Wie die Zeit vergeht, schoss es mir kürzlich beim Blick auf den Kalender in den Sinn. Seit zwei Jahren habe ich die Ehre und die Verpflichtung, die Landesärztekammer Hessen und ihre mehr als 38.000 Mitglieder vertreten zu dürfen. Vielleicht denken Sie jetzt, dass dies ein langweiliger Job als Frühstücksdirektor in einer Verwaltung ist. Weit gefehlt!
Bevor ich vor vielen Jahren begann, mich aktiv in der Berufspolitik zu engagieren, dachte ich das zugegebenermaßen aber selbst auch. Wenn ich diese beiden Jahre Revue passieren lasse, stellt sich das jedoch gänzlich anders dar und wäre auch ohne die vielen Herausforderungen, die die Coronapandemie mit sich bringt, nicht anders. Hier möchte ich die Gelegenheit nutzen und dem Team der Landesärztekammer Hessen herzlich für das außerordentliche Engagement und die Unterstützung dabei danken. Meinen tief empfundenen Dank und Respekt zolle ich selbstredend allen Kolleginnen und Kollegen, Pflegekräften, Medizinischen Fachangestellten, den Gesundheitsämtern, den zahlreichen Krisenstäben und allen Bürgerinnen und Bürgern, die in dieser außergewöhnlichen Situation mal anpackend, mal besonnen, mal ermunternd, mal zuhörend dafür gesorgt haben, dass uns die Situation in Deutschland nicht entglitten ist. Wenn wir diesen Weg gemeinsam weiter verfolgen, bin ich zuversichtlich, dass der Weg aufwärts und nicht in den Abgrund führt. Auch in den Schulen soll es nach den Sommerferien wieder aufwärts gehen, um unseren Kindern wieder einen möglichst „normalen“ Schulalltag zu bieten – keine einfache Aufgabe. Die Wiedereröffnung der Schulen halte ich übrigens für wesentlich wichtiger als die Öffnung der Fußballstadien oder andere Großveranstaltungen.
In den vergangenen Monaten haben viele Lehrkräfte mit großem Engagement und sozusagen aus dem Stand heraus versucht, den Unterricht aus dem Homeoffice aufrechtzuerhalten. Auch das war keine einfache Aufgabe, denn Teleunterricht ist in Deutschland ebenso wenig eine Selbstverständlichkeit wie Telemedizin und sieht sich den vergleichbaren Schwierigkeiten und Beschränkungen gegenüber. Hier werden die Coronahilfen in der EU und in Deutschland hoffentlich endlich zu spürbaren Fortschritten führen. Statt fraglicher Versuche, eHighways für Schwerlastkraftwagen zu testen – ca. 15 Mio. Euro kostet allein die kurze Versuchsstrecke auf der A 5 zwischen Frankfurt und Darmstadt – sollten Bildung, Gesundheit und Digitalisierung für alle intensiv gefördert werden. Bildung habe ich bewusst an die erste Stelle gesetzt, denn es gibt keine Zweifel, dass sich die Gesundheit mit steigendem Bildungsgrad verbessert. Beides kann durch flächendeckend vorhandene Digitalisierung erheblich unterstützt werden. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, betone ich, dass weder Teleunterricht noch Telemedizin den Vorrang vor Präsenzunterricht und „Präsenzmedizin“ erhalten sollten. Menschen, gleich ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, sind soziale Wesen und brauchen den zwischenmenschlichen Kontakt und die Interaktion. In diesem Sinne möchte ich auch Lehrerinnen und Lehrer, die die Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs ablehnen, ermutigen, ihre Haltung zu überdenken. Unter Einhaltung der bekannten Verhaltensregeln halte ich die Aufnahme des Präsenzunterrichts für geboten und vertretbar. Gleichzeitig appelliere ich eindringlich an alle Risikogruppen, zu denen medizinisches Personal, aber auch Lehrkräfte gehören, sich frühzeitig gegen Grippe impfen zu lassen.
Es sei noch kurz daran erinnert, dass allen Ärzten das Impfen der von der STIKO empfohlenen Schutzimpfungen ohne Fachgruppeneinschränkung seit 1. März 2020 möglich ist. So dürfen Gynäkologen beispielsweise nicht nur die Patientin, sondern auch deren Partner impfen. In Nicht-Coronazeiten boten auch einige Gesundheitsämter Impfungen und vorherige Beratung an, während andere dies schon seit vielen Jahren nicht mehr anbieten. Ein kleines, aber durchaus bezeichnendes Beispiel, wie heterogen die hessische Landschaft der Gesundheitsämter ist, denn die Zuständigkeit liegt auf der Kommunalebene. Abgesehen von dem zu Recht beklagten Mangel an ärztlichem Personal liegt das neben dem jeweiligen Füll- oder leider auch Leerstand der Gemeindekasse auch an unterschiedlichen Präferenzen und Organisationsformen. So nachvollziehbar und verständlich kommunaler Föderalismus auch ist, so unübersichtlich hat sich die Situation in jüngster Zeit dargestellt. Kolleginnen und Kollegen, die es wegen der Lage ihrer Praxis mit unterschiedlichen Gesundheitsämtern zu tun hatten, können ein Lied davon singen. Das muss sich ändern. Wir brauchen klare und nachvollziehbare Vorgehensweisen, Zuständigkeiten und Ansprechpartner.
Habe ich nicht gesagt, dass mir nicht langweilig wird?
Genau wie Ihnen.
Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident