VNR: 2760602020085020003
Prof. Dr. med. Gernot Rohde, Prof. Dr. med. Sandra Ciesek
Einleitung
Die Grippe („Influenza“) wird durch das Influenzavirus ausgelöst und ist eine weltweit auftretende hochansteckende Infektionskrankheit. Erstmals beschrieben wurde die Grippe im 16. Jahrhundert. Der auslösende Erreger – das Influenzavirus – konnte jedoch erst 1933 von Smith et al. in Mill Hill, Großbritannien isoliert werden (Smith et al., The Lancet 1933).
Der Begriff „Influenza“ stammt von dem lateinischen Wort „influens“ ab, was „Einfluss“ bedeutet. Seit dem 14. Jahrhundert wurde der Begriff vor allem in Italien für verschiedene epidemische Krankheiten verwendet. Die Grippe hat in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder eine große Zahl an Todesopfern gefordert. So starben an der Spanischen Grippe 1918/19 mehr als 20 Millionen Menschen weltweit, einige Quellen gehen sogar von bis zu 50 Millionen Toten aus. 50 Jahre später starben ca. eine Million Menschen 1968 an der Hongkong-Grippe.
Zuletzt starben in Deutschland 2009/2010 insgesamt 258 Menschen an der so genannten „Neuen Grippe„ (zunächst als Schweinegrippe bezeichnet), weltweit waren es über 18.000 Tote.
Neben diesen schweren Pandemien tritt die Influenza jährlich im Rahmen von Epidemien auf. Insgesamt wird ca. 10 % der Weltbevölkerung jährlich infiziert, 1 % der Infizierten wird hospitalisiert und 10 % der Hospitalisierten sterben (Molinari et al. Vaccine 2007; Izurieta et al. N Engl J Med 2000). In konkreten Zahlen bedeutet dies nach Schätzungen der WHO, dass während der jährlichen Influenza-Epidemie weltweit ca. 3–5 Millionen Menschen ernsthaft erkranken und 290.000–650.000 dieser Schwerkranken sterben.
Insgesamt wird ca. 10 % der Weltbevölkerung jährlich infiziert, 1 % der Infizierten wird hospitalisiert und 10 % der Hospitalisierten verstirbt (Molinari et al. Vaccine 2007; Izurieta et al. N Engl J Med 2000). Damit bleibt die Influenza-Infektion auch heute noch ein relevantes medizinisches Problem. Dieser Artikel soll einen Überblick geben über das Influenza-Virus, die Erkrankung und ihre Therapiemöglichkeiten und die Frage, warum wir jedes Jahr einen neuen Impfstoff gegen das Influenza-Virus brauchen.
Das Influenza-Virus
Influenza-Viren gehören zur Familie der Orthomyxoviridae und besitzen ein segmentiertes einzelsträngiges RNA-Genom von negativer Polarität sowie eine Hülle. Insgesamt unterscheidet man vier Gattungen (Alpha-, Beta-, Gamma- und das Deltainfluenzavirus), wobei die Spezies Influenzavirus C und D aktuell in der Humanmedizin keine große klinische Rolle zu spielen scheinen. Die Hüllproteine der Influenza-Viren Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase (NA) sind für die charakteristische spikeartige Oberfläche verantwortlich.
Insgesamt sind 18 verschiedene HA und 9 NA bekannt. Die Influenza-A-Viren werden nach diesen Hüllproteinen benannt, z. B. A(H1N1) oder A(H3N2). Zu den wichtigsten humanpathogenen Hüllproteinen zählen die HA-Serotypen H1, H2, H3, H5 und seltener H7 und H9. Bei den Neuraminidase-Serotypen scheinen vor allem N1, N2 und N7 eine humanpathogene Rolle zu spielen. Die unterschiedlichen Influenzaviren B werden nach dem Ort ihres ersten Auftretens in unterschiedliche Linien eingeteilt.
Das Virusgenom des Influenzavirus A und B besteht jeweils aus acht einzelnen Gensegmenten, die voneinander unabhängig sind. Ist nun ein Wirt mit zwei verschiedenen Influenzaviren zeitgleich infiziert, können so neuartige Influenzaviren mit unterschiedlichen Gensegmenten entstehen und in die Umwelt gelangen. Diese neu kombinierten Influenzaviren können also aus beliebigen Gensegmenten der beiden ursprünglichen Viren zusammengesetzt sein und dadurch andere pathogene Eigenschaften haben. Dieser Vorgang wird auch als „Reassortment“ ganzer Gensegmente bezeichnet und für neue Pandemien verantwortlich gemacht.
Durch das Reassortment kann es dann wiederum zu einer Infektion mit Influenza-Viren kommen, die für das Immunsystem des Wirts neue, bisher unbekannte Antigenstrukturen enthalten („Antigen- shift“). Als RNA-Virus kommt es außerdem durch eine Ungenauigkeit der Polymerase regelmäßig während des Replikationszyklus zu Punktmutationen im Genom. Diese Punktmutationen sind über das gesamte Genom verteilt und können – wenn sie HA oder NA betreffen – zu einer Veränderung der Oberflächenantigene führen („Antigendrift“). Da bereits vorhandene humane Antikörper spezifisch jedoch nur bestimmte Varianten erkennen, kann der Mensch sich immer wieder mit dem Influenza-Virus infizieren. Durch die hohe Mutationsrate und den dadurch entstehenden Antigendrift ist es notwendig, den Impfstoff jede Saison zu modifizieren.
Symptome Influenza
Die Klinik ist gekennzeichnet durch einen plötzlichen Erkrankungsbeginn mit Fieber, Husten oder Halsschmerzen, Muskel- und/oder Kopfschmerzen. Weitere Symptome beinhalten allgemeine Schwäche, Schweißausbrüche, Rhinorrhö, selten auch Übelkeit/Erbrechen und Durchfall. Somit können auch nicht-respiratorische Symptome bei der Präsentation im Vordergrund stehen, was die Identifikation von Patienten erschwert. Man geht davon aus, dass nur ca. ein Drittel der Fälle fieberhaft, ein Drittel leicht (und somit teilweise unbemerkt) und ein Drittel asymptomatisch verlaufen.
Differentialdiagnosen
Wegen der wenig spezifischen Klinik müssen andere virale Atemwegsinfektionen in Betracht gezogen werden. Sehr wichtig ist das Respiratorische Synzytialvirus in diesem Zusammenhang, da es mit Influenza-Viren ko-zirkuliert und ebenfalls schwere Krankheitsbilder, vor allem bei älteren Patienten verursachen kann. Auch Frühgeborene und Kinder mit bronchopulmonaler Dysplasie oder angeborenem Herzfehler haben ein deutlich erhöhtes Letalitätsrisiko. Bei einer pneumonischen Verlaufsform muss differentialdiagnostisch vor allem an eine bakterielle Pneumonie und nicht-infektiöse Erkrankungen wie Linksherzdekompensation, COPD und Aspiration gedacht werden.
Diagnostik
Der serologische Nachweis von Antikörpern gegen Influenzaviren ist verfügbar, eignet sich aber nicht für den Nachweis einer akuten Infektion. Hier muss ein direkter Virusnachweis erfolgen. Als Material eignet sich zum Beispiel ein Nasen-Rachenabstrich, Rachenspülflüssigkeit oder eine bronchoalveoläre Lavage (BAL). Für den direkten Nachweis stehen Antigentests (Nachweis von viralen Proteinen), eine PCR sowie die Virusanzucht in der Zellkultur zur Verfügung. Da die Virusanzucht aufwendig und langwierig ist, spielt sie heute in der Routinediagnostik keine Rolle mehr und ist Speziallaboren vorbehalten. Der klassische Antigentest auf Influenza weist eine geringe Sensitivität von 29–62 % bei hoher Spezifität (> 99 % ) auf (AWMF Leitlinie).
Durch eine Weiterentwicklung der Antigentests können mittlerweile Sensitivitäten bis 80 % bei der Influenza A erreicht werden, beim Nachweis von Influenza-B-Viren ist diese deutlich niedriger. Das bedeutet, dass mit den Schnelltests im Falle eines negativen Ergebnisses nur mit einer PCR eine Infektion sicher ausgeschlossen werden kann. Heutzutage stehen hierfür PCR-basierte „Point of Care“-Kartuschensysteme zur Verfügung, die innerhalb von 30 Minuten zuverlässige Ergebnisse liefern.
Um differentialdiagnostisch eine andere Virusinfektion oder eine bakterielle Infektion bei z. B. einer Pneumonie ausschließen zu können, stehen heutzutage sogenannte Multiplex-PCRs zur Verfügung, die eine zeitgleiche Detektion von über 30 Pathogenen ermöglichen.
Therapie
In der Regel reicht eine symptomatische Therapie und körperliche Schonung. Bei schwereren Fällen oder dem Risiko der Exazerbation einer zugrundeliegenden Atemwegserkrankung (Asthma/COPD) sollte eine antivirale Therapie erwogen werden. Diese sollte so früh wie möglich eingeleitet werden, da die Wirksamkeit in den ersten 48 h nach Symptombeginn am größten ist. Hier stehen die Neuraminidasehemmer Oseltamivir (oral) und Zanamivir (Inhalation) zur Verfügung. Bei Hinweisen auf eine bakterielle Superinfektion besteht die Indikation zur antibiotischen Therapie.
Prävention
Insbesondere bei der Influenza hat sich gezeigt, dass durch Maßnahmen wie Händewaschen, Flächendesinfektion und Abstandhalten zu Personen mit Symptomen einer akuten Atemwegserkrankung das Risiko einer Ansteckung vermindern können. Die wichtigste Maßnahme besteht jedoch aus der Grippeschutzimpfung. Jährlich wird basierend auf der weltweiten Surveillance der Impfstoff so zusammengestellt, dass die erwarteten Influenza-Stämme optimal abgedeckt werden. Inzwischen hat sich der Vierfach-Impfstoff mit jeweils zwei A- und zwei B-Stämmen als Standard etabliert.
Die Impfung ist sehr gut verträglich. An Nebenwirkungen sind vor allem Lokalreaktionen zu nennen. Wichtig ist, zu verstehen, dass man sich nicht durch die Impfung mit Influenza infizieren kann, da die Impfstoffe aus abgetöteten und zerkleinerten Virus-Hülleiweißen bestehen, die nicht infektiös sind (sogenannter attenuierter Spaltimpfstoff). Die meisten Impfstoffe werden noch in Hühnereiern propagiert, so dass auf eine mögliche Hühnereiweißallergie geachtet werden muss. Für Patienten mit einer solchen Allergie steht ein in Zellkultur hergestellter, Hühnereiweiß-freier Impfstoff zur Verfügung. Die Impfung sollte im Oktober oder November durchgeführt werden, da die Grippe-Saison nach Weihnachten ihrem Höhepunkt im Februar/März zustrebt und der optimale Impfschutz nach ca. zwei bis vier Wochen erreicht ist.
Die aktuelle Empfehlung sieht die Indikation bei Patienten über 60 Jahren und bestimmten Risikogruppen vor: Patienten mit chronischen Erkrankungen, Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen, gesunde Schwangere ab dem 2. Trimenon und Schwangere mit einer chronischen Grundkrankheit ab dem 1. Trimenon, Personen mit erhöhter beruflicher Gefährdung, z. B. medizinisches Personal und Personen, die als mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute Risikopersonen fungieren können (siehe www.rki.de).
Multiple Choice-Fragen
Die Multiple Choice-Fragen zu dem Artikel „Influenza: Warum brauchen wir jedes Jahr einen neuen Impfstoff?“ von Prof. Dr. med. Gernot Rohde und Prof. Dr. med. Sandra Ciesek finden Sie im Mitglieder-Portal der Landesärztekammer Hessen (https://portal.laekh.de) sowie auf den Online-Seiten des Hessischen Ärzteblattes (www.laekh.de). Die Teilnahme zur Erlangung von Fortbildungspunkten ist ausschließlich online über das Mitglieder-Portal vom 25. Januar 2020 bis 24. Januar 2021 möglich. Die Fortbildung ist mit zwei Punkten zertifiziert. Mit Absenden des Fragebogens bestätigen Sie, dass Sie dieses CME-Modul nicht bereits an anderer Stelle absolviert haben.
Dieser Artikel hat ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen.
Laut der Autoren sind die Inhalte des Artikels produkt- und/oder dienstleistungsneutral, es bestehen keine Interessenkonflikte.
Univ.-Prof. Dr. med. Gernot G. U. Rohde, Medizinische Klinik 1 – Pneumologie/ Allergologie
Univ.-Prof. Dr. med. Sandra Ciesek, Institut für Medizinische Virologie
beide Universitätsklinikum Frankfurt am Main, Goethe-Universität, Kontakt per E-Mail: anja.gabriel@kgu.de
Die CME-Fragen finden Sie in der PDF-Version der aktuellen Ausgabe auf unserer Website unter https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/2020/februar-2020