Teil 3: Qualitätssicherung in der Hämotherapie: Plädoyer für eine starke Fehlerkultur

Silke Nahlinger, Katrin Israel-Laubinger, Nina Walter

Patientensicherheit ist ein wesentlicher Aspekt beim Umgang mit Blutprodukten in der täglichen Praxis. Die Entwicklung der Qualitätssicherung (QS) in der Hämotherapie ist ein gutes Beispiel für die Etablierung einer Fehlerkultur. Durch die Ärzteschaft und den Gesetzgeber wurden hier weitreichende Maßnahmen etabliert. Welche Aufgaben und Verpflichtungen ergeben sich konkret daraus? Welche neuen Entwicklungen gibt es und wie unterstützt die Landesärztekammer Hessen die Ärzte in ihrem Kammerbereich?

Der dritte Artikel der Serie „Patientensicherheit“ zeigt anhand der Hämotherapie die konkrete Umsetzung des Themas im ärztlichen Alltag, ergänzt durch ein Kurzinterview mit Dr. med. Andreas Opitz.

Lernen aus Fehlern

Die Anfänge der standardisierten Anwendung von Blut und Blutprodukten zur Erhöhung der Sicherheit in der Hämotherapie reichen bis in die 1950er-Jahre zurück. Trotzdem führten in den 1980er-Jahren gravierende Zwischenfälle – der sogenannte „Blutskandal“ – zu einer weitreichenden Auseinandersetzung mit der Sicherheitskultur in diesem Bereich. Dies förderte die Einsicht, dass Fehlerquellen frühzeitig erkannt werden müssen, um schwerwiegende Folgen zu verhindern. Das damals noch bestehende Bundesgesundheitsamt versäumte wichtige Sicherheitsprüfungen bei nach Deutschland importiertem Blut und Medikamenten. In dieser Zeit infizierten sich mehr als 4.000 Hämophilie-Patienten durch verunreinigte Blutprodukte mit Hepatitis C, B und HIV.

Diese Vorkommnisse wurden von einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages aufgearbeitet. In der Folge trat 1998 das Transfusionsgesetz (TFG) in Kraft, das mit dem § 15 ein Qualitätssicherungssystem für alle Einrichtungen der Krankenversorgung, die Blutprodukte anwenden, vorschreibt. Diese Maßnahme einzuführen, umzusetzen und zu überwachen wurde vom Gesetzgeber in die Hände der Ärzteschaft gelegt [1–3].

Gemäß § 24 TFG wurde der Arbeitskreis Blut gegründet – ein Expertengremium, das die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder in Sicherheitsfragen bei der Gewinnung und Anwendung von Blut und Blutprodukten berät. Im Jahr 2000 wurde durch die Bundesärztekammer und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erstmalig die „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie)“ – die Richtlinie Hämotherapie – verabschiedet. Regelmäßige Novellen erfolgten – zuletzt 2017. Die Etablierung dieser Richtlinie war eine tief greifende Neuerung für die Anwender von Blutprodukten und ein wichtiger Meilenstein für die Patientensicherheit in der Transfusionsmedizin [4, 5].

Kreislauf der Überwachung des QS-Systems Hämotherapie am Beispiel des PDCA-Zyklus von William Edward Deming

Fehlerquellen in der modernen Hämotherapie

Heute sind der Qualitätsstandard für Blutprodukte und der Standard der damit verbundenen Prozessschritte Dank aller etablierten Maßnahmen auf einem hohen Niveau. Dennoch können Fehler passieren [6]. Während die Meldung schwerwiegender Transfusionsreaktionen und Zwischenfälle gesetzlich verankert ist (§ 16 TFG), fehlt eine Regelung zur Erfassung von Beinahe-Fehlern. Der aktuelle Hämovigilanzbericht des PEI fasst u. a. zusammen, dass „die Meldungen schwerwiegender Zwischenfälle weiter zugenommen haben“. 2016 und 2017 war die Ursache der meisten dieser Meldungen „der Faktor Mensch“ und bezog sich vorwiegend auf Fehltransfusionen1. In den Jahren 2015 bis 2017 betraf dies 209 Mal die Anwendung von Erythrozytenkonzentraten, wovon in 79 Fällen Transfusionsreaktionen auftraten und sechs davon einen tödlichen Verlauf nahmen [6, 7].

Der Beitrag der Ärzteschaft

Neben der Produktqualität und der richtigen Indikationsstellung spielt in der Hämotherapie die Prozesssicherheit eine zentrale Rolle [6]. Daher regelt die Richtlinie Hämotherapie detailliert die QS im Zusammenspiel aller beteiligten Funktionen, Einrichtungen und Institutionen – im ganzheitlichen Sinne der Patientensicherheit. Unverzichtbare Funktionen in diesem System, die ärztlich besetzt werden müssen, sind der Transfusionsverantwortliche (TV), der Transfusionsbeauftragte (TB) und der Qualitätsbeauftragte Hämotherapie (QBH). Auch die transfundierenden Ärzte, das pflegerische Personal, Labor- und Blutdepotleiter sind in dieses System involviert, für das die Leitung der Einrichtung die Gesamtverantwortung trägt. Eine besondere Stellung nimmt der QBH ein – ihm fällt die wichtige Aufgabe der Überprüfung des Qualitätssicherungssystems in seiner Einrichtung zu. Dabei wird er von der zuständigen Landesärztekammer (LÄK) unterstützt (siehe Abb. 1).

So werden zum Beispiel nicht erfüllte Qualifikationsanforderungen, Dokumentationslücken oder fehlende Regelungen bzgl. qualitätsrelevanter Prozesse als Mängel identifiziert. Diese könnten sich zu gravierenden organisatorischen Fehlern potenzieren, die wiederum Zwischenfälle und unerwünschte Ereignisse auslösen. Der Kreislauf aus Richtlinienvorgaben, ihrer Umsetzung in den Einrichtungen, deren Überprüfung, die Kommunikation und anschließende Beseitigung der Mängel fördert wesentlich die Fehlerkultur und die Patientensicherheit in der Hämotherapie. Außer in der Richtlinie sind auch in den Querschnitts-Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten der Bundesärztekammer (BÄK) und im TFG Maßnahmen zur QS festgeschrieben [3, 9].

Auch der Arbeitskreis Blut – ein Zusammenschluss u. a. aus Vertretern von BÄK, Bluttransfusionsdiensten und Fachgesellschaften – veröffentlicht regelmäßig Stellungnahmen. Zuletzt informierte er über die Risiken von Fehltransfusionen und empfiehlt Maßnahmen zur Verminderung von Fehlanwendungen. Zum Beispiel sollen die LÄK und die Deutsche Krankenhausgesellschaft alle Beteiligten regelmäßig auf ihre Meldepflichten hinweisen. Außerdem befürwortet der Arbeitskreis Blut verpflichtende Meldungen für „near misses“ („Beinahe-Schäden“) an den QBH und ihre Integration in das Qualitätssicherungssystem. Weiterhin wird zur Einführung einer Sicherheits-Checkliste für Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten geraten [6].

Gelungene Fehlerkultur?

Viele sinnvolle Vorgaben und nützliche Instrumente konnten in jüngerer Zeit im Zusammenspiel aller Beteiligten in der QS Hämotherapie umgesetzt werden. Die Unterstützung einer konstruktiven Kommunikation zwischen allen Beteiligten und ein offener Umgang mit Fehlern gehören zu den zentralen Elementen einer gelingenden Fehlerkultur. Dieser Prozess wird durch Richtlinien, gesetzliche Vorgaben und schon lange etablierte Maßnahmen gestützt. Dazu gehören die Einführung des jährlichen Qualitätsberichtes, die verschiedenen QS-Funktionen in den Einrichtungen und Institutionen wie bspw. der Arbeitskreis Blut. Für die Umsetzung einer funktionierenden Fehlerkultur reichen standardisierte Vorgaben und deren Einhaltung alleine jedoch nicht aus. Hierfür müssen sich alle Beteiligten ernsthaft und offen mit Fehlerquellen auseinandersetzen, Verbesserungspotenziale erkennen und die kontinuierliche Weiterentwicklung des Systems „leben“.

Silke Nahlinger, MPH

Katrin Israel-Laubinger

Nina Walter, M.A.

Stabsstelle Qualitätssicherung der Landesärztekammer Hessen

E-Mail: qs@laekh.de, Fon: 069 97672-195

Die Literaturhinweise finden Sie in der PDF-Version der aktuellen Ausgabe auf unserer Website unter https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/2020/februar-2020

Patientensicherheit in der QS-Hämotherapie – Einblick in die Praxis

Dr. med. Andreas OpitzDr. med. Andreas Opitz ist seit 2014 ärztlicher Geschäftsführer des DRK Blutspendedienst Rheinland-Pfalz und Saarland gGmbH in Bad Kreuznach. Für mehrere Krankenhäuser übernimmt er die Funktion des Qualitätsbeauftragten Hämotherapie (QBH) bzw. die Leitung des immunhämatologischen Labors. In Hessen ist Dr. Opitz Kursleiter des Kurses „Transfusionsverantwortlicher/Transfusionsbeauftragter/Leiter Blutdepot“ der Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung der LÄK Hessen.

Was sind für Sie die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung der Sicherheitskultur in der Hämotherapie?

Dr. med. Andreas Opitz: Ein Meilenstein war das Transfusionsgesetz 1998 als Reaktion auf den „Blutskandal“, mit dem wesentlichen Ziel, zukünftig für eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten zu sorgen. So wurde erstmals ein rechtlicher Rahmen gesetzt, der den Stand von Wissenschaft und Technik sowohl bei der Gewinnung als auch bei der Anwendung von Blutprodukten definierte. Seitdem wurde ein kontinuierlicher Prozess in Gang gesetzt, um durch zahlreiche Maßnahmen z. B. durch Einführung neuer Tests die Sicherheit von Blutprodukten stetig zu steigern. Dies gilt auch für die Anwendung von Blutprodukten.

Durch die Forderung einer Patienten-individualisierten Hämotherapie in der Richtlinie wurde erreicht, dass die Indikation kritisch hinterfragt sowie geprüft wird, ob eventuell ressourcenschonende Verfahren möglich sind. Dieses veränderte Bewusstsein bei der Anwendung von Blutprodukten dient letztendlich auch der Patientensicherheit.

Welche Bedeutung hat für Sie als QBH die Richtlinie Hämotherapie für die Patientensicherheit?

Opitz: Im § 15 des Transfusionsgesetzes wird für Einrichtungen der Krankenversorgung ein System der Qualitätssicherung (QS) für die Anwendung gefordert. Im Rahmen der QS werden Aufgaben und Qualifikationen festgelegt und Qualitätsstandards definiert. Die Richtlinie Hämotherapie listet die Aufgaben des QBH im Kapitel 6.4.2.2 auf, was zur Handlungssicherheit für den QBH führt. Unter anderem sind regelmäßige Begehungen gefordert, bei denen der QBH überprüft, ob ein funktionierendes QS-System etabliert ist und die Anwender von Blutprodukten qualifiziert sind. Das QS-System führt zu einer stabilen Prozessqualität und erhöht damit die Patientensicherheit.

Wo sehen Sie Verbesserungspotential in der bestehenden Qualitätssicherung Hämotherapie?

Opitz: In zahlreichen Krankenhäusern werden die finanziellen und personellen Ressourcen knapper, deshalb stellt sich die Frage, ob wir den erreichten hohen Qualitätsstandard in der Hämotherapie auf Dauer erhalten können. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen besteht häufig Unsicherheit, welche haftungsrechtlichen Konsequenzen die Übernahme einer Funktion z. B. als TV oder TB bedeuten. Aufgrund der zunehmenden Arbeitsverdichtung wird es immer schwieriger, Ärztinnen oder Ärzte zu finden, die diese Aufgaben freiwillig übernehmen. Leider verfügen viele Krankenhäuser noch nicht über eine entsprechende digitale Infrastruktur zur Unterstützung des TV oder TB zum Beispiel bei der Dokumentation der Anwendung von Blutprodukten oder bei der Abfrage von medizinischen Kennzahlen, die die Aufgaben erleichtern könnte. Deshalb wäre es sinnvoll, mehr in die digitale Infrastruktur zu investieren und bei der Übernahme von Funktionen auch den zusätzlichen zeitlichen Aufwand zu regeln.

„Fehltransfusionen sind Transfusionen, bei denen die zu transfundierenden Blutkomponenten dem falschen Patienten zugeordnet oder verabreicht wurden, was meist eine Transfusion von Komponenten mit nicht identischer Blutgruppe zur Folge hat. Zu den Fehltransfusionen gehören aber auch z. B. die Gabe unbestrahlter Blutkomponenten trotz entsprechender Anforderung oder die blutgruppenkompatible Transfusion bei Patienten ohne Transfusionsindikation.“ [7]