In den nächsten Jahren stehen aufgrund der Altersstruktur der Vertragsärztinnen und -ärzte zahlreiche Praxisübergaben an. Hierfür bestehen eine Vielzahl von Möglichkeiten – wie die direkte Übergabe an Nachfolgerinnen oder Nachfolger bei einer Einzelpraxis oder einem Gemeinschaftspraxisanteil, der Verkauf der Praxis an eine andere Praxis zur Bildung einer größeren Gemeinschaftspraxis oder einer überregionalen BAG, aber auch der Verkauf der Praxis an ein ärztlich inhabergeführtes medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) oder klinik- oder investorenbetriebenes MVZ.
Natürlich gestaltet sich der Verkauf einer Einzelpraxis in der Regel einfacher als der Verkauf einer Großpraxis mit vielen Gesellschaftern unterschiedlichen Alters. Gerade orthopädisch-unfallchirurgische operative Großpraxen, wie auch in unserem Fall, oder auch radiologische Großpraxen haben hohe Investitionen getätigt und häufig auch eine hohe Mitarbeiterzahl, so dass der unternehmerische Aspekt der Praxisführung von erheblicher Bedeutung ist. Die Leitung solcher komplexer großer Berufsausübungsgemeinschaften erfordert besondere ärztliche und auch unternehmerische Führungsqualitäten sowie häufig einen hohen zeitlichen Einsatz des geschäftsführenden Praxisgesellschafters. Solche Großpraxen können als GbR oder auch als GmbH mit unterschiedlichen Gesellschafteranteilen strukturiert sein. Eine Möglichkeit, die Nachfolgeregelung solcher Praxen zu bewerkstelligen, ist die schrittweise Aufnahme jüngerer Kolleginnen und Kollegen, die die älteren ausscheidenden Partner ersetzen.
Hier müssen allerdings mehrere Aspekte beachtet werden. Zum einen muss eine vertrauensvolle und harmonische Zusammenarbeit aller Praxisinhaber gewährleistet sein, die fachliche Kompetenz sowie die Work-Life-Balance der einzelnen Praxisinhaber müssen abgesprochen werden mit ihren unterschiedlichen Einsatzgebieten. Zum anderen muss auch geklärt werden, wer die Praxis geschäftsführend leitet und nach außen in den verschiedenen Gremien vertritt. Wichtig ist bei dieser Möglichkeit, die Praxisübergabe frühzeitig mit allen Gesellschaftern zu besprechen, um sich rechtzeitig auf die Suche nach entsprechenden Nachfolgern zu begeben.
Zunehmende Beachtung sollte auch die Tendenz der jüngeren Ärzte, eher im Angestelltenstatus, zum Teil auch in Teilzeitregelungen, als im selbstständigen und wirtschaftlich verantwortenden Vertragsarztstatus tätig zu sein, bei den Nachfolgeverhandlungen erfahren.
In der Regel ist es bei der Praxisübergabe so, dass die neuen Kollegen die vorgeschriebene dreijährige Tätigkeit zum Erhalt des Vertragsarztsitzes am Standort als angestellter Arzt bis zur Übergabe der Praxis wählen und nutzen, um hier ein gegenseitiges Kennenlernen und eine bessere Integration der neuen zukünftigen ärztlichen Gesellschafter in die Praxis zu garantieren. Hierbei ist unter anderem auch zu beachten, dass jüngere Kolleg/-innen häufig eine andere Work-Life-Balance haben als die älteren Kollegen, die häufig noch eine 60-Stunden-Woche absolvieren. Hilfreich ist hier nur eine offene Diskussion zwischen allen angestellten Ärzten und zukünftigen Gesellschaftern, ggf. auch mit der Implementierung neuer Arbeitszeitmodelle in Teizeit.
Als Alternative für diese Praxisübergabe von Arzt zu Arzt bei Großpraxen gibt es in jüngster Zeit zunehmend gerade orthopädisch-unfallchirurgische Fachkliniken, aber auch private und gemeinnützige Klinikketten, die als mögliche Käufer von O- und U-Großpraxen und auch Einzelpraxen auf den Markt kommen. In anderen Fachgebieten – wie beispielsweise Laborarztpraxen, Augenarztpraxen, aber auch radiologische Praxen und vor allem auch auf dem zahnärztlichen Sektor – sind auch einige Investorenketten als Käufer in die Akquise gegangen.
Während die ärztlich inhabergeführten MVZ bei Zukauf von Praxen das Ziel einer Verbreiterung ihrer Zuweiserbasis, Akquirierung neuer Ärzte und die verbesserte Nutzung ihrer technischen Ressourcen im Auge haben, besteht das Interesse von Klinik-MVZ ebenfalls in Erweiterung ihrer Zuweiserbasis, aber auch in der Verlegung von beispielsweise ambulanten operativen Eingriffen von der Klinik in die Praxis sowie ggf. der Erweiterung ihres Leistungsspektrums. Weiterhin sind bei Klinik-MVZ auch ökonomische Synergieeffekte mit Ausbau des stationären Sektors und eine Optimierung der sektorenübergreifenden Versorgung Gründe für die Akquise orthopädisch-unfallchirurgischer Praxen.
Ein weiterer Vorteil von einem solchen Konstrukt ist die Möglichkeit einer Verbundweiterbildung Klinik und Praxis mit Rotation von in der Regel am Ende der Weiterbildung stehenden Ärzten zwischen Klinik und Praxis. Hierdurch ist für die Ausbildung der orthopädisch-unfallchirurgischen Kolleginnen und Kollegen – gerade was die konservativen Weiterbildungsinhalte angeht – gewährleistet, dass das typische ambulante operative Spektrum wie Arthroskopie oder Fuß- und Handchirurgie in höherem Umfang für die Weiterbildung angeboten werden kann. Auch können hierdurch Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Klinikfacharztpool stammen, als Praxisnachfolger generiert werden.
Für die Praxisinhaber, die an ein Klinik-MVZ verkaufen, ist es wichtig, dass die Praxis weiter am Standort bestehen bleibt – sowohl mit dem Erhalt der Arbeitsplätze der langverdienten Mitarbeiter als auch mit der Weiterbeschäftigung der Praxisverkäufer selber als angestellte Ärzte. Das Angestelltenverhältnis der Letzteren umfasst dabei in der Regel mindestens drei Jahre zu fairen Konditionen.
Hierdurch ist eine bessere Übergabe der Praxen und Einbindung neuer Kollegen gewährleistet. Zudem können die Praxisinhaber ihr besonderes Praxis-Know-how den neu einsteigenden und angestellten Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie besser übergeben. In unserer O- und U-Großpraxis Kassel ist beispielsweise der Übergang mit Kauf unserer Praxis durch die Orthopädische Klinik Hessisch Lichtenau zum vergangenen Jahreswechsel reibungslos verlaufen, alle ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden übernommen. Die „Medizin in der Praxis“ kann weiterhin völlig unabhängig auf demselben Niveau betrieben werden. Der engere fachliche Austausch mit den Kollegen aus der Klinik ist ausgezeichnet und führt zu einer Optimierung der sektorenübergreifenden medizinischen Versorgung. Zudem erfolgen auch weiterhin komplexere stationäre Eingriffe durch die Praxisärzte an den bisherigen kooperierenden Kliniken, unter anderem der Orthopädischen Klinik Hessisch Lichtenau, in hervorragender Art und Weise.
Zusammenfassend kann aus unserer Erfahrung die Übergabe einer orthopädisch-unfallchirurgischen Großpraxis an ein Klinik-MVZ als eine gute Wahl unter den verschiedenen Möglichkeiten einer Praxisübergabe gewertet werden. Auch bei diesem Weg ist es wichtig, frühzeitig neue Kolleginnen und Kollegen als Praxisnachfolger zu integrieren.
Dr. med. Gerd Rauch, Ärztlicher Leiter MVZ OCP Kassel Lichtenau gGmbH e. V., E-Mail: gerdrauch@t-online.de