Eigentlich wollte ich in dem aktuellen Editorial nicht schon wieder etwas über SARS-CoV-2 schreiben, aber Sie kennen das ja sicher alle, manchmal wird man von den Ereignissen quasi überrannt.
Konkret hat die bundesweite Zeitung mit den vier großen Lettern die beiden Artikel von Gottschalk und Heudorf aus unserer Oktoberausgabe aufgegriffen und damit die bundesweite Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Hoffentlich führt dies tatsächlich zu der gewünschten, nicht emotionalen und meines Erachtens zwingend notwendigen Sachdiskussion, nicht nur die Eindämmungsstrategie, sondern endlich auch die anderen, bereits erwähnten Schritte zur Bekämpfung einer Pandemie zu ergreifen. In der nächsten Ausgabe des Hessischen Ärzteblatts werden die Antworten auf zwischenzeitlich eingegangenen Leserfragen zu dem Artikel veröffentlicht.
Zunächst einmal ist, um allen Missverständnissen vorzubeugen, deutlich festzuhalten, dass Covid-19 eine überaus ernst zu nehmende Erkrankung ist, deren Sterblichkeit nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen leider höher ist als bei der uns bekannten Grippe. Covid-19 trifft wohlgemerkt nicht nur die bekannten Risikogruppen schwer, sondern in unerwarteten, wenn auch glücklicherweise seltenen Fällen auch junge und gesunde Menschen.
Und dennoch gilt es, Ruhe und einen kühlen Kopf zu bewahren. Das gilt in besonderem Maß für unseren Berufsstand.
In den vergangenen Monaten haben wir in einer außerordentlichen Geschwindigkeit hinzugelernt und das nicht nur im Labor, sondern in der mehr als realen Welt der Intensivstationen. Ja, es stimmt, wir können leider immer noch nicht jeden Covid-19- Erkrankten retten, aber deutlich mehr als zu Beginn der Pandemie. Richtig ist aber ebenso, dass wir leider auch andere Krankheiten noch immer nicht so erfolgreich behandeln können, dass man daran nicht mehr verstirbt. Das beginnt bei A wie Amyotrophe Lateralsklerose, geht über I wie Influenza und endet bei Z wie Zellweger-Syndrom.
Es stimmt aber auch, dass wir inzwischen nicht nur bessere Behandlungsmöglichkeiten haben, sondern auch viel besser auf die vermutlich in den kalten Monaten unweigerlich steigende Zahl behandlungsbedürftiger Patienten vorbereitet sind.
Leichtsinn ist dennoch nicht angesagt, genauso wenig wie die öffentliche Verbreitung von Panik. Die überall kursierenden Zahlen müssen vernünftig interpretiert werden. Das alleinige Starren auf die Zahl nachweislich Infizierter und die ständige Warnung vor einer zweiten Welle oder gar einem Tsunami helfen in keiner Weise. Im Gegenteil, die Menschen stumpfen ab und ein Gewöhnungseffekt mit nachfolgender Nachlässigkeit tritt ein. Das halte ich dann in der Tat für kritisch, denn natürlich müssen wir die vulnerablen Bevölkerungsgruppen schützen. Dabei dürfen wir aber nicht über das Ziel hinausschießen und die Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen völlig isolieren. In vielen Pflegeeinrichtungen dürfen die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Mahlzeiten noch immer nicht im Gemeinschaftsraum einnehmen, sondern sind regelrecht in ihre Zimmer „verbannt“. Dieses Vorgehen halte ich für asozial, unverhältnismäßig und sachlich keinesfalls gerechtfertigt. Wenn sich Beschäftigte und Besucher ihrer Verantwortung bewusst sind und sich danach verhalten, sollte die Forderung der Deutschen Stiftung Patientenschutz nach einem „Corona-Monitor“ für Pflegeheime überflüssig werden.
Auch kaum durchdachte und nicht umsetzbare Forderungen oder Empfehlungen wie etwa die Grippeimpfung für alle, wo doch für diese Saison nur 25 Millionen Impfdosen und damit gleichwohl bereits 30 % mehr als in der Vorsaison bestellt wurden, sind wenig hilfreich. Das „Hü“ aus der einen Richtung und das „Hott“ aus der anderen Richtung helfen niemandem, sondern erzeugen Verwirrung und Frustration. Was denn nun, denkt der Bürger, und wendet sich womöglich mit Grausen ganz ab.
Wir müssen alle gemeinsam lernen, das Leben trotz des vermutlich nicht eliminierbaren Coronaerregers so weit wie möglich zu normalisieren. Ohne Panik und Angst, denn beide waren noch nie gute Ratgeber, sondern mit Maß und Umsicht.
Ohne Schulen und eine funktionierende Wirtschaft, ohne ein vertretbares Maß an sozialen Kontakten droht nicht nur eine schwere wirtschaftliche, sondern auch eine soziale und psychische Krise. Gerade bereits vor der Pandemie psychisch erkrankte Menschen können ein Lied davon singen.
Von Politik und Exekutive erwarte ich, dass sie Feierexzessen, wie sie nachgewiesenermaßen in Clubs und Bars in deutschen Metropolen stattfinden, konsequent und wirkungsvoll entgegentreten und nicht stattdessen die zum größten Teil verantwortungsbewusste Bevölkerung mit verschärften Schutzmaßnahmen in Sippenhaft nehmen.
Die bislang erfolgten Lockerungen erlauben uns meines Erachtens einen recht guten Kompromiss.
Allerdings frage ich mich, ob auch auf die Untersuchungshaft des Oberstaatsanwalts B. Lockerungen hätten übertragen werden dürfen. Sie erinnern sich, der bundesweit bekannte Kämpfer gegen Korruption im Gesundheitswesen, der selbst die Hand weit offen hielt, wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, obwohl er nur weitgehend, also nicht vollumfänglich geständig war. Selbstverständlich respektiere ich die Entscheidung der Justiz, auch wenn ich sie nicht gänzlich nachvollziehen kann.
Bleiben Sie gesund und vergessen Sie Ihre eigene Influenzaimpfung nicht.
Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident