Teil 9: Die externe Qualitätssicherung – einrichtungs- und sektorenübergreifend

Verpflichtende Qualitätssicherungsmaßnahmen, wie in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses beschrieben, bilden eine wichtige Grundlage für die Patientensicherheit in Deutschland. Dazu gehört auch die externe Qualitätssicherung [1]. Was steckt hinter diesem Begriff? Welche Akteure, Verfahrensschritte und Handlungen sind damit verknüpft? Dr. med. Friedemann Woernle und Dr. med. Björn Misselwitz von der Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen (GQH) erläutern in Teil 9 der Serie, wie sich diese Maßnahmen auf die Sicherheit in der Patientenversorgung auswirken.

Die Geschichte der externen vergleichenden Qualitätssicherung in Deutschland reicht mit der „Münchner Perinatalstudie“ bis in die 1970er-Jahre zurück [2]. Heute ist sie im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) verankert. Gemäß § 136 SGB V erlässt der von Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung, Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gebildete Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die für die Qualitätssicherung erforderlichen Richtlinien für Krankenhäuser und die vertrags(zahn-)ärztliche Versorgung.

Richtlinien für die Qualitätssicherung

Zielte die erstmalig 2007 in Kraft getretene „Richtlinie über Maßnahmen der Qualitätssicherung in Krankenhäusern“ (QSKH-RL) [3] noch auf die Qualitätsverbesserung ausschließlich in Krankenhäusern ab, so bezieht seit 2019 die „Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung“ (DeQS-RL) [4] ausdrücklich auch die an der vertragsärztlichen oder vertragszahnärztlichen Versorgung beteiligten Leistungserbringer mit ein. In diesen Richtlinien ist jeweils festgelegt, in welchen medizinischen Leistungsbereichen welche Daten erfasst werden, welche Qualitätsindikatoren daraus berechnet werden und wie mit auffälligen Ergebnissen umzugehen ist. Weitere Regelungen können in Landesvereinbarungen getroffen werden. Eine Übersicht über die bundesweit und in Hessen erfassten Leistungsbereiche zeigt Tabelle 1.

Tab. 1.: Übersicht über die aktuellen externen Qualitätssicherungsverfahren

QSKH-RL

Ambulant erworbene Pneumonie

Gynäkologische Operationen

Herzschrittmacherversorgung

Hüftendoprothesenversorgung

Hüftgelenknahe Femurfraktur mit osteosynthetischer Versorgung

Implantierbare Defibrillatoren

Karotis-Revaskularisation

Knieendoprothesenversorgung

Mammachirurgie

Perinatalmedizin (Geburtshilfe, Neonatologie)

Pflege: Dekubitusprophylaxe

Landesverfahren in Hessen

Multiresistente Erreger (MRE)

Schlaganfall: Akutbehandlung

Schlaganfall: Frührehabilitation (Phase B)

Schlaganfall: Rehabilitation (Phase C/D)

DeQS-RL

Perkutane Koronarintervention und Koronarangiographie

Vermeidung nosokomialer Infektionen – postoperative Wundinfektionen

Cholezystektomie

Nierenersatztherapie bei chronischem Nierenversagen einschließlich Pankreastransplantationen

Transplantationsmedizin

Koronarchirurgie und Eingriffe an Herzklappen

Aufgabenverteilung in der externen Qualitätssicherung

Zur Umsetzung der Vorgaben der vom G-BA erlassenen Richtlinien sind sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene entsprechende Institutionen eingesetzt (siehe Abb. 1): Das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) [5] entwickelt im Auftrag des G-BA die bundesweit anzuwendenden Qualitätssicherungsverfahren und insbesondere die für die Berechnung der Qualitätsindikatoren erforderlichen Rechenregeln. Inhaltlich wird es dabei von Expertengremien beraten. Des Weiteren beteiligt sich das IQTIG selbst auch an der Durchführung von Qualitätssicherungsverfahren (bundesbezogene Verfahren wie Transplantationsmedizin bzw. Herzchirurgie). Auf Landesebene sind für die Durchführung der (landesbezogenen) Verfahren Landesarbeitsgemeinschaften eingesetzt. Auch diese werden durch Fachkommissionen inhaltlich beraten, insbesondere bei der Bewertung von auffälligen Indikatorergebnissen. Verantwortlich gegenüber dem G-BA für die ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinien auf Landesebene ist ein Lenkungsgremium. Stimmberechtigte Mitglieder im Lenkungsgremium sind Vertreter der Leistungserbringer (Landeskrankenhausgesellschaft, Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Vereinigung) und der Kostenträger (gesetzliche Krankenkassen). Des Weiteren sind der Verband der Privaten Krankenversicherungen, die Landesärztekammern, die Landesorganisationen der Pflegeberufe sowie Patientenvertreter beteiligt.

Qualitätsindikatoren als Messinstrument

Der grundsätzliche Ablauf eines jeden Qualitätssicherungsverfahrens beginnt mit der Datenerfassung bei den beteiligten Leistungserbringern (Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte). Dabei kann es sich um Daten handeln, welche im Rahmen der Leistungsabrechnung routinemäßig erhoben werden (ICD-, OPS- oder EBM-Kodes), oder aber um allein zum Zweck der Qualitätssicherung separat erfasste Daten, wie beispielsweise Anamnesedaten, Untersuchungsergebnisse oder Verlauf und Ergebnis von medizinischen Leistungen. Zukünftig sollen auch Sozialdaten der Krankenkassen sowie Daten aus Patientenbefragungen verwendet werden. Aus diesen Daten werden gemäß der vom IQTIG bereitgestellten Rechenregeln Qualitätsindikatoren berechnet und die individuellen Ergebnisse den einzelnen Leistungserbringern jeweils im Vergleich zur landes- oder bundesweiten Vergleichsgruppe mitgeteilt.

Im Rahmen der gesetzlichen Qualitätssicherung werden derzeit Prozess-Indikatoren (inklusive Indikationsstellung) und Ergebnis-Indikatoren eingesetzt. Prozess-Indikatoren können beispielsweise Maßzahlen für Leitlinien-Adhärenz sein, etwa bei der Frage, ob notwendige Maßnahmen ergriffen werden (z. B. rechtzeitige Antibiotikagabe bei ambulant erworbenen Pneumonien), ob bestimmte zeitliche Abläufe eingehalten werden (z. B. präoperative Verweildauer in der Unfallchirurgie) oder ob Eingriffe leitliniengerecht indiziert werden (z. B. Indikation und Systemwahl bei Herzschrittmachern und implantierbaren Defibrillatoren). Ergebnis-Indikatoren hingegen beschreiben, wie häufig ein bestimmtes (meist unerwünschtes) Ereignis nach einer medizinischen Behandlung eingetreten ist (z. B. Komplikationsraten, Sterblichkeit). Eine Sonderform der Ergebnis-Indikatoren sind Follow-up-Indikatoren, bei welchen untersucht wird, ob im weiteren Verlauf nach einer Behandlung ein bestimmtes Ereignis auch einrichtungsübergreifend eintritt (z. B. Wechsel einer Endoprothese). Zur Beurteilung, wie ein Indikatorergebnis zu bewerten ist, werden Referenzbereiche definiert, welche rechnerisch auffällige von rechnerisch unauffälligen Ergebnissen differenzieren. Diese Referenzbereiche können als feste Raten definiert sein (beispielsweise orientiert an in der Literatur beschriebenen Komplikationsraten) oder jährlich neu als Perzentilen anhand der bundesweiten Verteilung der Ergebnisse berechnet werden. Der Aspekt der Patientensicherheit wird besonders deutlich bei den Sentinel Events. So werden unerwünschte Ereignisse bezeichnet, bei denen jeder aufgetretene Fall, unabhängig von der Gesamtrate, als auffällig zu bewerten ist (z. B. Sterblichkeit bei elektiven Eingriffen, kontraindizierte Eingriffe).

Projekt der GQH: Das Peer Review „Cholezystektomie“

Seit 2014 werden in Hessen ärztliche Peer Review-Verfahren durchgeführt, um einen weiteren Beitrag zur Patientensicherheit zu liefern. Grundlage ist das Curriculum der Bundesärztekammer [6]. Teilnehmende Kliniken erhalten ein von der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) und der Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen (GQH) ausgestelltes Zertifikat.

Ein Peer Review ist dreigliedrig aufgebaut. Es beginnt mit einer Vorbereitungsphase, in welcher die teilnehmende Klinik einen Selbstauskunftsbogen ausfüllt. Eigentliches Kernstück des Peer Reviews ist dann der Klinikbesuch durch ein Team ärztlicher Peers. Auf Grundlage des Selbstauskunftsbogens wird ein kollegiales Gespräch „auf Augenhöhe“ geführt und eine oder mehrere Operationen begleitet. Anhand eines durch das Peer Review-Team erstellten Berichtes in Form einer SWOT-Analyse – Abkürzung für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken) – können mit der Klinik Ziele vereinbart werden, deren Erfüllung nach Ablauf eines halben Jahres abgefragt wird. In den vergangenen Jahren haben etwa 30 % der hessischen Kliniken am Peer Review Cholezystektomie teilgenommen. Rund 20 Viszeralchirurgen in leitender Position aus Kliniken der Regel- und Maximalversorgung in Hessen haben mittlerweile die Schulungen der LÄKH zum Peer durchlaufen.

Datenvalidierung

Um sicherzustellen, dass die im Rahmen der Qualitätssicherung erfassten Daten korrekt sind, also nicht nur vollständig und vollzählig, sondern auch inhaltlich richtig dokumentiert werden, ist ein Datenvalidierungsverfahren vorgesehen. Hierbei wird über einen Abgleich mit den Abrechnungsdaten der Leistungserbringer ermittelt, ob alle dokumentationspflichtigen Fälle erfasst wurden (Vollzähligkeit). Ob pro Fall alle erforderlichen Daten dokumentiert wurden (Vollständigkeit), ebenso wie die Frage nach der Plausibilität der Daten, wird rechnerisch anhand von sogenannten Auffälligkeitskriterien überprüft. Sehr viel aufwendiger ist die Überprüfung der Richtigkeit der Qualitätssicherungsdaten, also ob die erfassten Daten mit der Realität, also der tatsächlich stattgefundenen Versorgung oder den spezifischen Patientenmerkmalen übereinstimmt. Hierzu wird in einem Stichprobenverfahren durch die Landesgeschäftsstellen bzw. durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein Abgleich zwischen Patientenakten und Qualitätssicherungsdaten vorgenommen.

Individuelle Bewertung von rechnerischen Auffälligkeiten

Liegt bei einem Qualitätsindikator eines Leistungserbringers ein auffälliges Ergebnis vor, heißt dies zunächst nur, dass ein gemessener Wert (Indikatorergebnis) von einem vorgegebenen Wert (Referenzbereich) abweicht. Diese rechnerische Auffälligkeit muss dann überprüft werden, um die Frage zu beantworten, ob tatsächlich auch eine verminderte medizinische Versorgungsqualität vorliegt. Hierfür ist ein Verfahren vorgesehen, in welchem zum einen dem betroffenen Leistungserbringer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, zum anderen aber auch Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung festgelegt werden. Diese Maßnahmen können Zielvereinbarungen sein (Teilnahme an geeigneten Fortbildungen, Durchführung von Audits), aber auch bis hin zur Empfehlung von Vergütungsabschlägen oder Entziehung der Abrechnungsmöglichkeit der jeweiligen Leistung reichen.

Benefit für die Patientensicherheit

Zusammenfassend hat sich die externe Qualitätssicherung in Deutschland ausgehend von einer geburtshilflich-kinderärztlichen Einzelinitiative über die Betrachtung von zunächst rein stationär erbrachten Leistungen hinaus weiterentwickelt – zu einem Instrument mit dem Ziel, auch über die stationär-ambulante Sektorengrenze hinweg der Patientensicherheit zu dienen und die Qualität in der medizinischen Versorgung zu sichern und zu fördern.

Übersicht über die bisher erschienenen Folgen der Serie:

Patientensicherheit – Start- und Zielpunkt in der Qualitätssicherung

Die Serie wird fortgesetzt.

11/2019

Teil 1: Grundlagen

01/2020

Teil 2: Fehler, Verfahren und Akteure

02/2020

Teil 3: Qualitätssicherung in der Hämotherapie: Plädoyer für eine starke Fehlerkultur

03/2020

Teil 4: Qualitätssicherung in der Reproduktionsmedizin: Verfahren von Ärzten für Ärzte

04/2020

Teil 5: Dr. med. Kyra Schneider: Patientensicherheit funktioniert nur im Team

05/2020

Teil 6: Im Konfliktfall – Die Patientenperspektive als Impuls für Verbesserungspotenziale nutzen

06/2020

Teil 7: CIRSmedical.de – Das Netzwerk der deutschen Ärzteschaft

07/08/2020

Teil 8: Patientensicherheit ist Mitarbeitersicherheit – Das Second-Victim-Phänomen

09/2020

Teil 9: Die externe Qualitätssicherung – einrichtungs- und sektorenübergreifend

Dr. med. Friedemann Woernle, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, war nach langjähriger klinischer Tätigkeit von 2013 bis 2018 Bereichsleiter Medizincontrolling am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg. Seit 2019 ist er ärztlicher Mitarbeiter der GQH und seit 2020 deren Stellvertretender Leiter.

Dr. med. Björn Misselwitz, MPH hat nach seinem Medizinstudium berufsbegleitend Gesundheitswissenschaften studiert. 1997 kam er als ärztlicher Mitarbeiter zur Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen (GQH), deren Leiter er seit 2001 ist. Zusätzlich ist er seit Gründung im Jahre 2017 Leiter der Landesarbeitsgemeinschaft Qualitätssicherung Hessen (LAGQH).

Die Literaturhinweise finden Sie in der PDF-Version der aktuellen Ausgabe auf unserer Website unter https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/2020/september-2020