Qualitätssicherung in der Reproduktionsmedizin: Verfahren von Ärzten für Ärzte

Katrin Israel-Laubinger, Silke Nahlinger, Nina Walter

In der Reproduktionsmedizin sind die Sicherung des Patientenwohls und der Behandlungsqualität eine selbstverständliche und etablierte Basis für das Handeln der beteiligten Ärzte. Schon seit den Anfängen des Fachgebiets in den 1970er- und 1980er-Jahren werden auf ärztliche Initiative freiwillig Daten im Rahmen eines Registers gesammelt. Dies geschieht neben den inzwischen verpflichtenden Qualitätssicherungsmaßnahmen, die ebenfalls entscheidend durch die Reproduktionsmediziner mitgestaltet und weiterentwickelt werden. Welche Verfahren gibt es? Wie werden sie in Hessen umgesetzt und welche Rolle spielt dabei die Landesärztekammer?

Der vierte Artikel der Serie „Patientensicherheit“ stellt anhand der Reproduktionsmedizin auf Betreiben der Ärzteschaft entwickelte, erfolgreiche Qualitätsverfahren vor.

QS als ärztliche Initiative

Seit den Anfängen im Jahr 1978, als der erste durch In-vitro-Fertilisation (IVF) gezeugte Mensch auf die Welt kam, entwickelt sich die Reproduktionsmedizin rasant. Diese bedeutende Leistung, die 2010 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt wurde, war der Beginn eines ganz neuen Fachgebiets. In Deutschland wurde bereits 1982 das erste Kind nach einer IVF geboren. Noch im selben Jahr wurden bundesweit 742* IVF-Behandlungen registriert. Im Jahr 2018 lag die Zahl bereits bei 16.923*. In der Summe aller Methoden inklusive der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) wurden 2018 sogar mehr als 100.000 Behandlungen** durchgeführt. 2017 saß in jeder Schulklasse mindestens ein Kind, das durch Methoden der extrakorporalen Befruchtung gezeugt wurde. Dies sind 3% aller lebend geborenen Kinder in diesem Jahr – Und durch die Altersentwicklung und soziale Veränderungen in der Gesellschaft wird die Bedeutung des Fachgebiets wohl noch weiter zunehmen [1–4]. In Verbindung mit den ethischen und rechtlichen Aspekten in der Reproduktionsmedizin ist die Sicherung der Behandlungsqualität daher besonders wichtig.

Dies wurde von den beteiligten Ärzten von Anfang an erkannt: Sie begannen bereits 1982 eigeninitiativ und freiwillig im Rahmen eines Registers – des Deutschen IVF-Registers e. V. (D.I.R) – umfangreiche Daten zu ihrer Arbeit zu sammeln. Zusätzlich wurden seither verpflichtende Qualitätssicherungsmaßnahmen (QS) durch die Ärztekammern etabliert. In der Arbeitsgemeinschaft QS ReproMed (AG QS ReproMed) wird hierfür die Entwicklung eines bundesweit einheitlichen Verfahrens angestrebt. Den Rahmen für die QS geben seit 1985 Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) vor, die 2018 auf einer veränderten gesetzlichen Grundlage (§ 16 b Transplantationsgesetz) neu gefasst wurden. Ziel war es dabei, die „…medizinisch-wissenschaftlichen Fragestellungen von den gesellschaftspolitischen Aspekten klar zu trennen“. Die Landesärztekammer Hessen (LÄKH) arbeitet derzeit an der Umsetzung dieser neuen Richtlinie für ihren Kammerbereich [1, 4–8].

Freiwillige und verpflichtende Qualitätssicherung Hand in Hand

Mit dem D.I.R werden von Anfang an umfangreiche Daten erhoben und wissenschaftliche Auswertungen vorgenommen. Qualitätsmerkmal der inzwischen digitalisierten Datenerhebung ist die Prospektivität. Mit der Weiterentwicklung der BÄK-Richtlinien wurde das Register Ende der 1990er Jahre sogar als verpflichtende Grundlage für die QS übernommen. Seit 2014 wird ein neues QS-Verfahren etabliert – 15 von 17 Landesärztekammern gründeten die AG QS ReproMed. Ziel war und ist die Entwicklung eines einheitlichen, datengestützten Auswertungsverfahrens, das die Qualität mit dafür eigens entwickelten Indikatoren misst. Zur Entlastung der Zentren werden diese aus einem Teil des D.I.R-Datensatzes berechnet, den die meisten Reproduktionsmediziner weiterhin zusätzlich freiwillig melden. Die Auswertestelle der AG ist bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein angesiedelt. Die Verfahrensentwicklung wurde und wird vom D.I.R unterstützt [4, 5, 12].

Praxisorientierte Qualitätssicherung

Bei der LÄKH steht die „Ständige Kommission Reproduktionsmedizin“ (vormals „Ständige Kommission In-vitro-Fertilisation/Embryonentransfer“) im Zentrum der QS-Maßnahmen.

Abkürzungen: AG = Arbeitsgemeinschaft; LÄKH = Landesärztekammer Hessen; SGB V = Fünftes Buch Sozialgesetzbuch; QS = Qualitätssicherung

ie überwacht die Qualität der reproduktionsmedizinischen Arbeitsgruppen verfahrens- und ergebnisbezogen, überprüft die Einhaltung der BÄK-Richtlinien und berät bei Fachfragen. In die Kommission wurden Reproduktionsmediziner, Gynäkologen und Juristen berufen, die bedarfsweise durch Fachgutachter aus den Bereichen Ethik und Humangenetik ergänzt werden. So können komplexe Fragestellungen fundiert beraten werden. Die Beteiligung von Vertretern der hessischen Zentren bei allgemeinen Fragestellungen gewährleistet die Nähe zur täglichen Praxis. Neben der QS wird auch die Erteilung von Genehmigungen nach § 121 a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch durch die Kommission abgedeckt. Alle Beschlüsse werden dem Präsidium der LÄK Hessen vorgelegt, siehe Grafik.

Grundlage der QS bei der LÄKH sind die jährlichen Auswertungen der AG QS ReproMed. Während in den anderen Kammerbereichen darüber meist ein schriftlicher Austausch mit den Zentren erfolgt, führt die LÄKH als derzeit einzige Ärztekammer einmal jährlich mit jedem Zentrum ein anlassunabhängiges Fachgespräch durch. Dabei ist der Vorsitzende der Ständigen Kommission Reproduktionsmedizin anwesend. Fach- und Methodenkompetenz werden durch einen unabhängigen Reproduktionsmediziner und die Stabsstelle QS der LÄKH sichergestellt. Im Gespräch werden individuelle Qualitätsziele festgelegt und Abweichungen besprochen. Als Besonderheit sind auch die leitenden Biologen der Zentren eingeladen, da ihre Arbeit maßgeblich die Qualität der reproduktionsmedizinischen Verfahren beeinflusst. Ein Ziel neben der QS und der Verbesserung der Patientensicherheit ist auch die ständige Weiterentwicklung des Verfahrens – Hinweise der Zentren werden in die Beratungen der AG QS ReproMed eingebracht. Die Gespräche selbst werden mittels eines Feedbackbogens evaluiert [13, 14].

Gestaltungsmöglichkeiten

Durch das besondere Verfahren bei der LÄKH können die Ärzte auch auf die verpflichtenden QS-Maßnahmen direkt Einfluss nehmen – besonders die Fachkompetenz aus der „freiwilligen QS“ über das D.I.R kann bei der Datenbewertung hilfreich sein. Weil bislang einheitliche Vorgaben des Gesetzgebers fehlen, kann das bestehende Kammerverfahren außerdem gemeinsam weiterentwickelt werden. Dabei wird der Aufbau einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Beteiligten angestrebt. Dies ist besonders wegen der besonderen Fragestellungen in der Reproduktionsmedizin und der uneinheitlichen Gesetzeslage wichtig, um die Verfahren zu verbessern und die Patientensicherheit weiter zu fördern.

QS-Grundlagen in der Reproduktionsmedizin

Laut Hessischem Heilberufsgesetz hat die LÄKH die Aufgabe, die QS für ihre Mitglieder zu fördern, zu regeln und zu überwachen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 4, 6 und § 25 Nr. 15). In der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen ist einerseits die Verpflichtung zur QS (§ 5) und andererseits die Anzeige- und Nachweispflicht für die assistierte Reproduktion als „besonderes medizinisches Verfahren“ verankert (§ 13). Aktuell erarbeitet die LÄKH eine eigene QS-Richtlinie, um ihre Verfahren und deren Ablauf transparent und einheitlich darzustellen. Übergreifend gilt die aktuelle Richtlinie der BÄK zur „Entnahme und Übertragung menschlicher Keimzellen im Rahmen der assistierten Reproduktion“ mit ihren gesetzlichen Grundlagen, insbesondere dem Embryonenschutzgesetz [7, 9–11].

Katrin Israel-Laubinger, Silke Nahlinger, MPH, Nina Walter, M.A., Stabsstelle Qualitätssicherung der Landesärztekammer Hessen, E-Mail: qs@laekh.de, Fon: 069 97672-195

Die Literaturhinweise finden Sie in der PDF-Version der aktuellen Ausgabe auf unserer Website unter www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/2020/maerz-2020

* Prospektive und retrospektive Daten.

** IVF, ICSI, IVF/ICSI, Freeze all, Kryotransfer, Mischzyklen, Keine (abgebrochene Behandlungen vor durchgeführter Eizellbehandlung bzw. vor Kryo-Auftau) – prospektive und retrospektive Daten. Die Gesamtwerte enthalten auch Fälle von Gamete intrafallopian transfer (GIFT), die seit 2005 keine relevanten Größen innehaben und deshalb nicht mehr separat ausgewiesen werden [3].