Dr. med. Susanne Johna: Die Kombination der Schutzmaßnahmen ist entscheidend
Halten Sie die derzeitige Teststrategie für richtig? Werden die Fallzahlen möglicherweise durch häufige falsch positive Befunde in die Höhe getrieben?
Dr. med. Susanne Johna: Falsch positive Ergebnisse spielen bei einer PCR-Testung eine untergeordnete Rolle. Das SARS-CoV-2 Virus gehört nicht zur normalen Nasen-Rachenflora. Insofern ist die Frage: Ist der Nachweis von Virusbestandteilen für den Träger oder bezüglich der Ansteckungsfähigkeit relevant? Dies hängt davon ab, wie viel Virus beim untersuchten Patienten im Abstrich nachgewiesen wird. Als Maß für die tatsächlich vorhandene Menge an Virus-RNA kann der beim PCR-Test ermittelte Ct-Wert (Cycle-threshold) herangezogen werden. Er ist ein Maß für die benötigten Schritte zur Vervielfältigung des viralen Erbguts. Dabei gilt, je höher der gefundene Ct-Wert ist, desto niedriger ist die ursprüngliche Viruskonzentration in der untersuchten Probe. Ct-Werte von > 30 gelten dabei als Hinweis auf eine niedrige, Werte von > 35 auf eine sehr niedrige Viruskonzentration.
Anders zu bewerten sind Ergebnisse der Antigentestungen. Wie sicher hier positive und negative Ergebnisse zu werten sind wird derzeit noch in Studien untersucht.
Gibt es neue Erkenntnisse zu den möglichen Risikogruppen für einen schweren Verlauf der Covid-Erkrankung?
Johna: Nein, neu sind die Erkenntnisse nicht. Die Wahrscheinlichkeit schwerer Erkrankungen steigt mit dem Lebensalter und relevanten Vorerkrankungen, auch bei so weit verbreiteten wie Diabetes und Hypertonus. Insofern gehört ein relevanter Teil der deutschen Bevölkerung zur Risikoklientel.
Welche Schutzmaßnahmen sind Ihnen wichtig?
Johna: Das Entscheidende ist die Kombination der Regeln Abstand, Hygiene, Masken, Lüftung geschlossener Räume und Nutzung der Corona-Warn-App. Denn in der Kombination ist „eins plus eins mehr als zwei“. Wenn eine Person im Gespräch einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) trägt und dadurch das Übertragungsrisiko als Beispiel auf ein Drittel fällt, dann fällt das Übertragungsrisiko auf ein Neuntel, wenn beide einen solchen MNS tragen.
Sind Aerosole signifikant für die Ansteckung mit dem Virus in geschlossenen Räumen verantwortlich?
Johna: Die Übertragung über Tröpfchen ist unbestritten, Aerosole sind aber auch verantwortlich. Aerosole sind eine Mischung aus einem Gas (in diesem Fall das Gasgemisch Luft) und einer fein verteilten Flüssigkeit oder Partikeln, die schweben und sich in der Luft leicht verteilen. Vermehrungsfähige SARS-CoV-2-Viren sind in Aerosolen bereits in Studien nachgewiesen worden.
Was können Sie über den Entwicklungsstand neuer Medikamente berichten?
Johna: Remdesivir kann bestenfalls die Dauer der schwerer verlaufenden Erkrankungsfälle verkürzen. Dexamethason hilft einer möglichen überschießenden Reaktion des Immunsystems entgegenzuwirken, wird im Wesentlichen auf der Intensivstation eingesetzt und hat ein sehr ungünstiges Nebenwirkungsprofil. Eine Antikörpertherapie wird bestenfalls nur für eine kleine Gruppe Erkrankter zur Verfügung stehen. Frühzeitige Thromboseprophylaxe, Hemmung der Blutgerinnung, mehr Kenntnisse in der richtigen Beatmungstherapie – das alles sind Bausteine einer besseren Behandlung. Eine spezifische Therapie steht uns weiterhin nicht zur Verfügung.
Wann ist Ihrer Einschätzung nach mit einem Impfstoff zu rechnen? Welche Auswirkungen wird es haben, wenn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung geimpft ist?
Johna: Die Zulassung zweier mRNA-Impfstoffe steht bevor, hier sind die ersten Ergebnisse sehr ermutigend, 90 % der Geimpften seien vor einer Infektion geschützt. Es kann Anfang 2021 mit den ersten Impfungen gerechnet werden, allerdings ist die Logistik sehr aufwendig (Produktion des Impfstoffs und Kühlkette bei -80 °C, Benennung und Benachrichtigung der Impflinge sowie Organisation der Impfzentren), so dass eine Prognose, wann wie viele Menschen geimpft sein werden, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich ist. Auch muss man bedenken, dass mRNA-Impfstoffe ein neues Wirkprinzip sind und die Dauer des Impfschutzes noch unklar ist.
Was sagen Sie Menschen, die die Gefährlichkeit von Corona bestenfalls mit jener der Grippe vergleichen?
Johna: Auch eine Grippeerkrankung, also die Infektion mit dem Influenzavirus, kann sehr schwer verlaufen, tödlich enden oder auch lange danach noch zu Arbeitsunfähigkeit führen. Dennoch ist die Gefahr für schwere Erkrankungen und tödliche Verläufe bei Covid-19 deutlich höher.
Eine Studie aus den USA berechnet die Infektionssterblichkeit von Corona und der saisonal auftretenden Grippe. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Infektionssterblichkeit bei Corona in den USA bei 0,8 % liegt. Zum Vergleich: Bei der Grippe liegt diese bei 0,05 % – somit zeigen diese Daten aus den USA, dass Infektionen mit dem SARS-CoV-2 Virus 16 mal tödlicher sind als die Infektion mit Influenzaviren. Folgeschäden durch die Covid-19 Erkrankung wie z. B. Lungenfibrose oder chronische Myokarditis und Kardiomyopathie sind wahrscheinlich, aber in ihrer epidemiologischen Bedeutung gegenwärtig nicht abzuschätzen.
Dr. med. Susanne Johna, Fachärztin für Innere Medizin, Zusatzbezeichnung Krankenhaushygiene, und Oberärztin für Krankenhaushygiene im Sankt Josefs-Hospital in Rüdesheim, ist Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen, Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer (BÄK) sowie Pandemiebeauftragte der BÄK, Landesverbandsvorsitzende des Marburger Bundes Hessen und 1. Vorsitzende des Marburger Bundes – Bundesverband. (red)
Interview: Katja Möhrle