Bad Homburger Ausstellung fragt nach dem Wesen der Natur
„Was ist die Natur?“, fragt eine Ausstellung im Bad Homburger Museum Sinclair-Haus. Vieles, auch Gegensätzliches, wird der Natur zugeschrieben: Sie ist Lebensquelle, Anker in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt, Rückzugsort mit heilsamer Wirkung, aber auch Bedrohung. In Kunst und Alltag häufig idealisiert, wird sie als das „Andere“, ohne menschliches Zutun Existierende, begriffen. Eine Verklärung, die übersieht, dass Natur, Mensch und Kultur nicht voneinander zu trennen sind. Unsere Lebensform, Ernährung, Kleidung, unser Wohnen und unsere Fortbewegungsmittel prägen unsere Umwelt. Der vielfach gepriesenen Liebe zur Natur steht ihre Ausbeutung gegenüber.
Dürre unmittelbar vor der Haustür
Dürren und Feuersbrünste, Stürme, Starkregen, Überflutungen und ein dramatisches Artensterben: Die Folgen des Klimawandels sind unübersehbar. Auch in der unmittelbaren Umgebung lässt die Zerstörung der Natur frösteln. Ein Beispiel: Wer den Gipfel des Herzberges im Taunus erklimmen will, um den Blick über Mainebene, Wetterau und Taunus schweifen zu lassen, kann zwischen mehreren Wanderwegen wählen. Während der steilste Pfad noch bis vor kurzem durch dichten Wald führte, säumen nun über weite Strecken tote Fichten den Wegrand; immer wieder tauchen kahle Flächen auf, einige so groß wie Fußballfelder. Vereinzelte Baumruinen ragen wie Mahnmale in die Höhe: Opfer von Trockenheit und Borkenkäferbefall. Der Wald hat sein vertrautes Gesicht verloren. Nicht weit von den Taunushöhen entfernt lädt das Sinclair-Haus dazu ein, sich mit der Natur auseinanderzusetzen und zu begreifen, dass der Mensch Teil von ihr ist, sie maßgeblich prägt, aber auch von ihr abhängt. Kunstwerke sowie Objekte aus den Naturwissenschaften und der Kulturgeschichte fordern die Besucher auf, das eigene Verständnis von Natur zu überdenken. Dabei ist die Beschäftigung mit der in Objekten, Bildern und Filmen dargestellten Natur zugleich auch eine Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen, Erwartungshaltungen, Wertvorstellungen und nicht zuletzt dem eigenen Geschmacksempfinden.
Sonne um Mitternacht
Als rotgelben Feuerball hat Katharina Sieverding die „Sonne um Mitternacht“ eingefangen (2010–2012). Milchig-blauer Dunst schwebt über den Marmorbrüchen von Carrara, die Bertram Kober im Stil eines romantischen Gemäldes inszeniert (2005). Wie eine schmiedeeiserne Girlande, Ton in Ton mit Blättern und Stängel, mutet die grüne Zucchini-Blüte an, die Max Reichmann 1926 mit „Das Blumenwunder“ überschrieben hat. Unter dem Mikroskop ist François-Joseph Lapointes „Microbiome Selfie“ (2016) entstanden. Grafisch reizvoll und alles andere als unbeschrieben: Sarah Illenbergers weiß-schwarz gepunktetes und orange gestreiftes Blatt vor blauem Hintergrund aus der Serie „Wonderplants“ (2015).
Neue Blicke auf die Welt
Natur durch die Augen des Betrachters gesehen und interpretiert: Die Ausstellung will dazu anregen, Annahmen über Natur zu hinterfragen. Sie erkundet die Zusammenhänge von Pflanzen, Tieren, Kultur, Technik, Menschen und Mikroben – und versucht, neue Blicke auf die Welt zu eröffnen.
Katja Möhrle
Die Ausstellung „Was ist Natur?“ ist bis zum 24. Januar 2021 im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg zu sehen. www.museumsinclairhaus.de