Prof. Dr. med. Ursel Heudorf und Prof. Dr. med. René Gottschalk beantworten Leserfragen zu ihrem Artikel zur Covid-19-Pandemie, der in der Ausgabe 10/2020 erschienen ist.

Leserfragen:

Im Artikel von Gottschalk und Heudorf bleibt mir eines völlig unklar. Derzeit scheint es die überwiegende Ansicht von Virologen und Epidemiologen zu sein, dass Aerosole einen wichtigen Beitrag bei der Weiterverbreitung von Covid-19 haben. Das sehen die beiden Autoren offenbar völlig anders. Könnten die Autoren diese Frage beantworten?

Michael Krause, Königstein

Wie wirken Masken und was ist ihr empirisch nachweisbarer Effekt?

Florian Buchholz, Köln (Leserbrief siehe oben)

Mich würde interessieren, wie die Autoren den jüngst im Medizin-Journal „Krankenhaushygiene“ (Thieme-Verlag) erschienenen Artikel der Autorin Prof. Dr. med. Ines Kappstein bewerten. Dort heißt es bereits in der Überschrift: „Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirksamkeit.“

Armin Heinzelmann, Weil am Rhein

Antwort der Autoren:

Zunächst bedanken sich die Autoren für die Vielzahl der Zuschriften. Wir haben viele positive Zuschriften erhalten und wurden mehrfach für unseren Mut bewundert – offenbar braucht es heute Mut, Zahlen in ihrem Gesamtzusammenhang darzulegen und Fragen zu stellen?

PD Dr. med. vet. Katja Steiger warnt vor der Vereinnahmung unserer dargestellten Daten „bei diesem gesellschaftlich hochsensiblen Thema“– auch wenn sie gleichzeitig unserer fachlichen Interpretation und Empfehlung folgen kann. Heißt das, wir hätten wegen der Gefahr der Fehlinterpretation die Daten nicht vorstellen sollen? In der Tat wurde von bestimmten Medien und Kreisen unser Beitrag teilweise völlig falsch, teilweise irreführend und tendenziös zitiert und weiterverbreitet. Wenn uns das zur Last gelegt würde, würde das doch nur heißen, dass man diesen Kreisen von vornherein die Definitionsmacht überließe. Das aber dürfen wir nicht zulassen.

Gerne gehen wir auf die Fragen Übersterblichkeit, Übertragung durch Aerosole, Testgenauigkeit von PCR-Tests und Wirksamkeit der Masken in der Öffentlichkeit ein.

Es ist uns bekannt, dass es in vielen Ländern im Zusammenhang mit Covid-19 eine Übersterblichkeit gibt (siehe Projekt Euromomo). Wir fanden es aber wichtig darzustellen, dass in Frankfurt und in Deutschland bislang keine Übersterblichkeit erkennbar ist, auch nicht in den Altenpflegeheimen in Frankfurt im Vergleich zu den Vorjahren. Dies ist u. E. durchaus eine mitteilenswerte Beobachtung, die zu analysieren es sich lohnt – um daraus zu lernen.

Wir stimmen Ingrid Ritter zu, dass jemand, der einen lieben Menschen verloren hat, sich nicht für Übersterblichkeit interessiert. Aber wir sind der Auffassung, dass wir uns nicht nur auf SARS-CoV-2 fokussieren dürfen. Alle Sterbefälle bedeuten für die Angehörigen einen großen Verlust.

Viele Studien zeigen, dass das SARS-CoV-2-Virus in Aerosolen nachweisbar ist, dennoch ist dies kein typischer Übertragungsweg – im Gegensatz zu der Situation bei Masern. Ein Beispiel aus dem Jahr 2017 kann das zeigen: Nachdem ein Masernpatient in einer Klinik angekündigt worden war, wurde er ausschließlich durch geimpftes Personal versorgt. Dennoch kam es zu zehn Infektionen bei ungeimpftem Krankenhauspersonal – keiner von ihnen hatte jemals den Patienten selbst gesehen, sondern nur die Räume betreten, in denen sich der Patient zuvor aufgehalten hatte [1].

Die Begriffe, die die Aussagekraft von analytischen Testverfahren angeben, sind: Sensitivität und Spezifität. Zur Beurteilung eines Tests gehört aber auch die Prävalenz der Erkrankung. Bei einer damals aktuellen, angenommenen Prävalenz von 1 % und einer Sensitivität und Spezifität von jeweils 99 % liegt der positive prädiktive Wert, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit vorliegt, wenn das Testergebnis positiv ist, bei 50 %. Bei identischer Sensitivität und Spezifität und einer angenommenen Prävalenz von 5 % ergibt sich ein positiver prädiktiver Wert von 83 % – d. h. im ersten Fall würden 50 %, im zweiten 17 % der positiv Getesteten fälschlicherweise in Isolierung geschickt (https://www.bmj.com/content/369/bmj.m1808/infographic).

Wir bestätigen: Mit PCR-Tests können Genabschnitte von Erregern (Viren oder Bakterien) detektiert, aber keine Aussage über deren Infektionsfähigkeit getroffen werden.

Viele Fragen betrafen das Tragen von Masken im öffentlichen Raum. Prof. Dr. med. Ines Kappstein (Leitung Klinikhygiene, Klinikum Passau) hat in ihrem Beitrag [2] die damals bekannte Datenlage zusammengefasst. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) etc. kann das Tragen von Masken in Ergänzung zu den wichtigen Maßnahmen wie Abstand und Hygiene (Händehygiene, Nies- und Hustenetikette) ein zusätzlicher Baustein sein, Übertragungen von SARS-CoV-2 zu verringern. Die wissenschaftliche Evidenz aus den publizierten Studien und Reviews ist in der Tat nicht hoch. Dies trifft auch für weitere, in Kappsteins Beitrag noch nicht zitierte Studien und Reviews zu [3–7].

Allerdings ist auch auf die methodischen Schwierigkeiten solcher Studien hinzuweisen: Nur wenn die Compliance durchweg sichergestellt ist und für andere Einflussfaktoren kontrolliert wurde, können Schutzeffekte belastbar nachgewiesen werden. Über die Compliance wird aber in den Beiträgen nichts berichtet. Insofern gilt: Absence of evidence is not evidence of absence – das Fehlen von Beweisen ist kein Beweis für das Fehlen.

Angesichts der – aus Studien in anderem Umfeld und teilweise mit anderen Erregern – abgeleiteten Plausibilität des Schutzeffektes des Tragens von Masken und der Tatsache, dass es sich im Vergleich zu vielen einschneidenden Verboten um eine „milde Maßnahme“ handelt, sollten Masken getragen werden, wenn Abstand nicht eingehalten werden kann.

Insgesamt bestätigen wir unsere 9-Punkte-Empfehlungen (HÄBL 10/2020, Seite 552). Darin wurde u. a. auf Aufenthalt im Freien und – bereits Ende August 2020, also lange bevor die sogenannte AHA-L-Regel seitens der Bundesregierung veröffentlicht wurde – auf das Lüften hingewiesen. In den Schulen forderten wir die Einhaltung guter Hygiene (Lüften, Händehygiene und Sanitärhygiene) und das Tragen von Masken für Mitarbeiter (nicht für Kinder). Mit Bedauern stellen wir fest, dass Punkt 6 (Beratung der politisch Verantwortlichen) und Punkt 7 (sachgerechte Information der Bevölkerung) weiterhin nicht umgesetzt wurden.

Abschließend betonen wir nochmals, dass wir SARS-CoV-2 sehr ernst nehmen – und fordern deswegen erneut und dringend die notwendige öffentliche Diskussion zu Zielen und Mitteln der Pandemiebekämpfung.

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, Prof. Dr. med. René Gottschalk

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