Bewertungsplattformen sind der digitale Dorfplatz des 21. Jahrhunderts. Sie werden oft als „digitaler Pranger“ bezeichnet, aber auch so empfunden. Insbesondere Ärztinnen und Ärzte stellen sich immer wieder die Frage: „Was kann ich dagegen tun?“ Eine Analyse der dazu bereits sehr umfangreichen Rechtsprechung endet mit dem Ergebnis: Vielleicht mehr als sie denken!
Die historische Entwicklung
Bevor man sich mit den aktuellen Entwicklungen und Entscheidungen befasst, hilft es, sich mit der historischen Entwicklung zu diesem Thema zu beschäftigen. Bewertungsplattformen im Internet gibt es bereits seit 2008, als im Internet eine Plattform gegründet wurde, die es Schülern ermöglichte, unter Namensnennung des Lehrers im Internet diesen zu bewerten. In seiner ersten Entscheidung zum Thema „Plattformen“ kommt der Bundesgerichtshof 2009 zu dem Ergebnis, dass Lehrer eine Veröffentlichung ihres Namens und ihrer Bewertung nicht grundsätzlich verhindern können. Weder die Vorschriften des seinerzeit geltenden Bundesdatenschutzgesetzes noch das Persönlichkeitsrecht des Lehrers wiege so schwer, dass sie im Hinblick auf das Recht der Kommunikations- und Meinungsfreiheit der Schüler eine Bewertung verhindern können. Diese Entscheidung legte den Grundstein für zwei weitere Entscheidungen des BGH zur Bewertungsplattform „Jameda“, auf der Patienten die Möglichkeit haben, Ärzte zu bewerten. In seinem ersten Urteil zu Jameda im Kalenderjahr 2014 lehnt der BGH Ansprüche eines Arztes auf Herausgabe der Daten des Bewertenden grundsätzlich ab. Der BGH tritt dem Arzt zwar insoweit bei, als er bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerungen einen Löschungsanspruch bejaht. Weitergehende Ansprüche, insbesondere auf Auskunft über die Person des Bewertenden, lehnt der BGH aber ausdrücklich ab. Nur wenige Monate nach dieser ersten Entscheidung zu Jameda kommt der Bundesgerichtshof in seiner zweiten Entscheidung zu Jameda zu dem Ergebnis, dass einem Arzt grundsätzlich kein Unterlassungsanspruch gegen seine öffentliche Bewertung aus datenschutz-rechtlichen Bestimmungen zukommt. Der Bundesgerichtshof begründet dies im Wesentlichen damit, dass der Arzt mit den von ihm erbrachten Dienstleistungen an die Öffentlichkeit tritt und es sich daher gefallen lassen muss, dass über diese Dienstleistungen dann auch in der Öffentlichkeit berichtet wird.
Diese beiden Entscheidungen konnten nun zu dem Eindruck führen, dass ein Arzt seiner Bewertung im Internet relativ schutzlos ausgeliefert ist. Deshalb wurde dann auch die dritte Jameda-Entscheidung des Bundesgerichtshofes 2016 sehr positiv aufgenommen, in der der Bundesgerichthof dem dort betroffenen Arzt die Möglichkeit eröffnet hat, erfolgreich das tatsächliche Stattfinden der in der Bewertung geschilderten Behandlung zu bestreiten. In diesem Sachverhalt hatte sich der betroffene Arzt gegen seine auf Jameda veröffentlichte Negativbewertung mit der Behauptung zur Wehr gesetzt, die vom Patienten geschilderte Behandlung hätte nicht stattgefunden. Der BGH hat den vom Arzt geltend gemachten Löschungsanspruch bejaht, weil sich die Plattform das tatsächliche Stattfinden der ärztlichen Behandlung vom Patienten nicht hatte nachweisen lassen. So sehr diese Entscheidung sicherlich in konkreten Einzelfällen hilfreich ist, wird man bedenken müssen, dass die Möglichkeit, die Behandlung generell zu bestreiten, dem Arzt nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen wird. Die BGH-Entscheidung kann nur in sehr konkreten Ausnahmefällen eine effektive Handhabe gegen negative Bewertungen auf Bewertungsportalen darstellen. Denn wenn der Arzt pauschal immer wieder nur die Durchführung von Behandlungen gegenüber dem Portalbetreiber bestreitet, wird dies von der Rechtsprechung als missbräuchlich angesehen werden.
Die weitere Entscheidung des BGH
Bei den jüngeren Entscheidungen zu Jameda und anderen Bewertungsplattformen verdient besondere Aufmerksamkeit die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Februar 2018. In dieser Entscheidung bejaht der BGH für die klagende Ärztin einen Löschungsanspruch gegen Jameda mit der Begründung, dass die Plattform aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung ihre neutrale Stellung als so genannter Informationsmittler verlassen habe. Dem Plattformbetreiber stehe hinsichtlich der gegen den Willen der Ärztin gespeicherten Daten kein schutzwürdiges Interesse an der Erhebung und Speicherung dieser Daten zu. Diese Entscheidung ist allein auch deshalb bemerkenswert, weil sie auch in anderer Hinsicht belegt, dass es durchaus Sinn machen kann, sich gegen als ungerecht und unrichtig empfundene Bewertungen im Internet zur Wehr zu setzen. Denn die klagende Ärztin wurde auf der Plattform Jameda in der Vergangenheit mehrfach bewertet und setzte sich im Kalenderjahr 2015 gegen 17 einzelne auf der Plattform veröffentlichte Bewertungen erfolgreich zur Wehr. Dies hatte zur Folge, dass ihre von Jameda gebildete „Gesamtnote“ von 4,7 auf 1,5 stieg. Dieser Fall zeigt also, dass es durchaus Sinn machen kann, sich mit den auf Jameda veröffentlichten Bewertungen intensiv auseinanderzusetzen, sofern man gegen einzelne dort aufgeführte Behauptungen begründete Einwendungen hat.
Es ist natürlich klar, dass im Tagesgeschäft einer ärztlichen Praxis es letztlich zu Lasten der für die Behandlung von Patienten zur Verfügung stehenden Zeit geht, sich mit Bewertungen im Internet beschäftigen zu müssen. Ärzte müssen sich andererseits wie alle anderen Unternehmer mit vielen unternehmerisch notwendigen Dingen beschäftigen, die sie nicht unbedingt als sinnvoll erachten. Andererseits bietet die Beobachtung dieser öffentlich zugänglichen Informationen auch die Chance, Fehlentwicklungen in der eigenen Praxis aufzudecken und gegenzusteuern. Bei aller Vorsicht gegenüber derartigen Äußerungen kann es jedoch ein Anlass sein, bestimmten Dingen nachzugehen, wenn z. B. mehrfach Patienten in ihren Bewertungen die Unhöflichkeit des Personals einer Praxis beanstanden. Auch aus diesem Grunde wird jeder Arzt für sich entscheiden müssen, ob und in welchem Umfang er sich mit seinen Bewertungen im Internet auseinandersetzt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Februar 2018 ist jedenfalls ein Beleg dafür, dass sich die Mühe lohnen kann.
Im konkreten Sachverhalt hatte die Ärztin Erfolg und konnte eine Löschung ihres Jameda-Profils durchsetzen, weil Jameda zu diesem Zeitpunkt unter ihrem Profil Werbeanzeigen konkurrierender Ärzte der gleichen Fachrichtung veröffentlicht hat. Dies musste sich die klagende Ärztin nach der Entscheidung des BGH nicht gefallen lassen.
Aktuelle Entscheidungen und Entwicklungen
Bei allen positiven Aspekten, die die BGH-Entscheidung von 2018 aus Sicht der Ärzte bereithält, hilft sie im Ergebnis jedoch deswegen nicht weiter, weil Jameda den Hauptbeanstandungspunkt, nämlich die Einblendung von Werbeanzeigen von konkurrierenden Ärzten, nach der Entscheidung des BGH abgeschafft und damit Löschungansprüchen gestützt auf diesen Grund die Grundlage entzogen hat. Dies verdeutlicht auch eine besondere Schwierigkeit beim Kampf gegen Bewertungen im Internet. Denn die Plattformbetreiber reagieren natürlich auf die konkreten Beanstandungspunkte der Gerichte und ändern Darstellung und Bewertungssystem anhand der gerichtlichen Entscheidungen so ab, dass die Urteile dann auf die aktuelle Fassung der Plattform nicht ohne weiteres anwendbar sind oder bleiben.
Für besonderes Aufsehen haben zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts Köln vom 14.11.2019 (Az. 15 U 89/19 und 15 U 126/19) gesorgt. In beiden Entscheidungen hat das OLG Köln die geltend gemachten Löschungsansprüche von zwei Ärzten für ihr Jameda-Profil bejaht mit der Begründung, dass mehrere frühere bzw. auch aktuelle Ausgestaltungen der Plattform unzulässig seien. Anlehnend an die BGH-Entscheidung aus 2018 wirft das OLG Köln Jameda vor, mit seiner konkreten Ausgestaltung der Plattform seine neutrale Position verlassen zu haben, weil sie zahlenden Kunden „verdeckte Vorteile“ gewähre. Das OLG wirft der Plattform weiter vor, dass die Vorteile in der Darstellung der zahlenden Ärzte für die Verbraucher, die die Plattform nutzen, nicht erkennbar seien. Das Gericht macht allerdings seine Beanstandungen und seine Bewertung, dass Jameda seine neutrale Position verlasse, an ganz konkreten Gestaltungsmerkmalen fest. So beanstandet das Gericht, dass jedenfalls bis zu einer von Jameda vorgenommenen Änderung auf so genannten Basisprofilen mit einem Button „Weitere“ auf eine Liste mit weiteren Ärzten verwiesen wurde, während dies bei den Profilen der bezahlenden Kunden (Premiumkunden) unterblieb. Ebenfalls beanstandet das Gericht auch die unterschiedliche bildliche Darstellung zwischen Basis- und Premiumkunden. Jameda schaffe insgesamt mit seiner Ausgestaltung ein „optisches Gefälle“ zwischen Basiskunden und Premiumkunden und schalte sich damit bei der Arztwahl lenkend in den Wettbewerb zwischen den örtlichen Konkurrenten ein. Auch die Einräumung der Möglichkeit der Veröffentlichung von Fachartikeln, die mit dem Profil von Premiumkunden verbunden werden, wird vom Gericht beanstandet. Das Gericht sieht also in diesen konkreten Gestaltungspunkten eine unzulässige Bevorzugung, die für die betroffenen Ärzte, die keine Bezahlkunden waren, zum Löschungsanspruch führt. Andere in diesem Verfahren angegriffene Gestaltungsmerkmale von Jameda sieht das Gericht gleichzeitig aber auch als zulässig an, z. B. die Möglichkeit von Premiumkunden, auf ihrem bezahlten Profil in größerem Umfange ihre angebotenen Leistungen darzustellen. Das Oberlandesgericht Köln hat die Revision zum Bundesgerichtshof ausdrücklich zugelassen, weil es davon ausgeht, dass die Fragen nach einer zulässigen Gestaltung einer Arztbewerbungsplattform auch für viele zukünftige Verfahren Bedeutung haben werden. Solche Verfahren sind anhängig, das Landgericht München hat in einer Entscheidung vom 6. Dezember 2019 mit einer ähnlichen Begründung den von drei Ärzten geltend gemachten Löschungsanspruch zu ihrem Basisprofil bei Jameda ebenfalls bejaht.
Fazit
Nach den ersten Entscheidungen zu Arztbewertungsportalen musste man eher verzagen. Die aktuellere Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofes, aber auch der damit befassten weiteren Gerichte gibt aber Anlass zu Hoffnung, dass man sich gegen als ungerecht empfundene Bewertungen, aber auch gegen deren werbliche Gestaltung, die einen Beteiligungsdruck erzeugen soll, erfolgreich zur Wehr setzen kann. Man muss sich aber bewusst bleiben, dass Ärztebewertungsportale eine von der Rechtsprechung grundsätzlich gebilligte und gesellschaftlich wie politisch erwünschte Funktion erfüllen. Rechtsprechung wie politische Entscheider stehen der Information von Verbrauchern durch derartige Angebote grundsätzlich positiv gegenüber, ohne ihre Augen vor den Schwächen, aber auch den geschäftlichen Interessen solcher Plattformen zu verschließen.
Peter Breun-Goerke, Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt), Wettbewerbszentrale, Landgrafenstraße 24 b, 61348 Bad Homburg