichtet und betreiben keineswegs eine reine Klientelpolitik.
Das haben sie nicht zuletzt in der noch immer nicht beendeten Coronapandemie bewiesen und beispielsweise Impfärztinnen und -ärzte gewonnen. Doch gerade das Thema Corona, das kaum einen unberührt lässt, zeigt, dass wir auch innerhalb der Ärzteschaft an unserer Diskussionskultur arbeiten müssen. In den vergangenen Monaten habe ich Post von beiden Extrempositionen erhalten. Während die einen den Untergang des Abendlandes herannahen sehen, leugnen die anderen jedwede Gefährdung durch SARS-CoV-2. Weder das eine noch das andere trifft zu, doch es zeigt, wie schwer es auch für Kolleginnen und Kollegen ist, seriöse und belastbare Quellen zu finden, um sich aktuell zu informieren. In erster Linie kommen da nach wie vor die Fachgesellschaften und die ärztliche Presse in Betracht. Quellen wie Youtube, Facebook, Instagram, Telegram oder Ähnliche sollten – wenn überhaupt – nur nach sorgfältigster Prüfung auf Zuverlässigkeit und Seriosität herangezogen werden. Auch die Veröffentlichung von Studien auf den sogenannten Preprintservern hat zwar den Vorteil, dass Informationen sehr schnell zur Verfügung gestellt werden können, birgt aber eben auch den Nachteil, dass Ergebnisse voreilig publik werden, die einem Peer Review nicht Stand halten. Auch wenn danach keine weitere Veröffentlichung erfolgt, sind diese Ergebnisse dann im Umlauf und können Fehlinterpretationen befeuern. Wie heißt es so schön? Das Netz vergisst nichts. Auch in der Wissenschaft müssen Lehren aus der Pandemie gezogen werden.
Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident