Prof. Dr. med. Sandra Ciesek plädiert für konsequente Einhaltung der AHA-Regeln

Die Corona-Pandemie stellt die Medizin vor große Herausforderungen. Wir möchten im Hessischen Ärzteblatt den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Umgang mit SARS-CoV-2 darstellen und dabei die Meinungsvielfalt in der medizinischen Wissenschaft abbilden. In dieser Ausgabe beantworten Prof. Dr. med. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt und Professorin für Medizinische Virologie an der Frankfurter Goethe-Universität, sowie Dr. med. Susanne Johna, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen, Pandemiebeauftragte der Bundesärztekammer und 1. Vorsitzende des Marburger Bundes – Bundesverband, unsere Fragen (Stand Nov. 2020).

Prof. Dr. med. Sandra Ciesek ist Fachärztin für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie sowie Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie und MHBA. Sie ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität. Zu ihren Schwerpunkten gehören neue Therapieformen für Hepatitis C und die Suche nach Medikamenten gegen Covid-19.

Im Wechsel mit Prof. Dr. med. Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, steht Ciesek im bundesweit bekannten Podcast des NDR zur Covid-19-Pandemie Rede und Antwort. Der Podcast kann unter www.ndr.de, Stichwort „Coronavirus-Update“ abonniert werden. Zusätzlich gibt es dort die Manuskripte auch zum Download. (red)

Setzt die aktuelle Teststrategie die richtigen Prioritäten? Werden die Fallzahlen möglicherweise durch häufige falsch positive Befunde in die Höhe getrieben?

Prof. Dr. med. Sandra Ciesek: Bei der Teststrategie ist es wichtig, die Prioritäten für eine Testung richtig zu setzen, sodass bei Ressourcenknappheit die zur Verfügung stehenden Tests auch dort eingesetzt werden, wo sie am meisten helfen: etwa bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie bei symptomatischen Patienten und hier insbesondere denen, die schwere Symptome haben oder zu einer Risikogruppe gehören. Das ist in der Teststrategie auch gelungen.

Entgegen der Behauptung, PCR-Tests würden häufig falsch positiv ausfallen, stellt das in unserer täglichen Routine kein Problem dar. Die meisten Testsysteme, die wir anwenden, detektieren zwei unterschiedliche Genregionen. Werden beide Gene in relevanter Menge gefunden, ist ein falsch positiver Befund extrem unwahrscheinlich. Es gibt aber auch schwache Befunde, die kontrollbedürftig sind und vorsichtig interpretiert werden müssen. Das zu unterscheiden, dazu sind Labore mit Erfahrung in der Virusdiagnostik in der Lage. Ein schönes Beispiel sind hier die PCR-Befunde aus unserer kürzlich publizierten SAFE-KIDS Studie. Hier haben wir über 13.000 negative, aber nur zwei positive Befunde erhoben. Die positiven Befunde konnten beide in einer unabhängigen Untersuchung bestätigt werden.

Gibt es neue Erkenntnisse zu den möglichen Risikogruppen für einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung?

Ciesek: Es bestätigt sich weiterhin, dass Menschen mit steigendem Alter immer anfälliger für eine schwere Erkrankung sind. Kinder hingegen erkranken äußerst selten schwer an Covid-19. Neben Fettleibigkeit spielen auch andere Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes eine große Rolle.

Welche Schutzmaßnahmen sind Ihnen wichtig?

Ciesek: Inzwischen geht es nicht mehr darum, wirksame Schutzmaßnahmen auszuprobieren oder zu finden. Wir wissen recht gut, welche Maßnahmen wirksam sind, und müssen diese nur konsequent anwenden – und darüber aufklären. Das sind die AHA-Regeln (Abstand – Hygiene beachten – Alltagsmaske tragen). Da die Fallzahlen in jüngster Zeit so rasant gestiegen sind, halte ich die aktuellen Einschränkungen der Kontaktmöglichkeiten für nötig. Wichtig ist, dass wir uns auch alle an die Vorgaben halten. Massenveranstaltungen sind momentan sowieso keine Option. Wendet man all dies an, hat man schon einen ganz wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie geleistet.

Sind Aerosole signifikant für die Ansteckung mit dem Virus in geschlossenen Räumen verantwortlich?

Ciesek: Ja, es scheint, als spielen neben größeren Tröpfchen Aerosole, also solche Tröpfchen, die so klein sind, dass sie in der Luft schweben, eine ganz wichtige Rolle. Das muss entsprechend bei dem Umsetzen von Hygienekonzepten für geschlossene Räume beachtet werden.

Was können Sie über den Entwicklungsstand neuer Medikamente berichten?

Ciesek: Leider hat sich kürzlich in einer großen klinischen Studie der WHO gezeigt, dass weder Remdesivir noch Lopinavir oder Interferon-ß oder Hydroxychloroquin die Mortalität bei hospitalisierten Patienten mit Covid-19 senken können. Die Entwicklung von neuen Wirkstoffen – keinen sog. repurposing drugs – dauert aber Jahre.

Wann ist Ihrer Einschätzung nach mit einem Impfstoff zu rechnen? Welche Auswirkungen wird es haben, wenn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung geimpft ist?

Ciesek: Auf dem Weg zu einer Massenimpfung der Bevölkerung sind noch viele Hürden zu nehmen. In den kommenden Monaten werden wir weitere Daten über die ersten Wirksamkeitsstudien der vielzähligen Impfstoffkandidaten erhalten. Diese Daten werden wir uns sehr gründlich anschauen müssen. Sind Impfstoffe wirksam und sicher in den ersten Phase 3-Studien, insbesondere für die Risikopatienten, so müssen die zur Verfügung stehenden Impfdosen fair und priorisiert verteilt werden, um mit den ersten verfügbaren Impfdosen die vulnerabelsten Gruppen zu schützen. Das ist ganz besonders eine internationale Aufgabe.

Sind die ersten Impfstoffe zugelassen, hört da aber die Überwachung auf die Effektivität und Sicherheit nicht auf – man wird die Impfstrategie daher möglicherweise auch ständig anpassen müssen. Bis wir zum einen genug über die Impfstoffe wissen, um sie der Allgemeinbevölkerung empfehlen zu können, und sie zum anderen auch in ausreichender Menge verfügbar haben, wird noch einige Zeit vergehen.

Was sagen Sie Menschen, die die Gefährlichkeit von Corona bestenfalls mit jener der Grippe vergleichen?

Ciesek: Ich bitte diese Menschen, sich die Daten aus Ländern anzuschauen, die nicht so konsequent gegen die Pandemie vorgegangen sind wie wir in Deutschland. In den USA etwa ist Covid-19 nun die dritthäufigste Todesursache, nur an Herzkrankheiten und Krebs sind in der jüngsten Vergangenheit mehr Menschen verstorben. Ähnlich würde es vermutlich auch in Deutschland aussehen, wenn wir nicht entschieden gegen diese gefährliche Erkrankung vorgehen. Covid-19 ist weitaus tödlicher als die Grippe.

Aber auch die Influenza kostet jedes Jahr viele Menschenleben, und auch hier sind ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen besonders gefährdet. Um sie und mich selbst zu schützen, habe ich mich auch dieses Jahr wieder gegen die Grippe impfen lassen.

Interview: Katja Möhrle