In den vergangenen Monaten hat sich die hessische Ärzteschaft sehr deutlich gegen eine überschießende Kommerzialisierung der Medizin ausgesprochen. Finanzielle Anreize greifen in den Behandlungsprozess ein und verändern ihn. Vor allem in den Krankenhäusern ist gewinnorientiertes Handeln überlebensnotwendig und Handeln bedeutet das Sortieren von „guten“ Patienten und „schlechten“ Patienten, also gewinn- oder eben verlusteinbringende – zumindest im Kopf.
Auch Abteilungen werden größer oder kleiner, je nachdem, ob man mit ihnen Geld verdienen kann oder nicht. In der ambulanten Medizin entstehen Operationsfabriken, im Extremfall von Hedgefonds betrieben, die mit optimalen schlanken Abläufen zu Geldmaschinen werden.
Konservative Behandlungen in Fachgebieten wie der Orthopädie/Unfallchirurgie oder auch in der Gynäkologie und in den psychiatrischen Fächern sind ökonomisch uninteressant und geraten ins Hintertreffen. Ganz unten in der Hierarchie steht dann die stationäre Psychiatrie, in der ein schwerer struktureller Personalmangel herrscht. Die oft noch bewundernswert engagierten Mitarbeiter werden durch die teils falsche und reißerisch skandalisierende Berichterstattung nicht gerade unterstützt. Die Haltung, dass eine gute Medizin sich daran erkennen lässt, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft umgeht, ist hier wohl seit der Psychiatrieenquete vergessen worden. Etwas überspitzt formuliert führt die Kommerzialisierung der Medizin dazu, dass der Patient als Objekt oder gar Werkstück und nicht als Subjekt gesehen wird – so sehr sich die Ärzte auch bemühen gegenzusteuern.
Es gibt auch ein politisches Interesse, das Subjekt Arzt und das Subjekt Patient zu ignorieren, beide zu versachlichen, sodass sie für digitale Prozesse optimal genutzt und gesteuert werden können. Ich spreche von interessengesteuerten Vorstellungen zur Telemedizin, wo Patientendaten als Ware handelbar gemacht werden sollen, um damit Geld zu verdienen. Apps und Co drängen daher auf den Markt, um die entsprechenden Daten zu generieren. Das Patienteninteresse ist oft nur vorgeschoben und in Ländern, die da schon weiter sind, sind dann schon mal zig Millionen Patientenakten gehackt und online zugänglich. Viele Ärzte fühlen sich diesen Entwicklungen hilflos ausgeliefert und unser Gesundheitsminister tut alles dafür, diese Prozesse mit der Brechstange zu unterstützen. Ärzte sind dann faul und Verhinderer des ach so guten Fortschritts.
Was können wir tun: Wenn wir unserem Ethos gerecht werden wollen, bleibt nur eines! Noch stärker als bisher die Arzt–Patienten-Beziehung in den Mittelpunkt stellen. Patienten wie Ärzte schätzen diese vertrauensvolle Beziehung, sie ist nicht digitalisierbar und austauschbar. Wir müssen die Patienten als Verbündete gewinnen, um diese zu verteidigen. Dazu ist es notwendig, auch bei der ärztlichen Vergütung entsprechende Kurskorrekturen vorzunehmen, damit wir uns die Zeit leisten können.
Dr. med. Peter Zürner, Präsidiumsmitglied der LÄKH, Verantwortlicher Redakteur des Hessischen Ärzteblattes