Decken sich die Wünsche von Ärztinnen und Ärzten für das Gesundheitswesen eigentlich mit den Wünschen von Patientinnen und Patienten bzw. Bürgerinnen und Bürgern? Im Großen und Ganzen kann diese Frage bejaht werden. Ein aktueller Beleg sind die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse des Bürgerreports 2019, für den die Robert-Bosch-Stiftung im vergangenen Mai mit 400 zufällig ausgewählten Bürgern in fünf deutschen Großstädten Bürgerdialoge zur Erarbeitung von Reformvorschlägen durchführte. Danach ist den Bürgern das Thema Prävention sehr wichtig, so dass sie die Einführung eines neuen Schulfachs „Gesundheit“ vorschlugen. Auch die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen hält dieses Thema für wichtig und forderte die Landesregierung am 23. März 2019 auf, Programme zum Aufbau von Gesundheitskompetenz an den hessischen Schulen einzuführen.
Unterschiede gibt es bei der Finanzierung. Hier möchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Bürgerdialoge eine Grundversicherung/Bürgerversicherung mit der Möglichkeit, individuelle private Zusatzversicherungen abschließen zu können. Bei der Mehrheit der Ärzteschaft wird hingegen die Beibehaltung der dualen Krankenversicherung bevorzugt. Einige Teilnehmende schlugen übrigens die Integration von Marktelementen vor, um bei den Leistungsempfängern und -erbringern mehr Kostenbewusstsein zu erreichen. Vielleicht ließe sich auf diese Weise ja die Absurdität des politisch gerne verkündeten vollumfassenden Leistungsversprechens ohne entsprechende finanzielle Gegenleistung entlarven.
Mehr Zeit für die einzelnen Patienten, eine Verbesserung der pflegerischen Versorgung und eine gerechte Honorierung der Leistungserbringer stehen bei Bürgern und Ärzten ganz oben auf der Wunschliste. Und das gilt auch für die Reorganisation des Gesundheitswesens, das den Fokus auf Orientierung am Gemeinwohl anstelle von Gewinnorientierung richten soll. Hier forderte die Delegiertenversammlung am 23. November 2019: Krankenwohl statt Kommerzialisierung. Dass Organisation und Ausrichtung unseres derzeitigen Gesundheitswesens einer Rejustierung bedürfen, ist also inzwischen nicht nur in der Fachwelt und bei betroffenen Patientinnen und Patienten angekommen, sondern auch bei diesen zufällig ausgewählten Teilnehmenden am Bürgerdialog. Überhaupt scheint es, als ob der naive Glaube, dass der Markt alles zufriedenstellend, wenn nicht sogar am besten richten kann, zunehmend ins Wanken gerät. Das betrifft beileibe nicht nur das Gesundheitssystem, sondern eigentlich alle Bereiche, in denen der Staat sich in der Vergangenheit zunehmend aus seiner Verantwortung zurückgezogen hat.
Kennen Sie noch den Spruch „pünktlich wie die Eisenbahn“? Für die jüngeren Leserinnen und Leser: das war vor 30 Jahren keine ironische Bemerkung, wie man heutzutage wohl annehmen würde, sondern die Feststellung von Pünktlichkeit, wenn nicht sogar Überpünktlichkeit. Was ist seitdem passiert? Die Bahn wurde 1994 privatisiert. Wie sieht es in den Schulen aus, in denen ja eigentlich gemeinsam mit dem Elternhaus der Grundstein für eine solide Bildung als Voraussetzung für ein auskömmliches Leben als Erwachsener mit einem beruflichen Abschluss gelegt werden soll? Lehrermangel und vielfach marode Schulgebäude. Die von den Finanzministern aus Kostengründen favorisierte Streichung des 13. Schuljahres wurde inzwischen in einigen Bundesländern wieder rückgängig gemacht. Einmal mehr ein Schulexperiment, das aus welchen Gründen auch immer, den erhofften Erfolg nicht verbuchen konnte.
Personalmangel beklagen auch Justiz und Polizei. Letztere steht übrigens genau wie Ärzte mit 80 % bei der Bevölkerung auf Platz 1 im Vertrauensranking. Dieses Vertrauen ist ein hohes Gut, das durch entsprechendes Verhalten von Polizeibeamten und Ärzten stets neu verdient werden muss. Umso unverständlicher finde ich pauschale oder voreilige Vorwürfe oder Verdächtigungen, die gerne plakativ von Politikern oder Funktionären geäußert werden, die oftmals über keine Hintergrundkenntnisse verfügen. Manche kritisieren ja sogar die bloße Anwesenheit als Aggressionsauslöser – für mich absolut unverständlich! Statt Diffamierungen benötigen sowohl Polizei als auch Ärzte Unterstützung.
Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident