Eine „unhappy triad“ kommt plötzlich und unerwartet. Eine unbedachte Bewegung oder Trauma führt zu tief greifenden Schäden am Kniegelenk, häufig mit langwierigen Folgen. Ähnlich unerwartet ist es jetzt zu tief greifenden Schäden für die fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen gekommen. Dafür sind zwei Faktoren verantwortlich.
Vom Gesetzgeber initiiert und von der ärztlichen Selbstverwaltung in Form der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) abgenickt, führt der neue EBM, der Einheitliche Bewertungsmaßstab, zu einer massiven Umverteilung der ärztlichen Vergütung.
Den Internisten und ihren Schwerpunkten fehlen insgesamt 1 Million Euro. Zusätzlich sind von den Radiologen und Nuklearmedizinern 1,5 Millionen Euro und von den Orthopäden über 600.000 Euro aufzubringen.
Die KBV hat die Umverteilung berechnet und mit den Sozialpartnern konsentiert. Dabei sind ihr Fehler unterlaufen. Investitionskosten, Abschreibung und Verzinsung, Personalkosten, Raumkosten wurden nicht ausreichend berücksichtigt. Ganz zu schweigen von dem für die Kolleginnen und Kollegen einzugehenden finanziellen Risiko. Es macht schon einen Unterschied, ob ein gutes ärztliches Gehalt mit einem sehr geringen finanziellen Risiko wie Sprechzimmer, einem/r Mitarbeiter/-in und Stethoskop erfolgt. Oder ob es sich, notwendigerweise, um Investitionen in Millionenhöhe, beispielsweise in der Radiologie, handelt.
Noch ein Fehler ist der KBV unterlaufen. Sie hat einfach die Honorare für die Behandlung von Privatpatienten in ihre Berechnungen des ärztlichen Honorars der verschiedenen Fachgruppen integriert. Das steht der KBV nicht zu und ist systemwidrig. Ein Ausfall des Privathonorars aus welchem Grund auch immer würde auch nicht von der KBV ersetzt. Zudem lassen die unmittelbar vor der Beschlussfassung erfolgten Änderungen der Abschläge an einer korrekten Kalkulation der Leistungen zweifeln.
Die KV’en in den Bundesländern mussten den vermurksten EBM zum 1. April 2020 umsetzen. Man hat sich, besonders auch in Hessen, alle Mühe gegeben, durch neue Bezugsgrößen die Auswirkungen des neuen EBM abzumildern. Es bleiben Honorarminderungen – insbesondere im radiologisch-nuklearmedizinischen Bereich, aber auch bei den Internisten und den Orthopäden von 5–6 %. Die Praxiskosten laufen dagegen in voller Höhe und mit Lohnsteigerungen weiter. Eine Besserung ist nicht in Sicht.
Genau in diese vulnerable Phase stößt Covid-19. Die vom Autor ausdrücklich begrüßten und epidemiologisch begründeten Einschränkungen treffen die Fachärzteschaft ein zweites Mal – und ein Ende ist nicht abzusehen.
Fachrichtungen mit Elektivterminen wie Augen, HNO, Urologie und Orthopädie stellen den Praxisbetrieb ein oder versorgen noch 30 % der Patienten bei 100 % Kosten. Belegärzte dürfen nicht mehr operieren und erhalten dafür 0 % Vergütung. Gleiches gilt für Privateinnahmen, BG-Fälle (Patienten, für die Berufsgenossenschaften zuständig sind) und Selektivverträge. Krankenhäuser fallen unter den Schutzschirm, eine Weitergabe von Geld für nicht erbrachte Leistungen an ihre Belegärzte wäre aber wegen einer Korruptionsvermutung ein Fall für den Staatsanwalt.
Der sogenannte Schutzschirm nach § 87a Abs. 3b SGB V gilt nur für einen kleinen Teil des Honorars – kurz vor der Insolvenz – und ist ein Fake. Kurzarbeitergeld gibt es nur im Einzelfall, obwohl die Einnahmen für viele Bereiche fehlen. Die Situation ist kaum besser als beim geschlossenen Italiener um die Ecke. Die Behauptung der Krankenkassen, man könne die ausgefallenen elektiven Prozeduren ja nachholen, ist wirklichkeitsfremd. Wie beim Italiener: Jeder Tisch kann nur einmal besetzt werden.
Was ist das Fazit?
Der EBM kostet Teile der Fachärzteschaft richtig viel Geld. Wenn technische Leistungen nur noch zum Selbstkostentarif erbracht werden, fällt die jahrelange Quersubvention des Arztlohnes weg. Daher muss die Vergütung der ärztlichen Leistung entsprechend angepasst werden. IT-Spezialisten im Angestelltenverhältnis würden für den kalkulierten Arztlohn gar nicht erst zur Arbeit erscheinen.
Der sogenannte Schutzschirm für die angeordneten Covid-19-Einschränkungen muss für die ausgefallenen Termine und die abgesagten elektiven technischen und operativen Leistungen im ambulanten fachärztlichen und belegärztlichen Bereich gelten. Die aktuellen Regelungen für die finanziellen Einbußen durch staatliche Anordnungen gefährden das System der ambulanten fachärztlichen Versorgung. Eine Übernahme dieser Versorgung durch Kliniken ist organisatorisch und finanziell undenkbar.
Dr. med. Wolf Andreas Fach, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen, Berufsverband Deutscher Internisten e. V., Vorsitzender Landesverband Hessen
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