Ein CIRS für Studierende ist Beinahe-Schäden auf der Spur

S.H.I.T. HAPPENS

Das CIRS für Studierende ist ein Projekt des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP). Es wird wissenschaftlich unterstützt vom Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ), vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS) und dem Bundesverband der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd). Es hat das Ziel, die Sicherheit von PatientInnen und den versorgenden Fachkräften im Gesundheitssystem zu erhöhen. Im Internet: https://www.impp.de/informationen/studentisches-cirs.html

Den zuweilen beiläufig geäußerten Kommentar „Shit happens“ möchte kein Mensch hören, wenn es um Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen geht. Doch S.H.I.T. HAPPENS, das „Student Health Professionals’ Incident Reporting Tool“, zielt mit seinem einprägsamen Projektnamen genau darauf: Sogenannte Beinahe-Unfälle und unsichere Handlungen systematisch zu erfassen, um daraus zu lernen. S.H.I.T. HAPPENS ist ein Ableger des „Critical Incident Reporting System“ (CIRSmedical.de) für Studierende.

Das Ziel aller CIRS-Anwendungen ist es letztlich, die Patientensicherheit zu erhöhen. Zu diesem hohen Gut leistet ein erfolgreiches CIRS-Tool seinen Beitrag, indem es unsichere Handlungen erfasst und auswertet. Im Falle des Studierenden-CIRS werden aus kritischen Situationen in der Praxis neue Lerninhalte für die Berufsgruppen der Humanmedizin, Pharmazie und Psychotherapie gewonnen oder auch Lerninhalte mit bestehenden Lernzielkatalogen abgeglichen.

Mit S.H.I.T. HAPPENS steht erstmalig ein standortübergreifendes Berichts- und Lernsystem für Studierende zur Verfügung, das die angehenden Fachleute dabei unterstützt, ein Bewusstsein für gesundheitsrelevante Risiken zu entwickeln und eine offene Fehlerkultur zu etablieren. Wichtig zu betonen ist:

  • Schadensfälle werden nicht bearbeitet, sondern es geht um Beinahe-Schäden und unsichere Handlungen.
  • Es ist ein anonymes und sanktionsfreies Meldesystem. Belastende Folgen von Fehlern wie beispielsweise der Second-Victim-Effekt können so vermindert und Lern- und Prüfinhalte für die Ausbildungsgänge der Humanmedizin, Pharmazie und Psychotherapie gewonnen werden.

2018: S.H.I.T. HAPPENS geht an den Start

Im Jahr 2018 hat das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) S.H.I.T. HAPPENS ins Leben gerufen – in Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener Berufsgruppen, Studierenden der Pharmazie und der Humanmedizin sowie Auszubildenden in der psychologischen Psychotherapie. Der Name ging auf einen Vorschlag der Studierenden zurück. Die Eingabe von Ereignissen erfolgt über eine Plattform, die vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) zur Verfügung gestellt und vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS) unterstützt wird. Die Eingabe eines Falls erfolgt ohne Angabe von Namen – sowohl für den Meldenden, als auch für die Institution über die gemeldet wird.

Zudem wird diese Plattform über einen Hochsicherheitsserver betrieben, der eine Rückverfolgung auf den Eingebenden unmöglich macht. Eingaben werden nach dieser digitalen Anonymisierung zusätzlich inhaltlich de-identifiziert oder – wenn das nicht möglich ist – gelöscht. Die eingegebenen Fälle werden durch eine Fachgruppe analysiert, bewertet und dem oder der Meldenden zurückgespiegelt. Diese erhalten bei Eingabe einen fallbezogenen, individuellen Zahlencode, über den sie die Bearbeitung anonym nachvollziehen können. Danach sind die Fälle nicht nur für die Eingebenden, sondern auch für Interessierte offen einsehbar. So können Studierende und Auszubildende aus den Fällen lernen und auch eventuelle eigene Fehlkonzepte korrigieren.

Außerdem erfolgt eine Weiterleitung der Fälle an Institutionen und Fachkommissionen, um aus sicherheitsrelevanten Ereignissen realitätsnahe Schulungs- und Prüfungsinhalte erstellen zu können. Für im Gesundheitswesen Berufstätige mit abgeschlossener Ausbildung wird ein solches Berichts- und Lernsystem (CIRS, Critical Incident Reporting System) bereits seit mehr als zehn Jahren angeboten. Anders als beim CIRS für Fachpersonal werden die Inhalte jedoch zusätzlich auf ihre Eignung für die medizinische Ausbildung geprüft. Durch Rückmeldung von Studierenden an Studierenden wird die Ausbildung der folgenden Generationen praxisnah verbessert.

S.H.I.T. HAPPENS steht noch am Anfang seines Lebenszyklus’. Die Auswertungen der Beteiligung und der Fallzahlen werden zeigen, inwieweit sich das Studierenden-CIRS vom CIRS der Ärzteschaft unterscheidet.

Wie Fehler entstehen: Fallbeispiel aus dem Studierenden-CIRS

Beinahe-Schäden und kritische Ereignisse im Gesundheitswesen entstehen sehr häufig an Schnittstellen interprofessioneller Zusammenarbeit. Ein Fallbeispiel aus S.H.I.T. HAPPENS belegt das: Jemand wurde beauftragt, „Blutkonserven“ für einen Patienten zu holen, der regelmäßige Infusionen benötigt. In der Eile (Zeitmangel für einen kritischen Prozess) wurde die genaue Anzahl nicht verstanden (Kommunikationsproblem, keine Closed-Loop-Communication), die Person hat sich aber auch nicht getraut, noch mal nachzufragen (Angst vor den Lehrenden). Die Person brachte zwei Stück, obwohl der Patient nur eine bekommen sollte. Aufgrund der unterbrochenen Kühlkette konnte das zweite Konzentrat nicht in die Blutbank zurückgegeben werden. Die Pflegekraft war verärgert und schickte die Person weg mit den Worten: „Dann muss der Patient jetzt eben beide bekommen.“

Hier geht es um das Verständnis der Studierenden für die Risiken von Transfusionen sowie für das vom Mangel an Transfusat. Unklar ist, ob der psychologische Druck durch die Pflegekraft ausreicht, um dem Patienten tatsächlich falsch zu transfundieren. Eine mögliche Frage im Examen könnte anhand der Fallvignette lauten: Welche Kommunikationsform ist am ehesten geeignet um diesen Fehler zu verhindern (A: Diskurs, B: Closed Loop Communication, C: Reflecting Team, D: Befehl, E: Aktives Zuhören)? Bei der Betrachtung des Fallbeispiels ist es wichtig sich vor Augen zu halten, dass medizinische Beinahe-Schäden nur sehr selten monoprofessionell verursacht sind.

Studierenden-CIRS steht allen offen: Meldesystem nutzen

Vielmehr betreffen Fehler oder Irrtümer das Handeln aller an der Patientenversorgung beteiligten Berufe. Das reicht von Angehörigen der Rettungsdienste über Ärztinnen und Pflegekräfte bis zu Medizinischen Fachangestellten, Medizintechnikern, Apothekerinnen und Physiotherapeuten. Daher ist geplant, das Studierenden-CIRS auch auf andere Berufsgruppen zu übertragen. Wer sich beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen sich an die Autoren zu wenden. So können die Eingaben sektorenübergreifend quasi 360° die Ausbildungsinhalte der anderen Professionen optimieren. Zum Wohle der Patienten, denn in der Praxis will niemand „Shit happens“ hören.

Dr. med. Stefan Bushuven, MME

Stefan Bushuven ist Krankenhaushygieniker, Leitender Notarzt und klinischer Risikomanager im Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN). Der Facharzt für Anästhesie hat diverse Zusatzqualifikationen in der Medizinhygiene, Intensiv- und Notfallmedizin und studiert momentan Medizinethik in Mainz. Er ist der Projektleiter von S.H.I.T. HAPPENS. E-Mail: S.Bushuven@gmx.de

Prof. Dr. med. Jana Jünger, MME (Bern)

Seit April 2016 Direktorin des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in Mainz. Zuvor Leiterin des Kompetenzzentrums für Prüfungen in der Medizin in Baden-Württemberg, Oberärztin (Fachärztin Innere Medizin) in der Abteilung für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg. Sie entwickelte den Postgraduierten-Studiengang Master of Medical Education (MME) in Deutschland mit.

Korrespondenzadresse:

Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), Rheinstraße 4, 55116 Mainz

E-Mail: JJuenger@impp.de