Interview mit dem Infektiologen und Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes Prof. Dr. med. René Gottschalk
Die Zahlen der Corona-Infizierten in Hessen und damit auch in Frankfurt steigen ständig. Bei dem Management der Krise steht das Gesundheitsamt in der ersten Reihe. Wie angespannt ist die Lage bei Ihnen, und wie kommen Sie mit Ihren Kapazitäten zurecht?
Welche Zuständigkeiten und Aufgaben hat das Gesundheitsamt Frankfurt bei der Krisenbewältigung? Wie sehen die Aufgaben der Amtsärzte aus?
Gottschalk: Positiv auf Corona getestete Menschen müssen über ihre Testergebnisse informiert werden und eine häusliche Isolationsverfügung ausgestellt bekommen. Diese 14-tägige Quarantäne, die auch für die Kontaktpersonen der Betroffenen gilt, muss vom Gesundheitsamt kontrolliert werden. Eine andere Hauptaufgabe ist das Fallmanagement. Hier sind weitere Amtsärztinnen und Amtsärzte eingebunden. Außerdem müssen wir Fragen beantworten, die von Arztpraxen und der Bevölkerung an uns gerichtet werden.
Wie stark ist das Gesundheitsamt Frankfurt in das Krisenmanagement auf Landes- und Bundesebene eingebunden?
Gottschalk: Das ist von der Lage abhängig. Wir stehen in engem Austausch mit dem Krisenstab des Landes Hessen und sind täglich, entweder telefonisch oder per Videokonferenz, in Kontakt. In den Krisenstab des Bundes sind wir allerdings nicht mehr eingebunden, weil dieser ganz andere Strukturen aufgebaut hat.
In Hessen gibt es 25 Gesundheitsämter bzw. Kreisausschüsse Gesundheit, die jeweils für eine Kommune oder einen Kreis zuständig sind. Wie funktionieren Vernetzung und der Informationsaustausch zwischen den Ämtern in der Corona-Pandemie?
Gottschalk: Die Gesundheitsämter sind dem Krisenstab des Landes Hessen untergeordnete Funktionseinheiten. Alle stehen miteinander in regelmäßigem Kontakt, ob per Telefon oder E-Mail. Der Austausch ist rege und problemlos.
Welche Rolle und Aufgaben haben Sie, Herr Professor Gottschalk, ggf. über die Leitung des Gesundheitsamtes Frankfurt hinaus?
Gottschalk: Wegen der derzeitigen Fokussierung auf den Seuchenschutz ist meine Rolle als Leiter des Gesundheitsamtes schwierig. Ich sehe mich aktuell als Vermittler zwischen den Ansprüchen der Politik und dem, was das Land leisten kann und muss. Gemeinsam mit meinen Mitarbeitern entwickle ich Strategien, um adäquat auf die sich ständig verändernde Situation reagieren können. Für andere Baustellen bleibt gar keine Zeit.
Information und Beratung von Fachleuten und Bevölkerung haben einen hohen Stellenwert in der aktuellen Krise. Wie stark werden die Hotline des Gesundheitsamtes und Ihre fachliche Expertise in Anspruch genommen?
Gottschalk: In der Krise ist die Risikokommunikation ein entscheidendes Mittel zur Pandemiebekämpfung. Unsere stark frequentierte Hotline haben wir schon vor geraumer Zeit eingerichtet; sie ist in die hessenweite Hotline integriert. Inzwischen stecken auch keine verzweifelten Anrufer mehr in der Besetztschleife fest, sondern kommen schnell durch.
Dem riesigen Arbeitsanfall geschuldet, versuchen meine Mitarbeiter und ich dagegen die Pressearbeit herunterzufahren. Sie ist unter diesen Umständen kaum mehr zu leisten. Ich bedaure dies sehr, denn je mehr sich deeskalierende Fachleute aus der öffentlichen Diskussion zurückziehen, desto eher kommen Leute zum Zug, die auf Panikmache setzen.
Um eine effiziente Versorgung von mit dem neuartigen Corona-Virus Infizierten in Hessen zu gewährleisten, wurden flächendeckend an ausgewählten Standorten des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes zentrale Untersuchungsstellen eingerichtet, um dort – bei begründetem ärztlichen Verdacht – gebündelt Tests auf SARS-CoV-2 durchführen zu können. Wie ist das Gesundheitsamt hier eingebunden?
Gottschalk: Wie eingangs erwähnt, ist es Aufgabe des Gesundheitsamtes, Menschen, die positiv auf das Corona-Virus getestet wurden, zu benachrichtigen und unter Quarantäne zu stellen. Wenn Menschen positiv auf Corona getestet werden, müssen wir außerdem die Kontaktpersonen des Infizierten ermitteln und sicherstellen, dass auch diese getestet werden und die 14-tägige häusliche Quarantäne einhalten. Bei ständig steigenden Infektionszahlen ist das eine riesige Herausforderung, so dass wir diesen Aufgabenbereich mit maximal vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgestattet haben.
Wie gehen Sie in Frankfurt mit besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen – Asylsuchende, ältere und alleinlebende Menschen, Drogenabhängige, Obdachlose – um?
Gottschalk: Sie haben Recht: Bei diesen Menschen handelt es sich um hochgradig gefährdete Gruppen. Oft ist es, beispielsweise bei Drogenabhängigen oder Obdachlosen, schwer bis unmöglich, Quarantäne durchzusetzen. Wo auch? Um diese Probleme zu lösen, wurde in Frankfurt ein Verwaltungsstab hochgefahren, dem unter anderem das Sozialamt angehört.
Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich in Hessen durch den Flughafen?
Gottschalk: Obwohl die Zahl der Flüge deutlich zusammengestrichen worden ist, landen auf dem Frankfurter Flughafen immer noch Flieger aus Risikogebieten wie China, Italien, Frankreich oder Spanien. Für sie gelten ausschließlich in Hessen besondere Auflagen. Außerdem kommen bei uns in Frankfurt bedauerlicherweise fast alle der vom Auswärtigen Amt organisierten Rückholflüge an. Bedauerlich deshalb, weil wir dann auch für die Verhängung der 14-tägigen Quarantäne zuständig sind, die in Hessen – leider nicht in anderen Bundesländern – für die zurückgekehrten Passagiere gilt (Stand 3. April 2020).
Das ist ein erheblicher logistischer Aufwand, denn wir müssen für jeden Betroffenen namentlich eine Quarantäne-Verfügung ausstellen, da es sich um einen Eingriff in die Grundrechte handelt. Und selbstverständlich muss auch hier die Quarantäne überwacht werden. Passagiere, die nach der Landung respiratorische Probleme haben, kommen in Frankfurter Krankenhäusern auf Station. Daher müssten die Rückholflüge meiner Auffassung nach eigentlich auf ganz Deutschland verteilt werden.
Überall im Gesundheitswesen fehlt es an Schutzkleidung. Sind Amtsärzte damit ausreichend ausgestattet?
Gottschalk: Wir haben im Jahr 2005 einen Pandemieplan für Grippe verfasst und diesen 2012 aktualisiert. Jetzt habe ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen ganz neuen Pandemieplan geschrieben, der, wie die beiden anderen, selbstverständlich auch ausreichende Schutzkleidung berücksichtigt. Wir müssen im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) über einen Fundus an Schutzkleidung verfügen und ja, wir haben einen solchen Fundus. Im Frankfurter Gesundheitsamt herrscht Maskenpflicht.
Derzeit wird über eine mögliche Lockerung der Einschränkungen im privaten und öffentlichen Bereich diskutiert. Ist ein damit möglicherweise verbundener steiler Anstieg der Infektionszahlen für die Einrichtungen des Gesundheitswesens in Frankfurt zu verkraften?
Gottschalk: Frankfurt steht sehr, sehr gut da. Wenn man in Ivena eHealth (webbasierter Interdisziplinärer Versorgungshinweis) reinschaut, sieht man viel Grün, d. h. freie Bettenkapazitäten. So grün war Frankfurt schon lange nicht mehr. Allerdings gilt dies für die aktuelle Situation (Stand 3. April 2020). Man darf die jetzt geltenden Einschränkungen keinesfalls mit der Brechstange wieder aufheben. Dies muss mit Augenmaß und unbedingt der epidemiologischen Lage angepasst geschehen. An solchen Szenarien arbeitet die hessische Landesregierung gerade.
Was muss sich aus Ihrer Sicht mit Blick auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst ändern, wenn die Corona-Krise irgendwann vorbei ist?
Gottschalk: Momentan schreien alle nach dem Öffentlichen Gesundheitsdienst. Dieser sollte endlich wieder die Stellung zugewiesen bekommen, die er verdient! Das bedeutet auch, dass die Verknappung der Mittel zurückgefahren werden muss!
Dabei nehme ich das Gesundheitsamt Frankfurt allerdings explizit aus, denn wir werden von der Stadt unterstützt und sind gut aufgestellt.
Insgesamt bedarf der ÖGD aber dringend einer Aufwertung, um auch in Zukunft qualifiziert arbeiten zu können.
Interview: Katja Möhrle