Gespräch mit Dr. med. Cornelius Weiß zum Offenen Brief des Bündnis Junge Ärzte
Das Interview mit dem LÄKH-Delegierten Dr. med. Cornelius Weiß bezieht sich unter anderem auf den Offenen Brief des Bündnis Junge Ärzte an die Bundesregierung, der auf dieser Doppelseite im Wortlaut abgedruckt ist.
Dr. med. Cornelius Weiß: Als ich mit dem Studium angefangen habe, hatte ich noch ganz andere Vorstellungen davon, wie es später mal sein wird als Arzt zu arbeiten. Durch die tatsächlichen Umstände des ärztlichen Alltags ist mir jedoch schnell klar geworden, dass der Kern der eigentlichen ärztlichen Arbeit, die Arbeit am Patienten, in den Hintergrund rückt und nicht-ärztliche Tätigkeiten in den Vordergrund. Darunter leiden natürlich die Weiterbildung und die Qualität der Arbeit aller zukünftigen Ärzte. Der Unmut über ein System, in dem die Arbeitsverdichtung und die Dokumentationspflichten immer weiter zunehmen, gleichzeitig aber keine Zeit dafür bleibt, den Nachwuchs weiterzubilden, ist unter den Kollegen natürlich groß. Nur darüber sprechen hilft oft nicht. Man muss mit anpacken und selbst Verantwortung übernehmen. Und so ist es irgendwie passiert, dass ich in der Berufspolitik gelandet bin.
Nun hat sich das Bündnis Junge Ärzte – ein Zusammenschluss mehrerer medizinischer Nachwuchsorganisationen, in dem Sie den Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) mit repräsentieren – mit einem Offenen Brief an Kanzlerin Merkel und Bundesgesundheitsminister Spahn gewandt. Dort stellen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen drei Forderungen auf: das Ende der Profitmaximierung, den Bürokratieabbau und eine bundesweit einheitliche Digitalisierung sowie eine hochqualitative Weiterbildung. Der Brief erschien am 27. April, d. h. mitten in der Corona-Krise, in der auch Sie zahlreiche Covid-19-Patienten in Ihrer Klinik behandeln. Warum eine Veröffentlichung gerade zu diesem Zeitpunkt?
Weiß: Während das Land stillsteht, stehen wir jeden Morgen auf, fahren auf leeren Straßen zur Arbeit und machen Extraschichten auf den überall in Deutschland eingerichteten Covid-19-Stationen. Wir können weiter unserem Beruf nachgehen. Vielen anderen bleibt die Chance verwehrt, etwas tun zu können in der aktuellen Situation. Von daher erschien es uns naheliegend, dass man von uns, die sozusagen an der Front sind, etwas hört: was wir denken, wie wir das alles erleben. Die Frage lautet also vielmehr: Hätten wir es uns leisten können, nichts zu sagen?
Erfreulicherweise blieben uns ja die Bilder wie in Italien oder auch New York erspart. Gerade das Krisenmanagement in den einzelnen Kliniken, zumindest das, was ich persönlich mitbekommen habe, war sehr gewissenhaft und transparent. Aber nur weil Klinikmanager, Krisenstäbe und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier nochmal „die Kuh vom Eis“ geholt haben, ist diese Leistung noch lange kein Verdienst des Systems. Vielmehr hat die Krise gezeigt, dass das Arbeiten auch ohne das bürokratische Joch und die kommerziellen Zwänge funktioniert – weil wir Profitmaximierung hinten anstellen und uns auf das Wesentliche konzentrieren: das Wohl unserer Patienten. Die Fehlanreize durch das DRG-System sorgen ja nämlich nicht dafür, dass derjenige, der am besten heilt, das meiste Geld bekommt, sondern derjenige, der die aufwendigsten Interventionen betreibt. Wir brauchen grundsätzlich mehr Zeit für unsere Patienten. Das versprechen wir uns vom Bürokratieabbau – sowie einer Digitalisierung, die den Patienten nützt und nicht der Datensammelleidenschaft einiger weniger.
Auch geht es uns ganz entschieden um eine würdige Weiterbildung – die ja aktuell zu einem ökonomischen Störfaktor gerät. Im Vordergrund steht nicht etwa die Weitergabe von ärztlichem Wissen und Können an die nächste Generation, sondern das möglichst flotte Abarbeiten von „Diagnostikfließbändern“. Hierbei ist derjenige, der das Fließband nicht schnell genug bedienen kann, sinngemäß ein Störfaktor im Fließbandgetriebe – und soll dann selbst schauen, wo und wie er was lernt. Das muss ein Ende haben. Die Weitergabe von Wissen ist genauso wie die eigene Fort- und Weiterbildung ein so essenzieller Teil des Arztberufes, dass es geradezu absurd ist, diesen „outzusourcen“.
Der Ton des Briefes ist kämpferisch und formuliert ein klares „Kein ‚Weiter so!‘“. Was sind Ihre Prognosen: Wird es über kurz oder lang eine Abkehr vom vielkritisierten DRG-System sowie eine sinnvolle Digitalisierung im Gesundheitswesen und eine hochqualitative Weiterbildung geben?
Weiß: Die Frage ist doch: Was muss eigentlich noch alles passieren, damit man aufwacht? Brauchen wir zur Pandemie erst noch eine Naturkatastrophe, eine Wirtschaftskrise oder die zehnte erschreckende Studie zum gesundheitlichen Zustand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitssystem? Es verwundert kaum, dass der Ton in der Debatte rauer wird. Wir wissen, dass nahezu ein Viertel (!) aller jungen Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) Medikamente nimmt, um mit der Arbeitsbelastung klarzukommen.
Meiner Meinung nach ist es aber nur logisch, das DRG-System weiterzuentwickeln bzw. gänzlich zu ersetzen. Wir sind nicht naiv und wissen, dass unser Gesundheitssystem teuer ist und wir natürlich auf eine sinnvolle Ressourcenverteilung achten müssen. Das DRG-System war hier ein Versuch, die Kosten zu drosseln. Es wird allerdings nicht den Menschen gerecht. Hier müssen wir nochmal ran.
Eine hochqualitative Weiterbildung wird es geben. Da bin ich mir sicher. Ich erlebe seit Jahren, wie in vielen kleinen Schritten engagierte Ärztinnen und Ärzte dafür kämpfen. Mit der neuen Weiterbildungsordnung und dem eLogbuch sind zumindest schon mal Schritte in die richtige Richtung unternommen worden.
Wie würden Sie aus der eigenen Erfahrung die aktuelle Stimmung unter den jungen Ärztinnen und Ärztinnen schildern?
Weiß: Ich verweise gern auf eine Vielzahl von Studien, die die Zustände besser schildern, als ich es könnte. Das Bild, das diese zeichnen, ist eindeutig: Die Identifikation mit dem eigenen Beruf ist so groß wie in nahezu keiner anderen Berufsgruppe. Wir haben hier tolle, leidenschaftliche, kluge und vor allem idealistische Menschen. Und gerade dadurch den großen Widerspruch mit den tatsächlichen Arbeitsbedingungen und der eigenen Limitiertheit, innerhalb dieses Systems nicht das tun zu können, was man, als man diesen Beruf ergriff, eigentlich wollte: nämlich für die Patienten da zu sein, sich auf sie einlassen und ihnen helfen zu können. Dieser Widerspruch führt dazu, dass ein großer Teil der ÄiW das System verlässt und in andere Berufe wechselt. Von denen, die bleiben, nehmen 25 % Medikamente ein, um den Alltag zu bewältigen. Die Frage ist also: Wie lange kann und will sich das eine Gesellschaft eigentlich noch leisten?
Interview: Alla Soumm