Dr. med. Kyra Schneider: Patientensicherheit funktioniert nur im Team
Welche Maßnahmen für Patientensicherheit haben sich im Alltag bewährt? Welche neuen Vorgaben gibt es? Der fünfte Artikel der Serie gibt Einblick in die Arbeit der Stabsstelle Patientensicherheit & Qualität des Universitätsklinikums Frankfurt am Main – im Gespräch mit Dr. med. Kyra Schneider, DEAA*, MBA. Sie ist die Patientensicherheitsbeauftragte (PSB) und Leiterin der Stabsstelle Patientensicherheit & Qualität des Universitätsklinikums Frankfurt am Main.
Dr. med. Kyra Schneider (Foto) leitet seit 2015 die Stabsstelle Patientensicherheit & Qualität des Universitätsklinikums Frankfurt am Main. Die Anästhesiologin, Intensiv- und Notfallmedizinerin hat neben langjähriger klinischer Erfahrung diverse Qualifikationen im Qualitäts- und Risikomanagement erworben und ist seit langem leitend in diesem Bereich tätig. Zudem arbeitet Dr. Schneider als Dozentin und in verschiedenen Institutionen wie der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung (GQMG e. V.), dem Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS), der Euro Risk AG und dem Verband der Universitätsklinika Deutschlands mit.
Sehr geehrte Frau Dr. Schneider, Sie leiten die Stabsstelle Patientensicherheit und Qualität am Universitätsklinikum Frankfurt am Main. Wie lange gibt es die Stabsstelle bereits und was ist das Besondere daran?
Dr. med. Kyra Schneider, DEAA, MBA: Die Stabsstelle wurde 2001 für die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems (QM-System) im Universitätsklinikum Frankfurt gegründet. Seit 2019 heißt sie „Stabsstelle Patientensicherheit & Qualität“. Diese Themen wurden gemeinsam zugeordnet, da sie eng verknüpft sind: Das strukturierte Risikomanagement (RM) fördert die Patientensicherheit – die QM-Strukturen sind für die Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen nötig. „Stabsstelle“ sind wir, um einen übergeordneten Blick zu gewährleisten und um der Bedeutung und Umsetzungskraft des Themas gerecht zu werden. Wir arbeiten eng mit dem ärztlichen Direktor, aber auch mit allen anderen Abteilungen und Berufsgruppen im Hause zusammen.
Wie sieht Ihr konkreter Arbeitsalltag aus? Schneider: Die Stabsstelle berät zu den unterschiedlichsten Themen und ist eng mit unseren Qualitätsmanagementbeauftragten (QMB) und dem Vorstand vernetzt. Wir sind Mitglied in verschiedenen Kommissionen und Arbeitsgruppen, z. B im Bereich Krankenhaushygiene, und entwickeln strategisch die Themen Patientensicherheit und das QM-System mit seinen Instrumenten weiter. Wir führen Audits, Prozessrisiko- bzw. Szenario-Analysen durch, begleiten Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen (M&MK) und bieten interne Schulungen an. Außerdem sichten wir unsere Meldesysteme auf kritische Themen und bearbeiten den Bereich Qualitätscontrolling.
Ende 2019 ist die Hessische Patientensicherheitsverordnung (PaSV)** in Kraft getreten. Neben Ihren anderen Aufgaben sind Sie auch die Patientensicherheitsbeauftragte des Universitätsklinikums. Was ist mit dieser Funktion verbunden?
Schneider: Ich wurde nun als Patientensicherheitsbeauftragte (PSB) benannt, das Thema war aber schon vorher in der Stabsstelle platziert. Durch die PaSV wurden die formalen Voraussetzungen und Strukturen geschaffen. Zu den Aufgaben gehören alle unsere Tätigkeiten, aber insbesondere: patientensicherheitsrelevanten Aspekten Gehör zu verschaffen, das Thema weiter zu entwickeln und Ansprechpartner in kritischen Situationen zu sein.
Was bedeutet die PaSV für die Ärzte und Kliniken?
Schneider: Damit haben wir die Chance, Hessen als Modellregion zu positionieren. Besonderheiten sind die klare Zuordnung des Themas zur Geschäftsführung und die verpflichtende Qualifikation der PSB. Zudem könnten wir über das geplante Berichtswesen die Entwicklung der Patientensicherheit in Hessen verfolgen. Eventuell lässt sich so auch die Aufmerksamkeit für Themen erhöhen, bei denen noch Handlungsbedarf besteht – wie zum Beispiel die Sepsis. Durch die PSB und ihre besondere Stellung ergibt sich außerdem in kritischen Situationen die Möglichkeit, zeitnah zu intervenieren.
Wie wird man Patientensicherheitsbeauftragte?
Schneider: Jede hessische Klinik muss dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) eine/n PSB benennen. Für die Grundqualifikation gibt es eine Übergangsfrist von drei Jahren. Das HMSI finanziert jedem hessischen Krankenhaus die Qualifizierung einer/s PSB. Diese führen wir am Universitätsklinikum Frankfurt durch. Eine besondere Herausforderung hierbei ist, Teilnehmende mit unterschiedlicher Vorerfahrung aus dem ärztlichen, pflegerischen und anderen Bereichen gemeinsam auszubilden – daher haben wir uns für das multiprofessionelle Mustercurriculum der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entschieden. Außer diesen Kursen gibt es noch verschiedene Möglichkeiten, sich zum Thema klinisches Risikomanagement oder als Health Care Manager fortzubilden.
Welche Maßnahmen zur Patientensicherheit gibt es am Universitätsklinikum Frankfurt?
Schneider: Die Basis aller Maßnahmen bildet unser QM-System mit dezentralen QMB. So können Vorgaben individuell für einzelne Bereiche angepasst werden und wir haben Ansprechpartner vor Ort, die die Umsetzung unterstützen. Wir betreiben ein Critical Incident Reporting System (CIRS), führen Managementbewertungen, Risikoassessments, Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (M&MK) sowie interne Audits durch. Wir haben Kooperationsprojekte beispielsweise zur Medikamentensicherheit oder zu „Events-to-prevent“ mit anderen Kliniken und führen verschiedene Maßnahmen zur Prävention zum Beispiel von Sturzereignissen durch.
Zwar gibt es zentrale Regelungen für Themen wie Behandlungsdokumentation und Aufklärung, grundsätzlich arbeiten wir aber eher mit Impulsen als mit hierarchischen Vorgaben. Bei der Umsetzung sind alle Berufsgruppen wichtig – die Führungsebene für strukturelle Änderungen und die Mitarbeiter zur Umsetzung der Maßnahmen, denn Patientensicherheit funktioniert nur im Team.
Gibt es Möglichkeiten für Zuweiser und Patienten des Universitätsklinikums, die Sicherheit vor und nach der stationären Behandlung zu verbessern?
Schneider: Hier spielt die Kommunikation eine zentrale Rolle. Wenn alle notwendigen Informationen inklusive des Medikationsplans vorhanden sind, fallen zielgerichtete Diagnostik und Therapie leichter und die Patientensicherheit kann erhöht werden. Dies gilt umgekehrt im Rahmen des Entlassungsmanagements natürlich genauso. Aber auch Schulungen für Patienten, beispielsweise zu ihren Medikamenten, können sehr hilfreich sein.
Wie kann die Landesärztekammer Hessen das Thema Patientensicherheit adressieren?
Schneider: Eine gemeinsame Initiative aller Beteiligten für mehr Ressourcen und die Förderung der Sicherheitskultur in der Medizin ist wünschenswert. Patientensicherheit müsste noch stärker Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung, aber auch der Ausbildung der Gesundheitsfachberufe werden. Schulungen für Teamtraining und -kommunikation, Formate für medizinische Führungskräfte, Angebote speziell für niedergelassene Kollegen und berufsgruppenübergreifende Strukturen zum Thema „Second Victim“ könnten hilfreich sein. Weitere Vorschläge sind Angebote zur Förderung von Sprachkompetenz und auch ein hessenweiter Abkürzungskatalog.
Hat sich Ihre Sichtweise auf die Themen Patientensicherheit und Qualität im Laufe Ihrer Tätigkeit verändert?
Schneider: Tatsächlich hat sich meine Sichtweise vom rein klinischen Standpunkt über die Managementperspektive zunehmend in Richtung Organisations- bzw. Kulturentwicklung verändert. Während meiner klinischen Tätigkeit habe ich schnell gemerkt, dass Medizin alleine nicht ausreicht, um Patientensicherheit und Qualität voranzubringen. Vielmehr braucht es passende Strukturen und eine starke Betriebs-, Sicherheits- und Fehlerkultur, um die guten Instrumente umsetzen zu können, die in diesem Bereich entwickelt werden. Große Herausforderungen dabei sind die Kommunikation aller Beteiligten und eine hohe Praxisorientierung der Maßnahmen, die die begrenzten Ressourcen im Medizinbetrieb einbezieht, sowie die Sicherstellung des Feedbacks.
Was können Verbände, Politik und Gesellschaft zur Unterstützung des Themas Patientensicherheit beitragen?
Schneider: Das Thema Patientensicherheit braucht eine kontinuierliche Aufmerksamkeit im Gesundheitssystem, und eine Weiterentwicklung kann nur gemeinsam gelingen. Hierfür braucht es Mittel und Ressourcen – bei allem Engagement ist Sicherheit nicht gratis zu bekommen.
Fortbildung zum Patientensicherheitsbeauftragten
Informationen zu den vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration geförderten Qualifizierungskursen des Universitätsklinikum Frankfurt am Main erhalten Sie per E-Mail an: melissa.merte@kgu.de oder Fon: 069 6301-83095
Fortbildung im ärztlichen Qualitätsmanagement
Grundlagen des Risikomanagements sind integraler Bestandteil der Kurs-Weiterbildung zum Erwerb der Zusatz-Bezeichnung „Ärztliches Qualitätsmanagement“ der Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung der Landesärztekammer Hessen. Informationen erhalten Sie im Internet unter: www.laekh.de/.
Patientensicherheitsverordnung (PaSV)**
Ende 2019 ist in Hessen die Patientensicherheitsverordnung (PaSV) in Kraft getreten. Danach muss jede hessische Klinik qualifizierte Patientensicherheitsbeauftragte (PSB) bestellen und dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) benennen. Diese unterstehen direkt der Leitung des Krankenhauses. Für die PSB werden eine Grundqualifikation mit Übergangsfrist von drei Jahren (mind. 20 Stunden Klinisches Risikomanagement) sowie eine jährliche Qualifikation (acht Stunden Klinisches Risikomanagement oder Patientensicherheit) gefordert. Zu ihren Aufgaben zählen die Weiterentwicklung einer Sicherheitskultur und der Maßnahmen zur Erhöhung der Patientensicherheit sowie die Einschätzung klinischer Risiken. Das Krankenhaus berichtet dem HMSI einmal jährlich standardisiert zur Patientensicherheit. Das HMSI wird durch einen Landesbeirat unterstützt, der sich mit Fragen der Patientensicherheit, Qualitätssicherung und klinischem Risikomanagement befasst. (QS)
Interview: Katrin Israel-Laubinger, Silke Nahlinger, Nina Walter
* DEAA = Europäische Diplomprüfung für Anästhesie und Intensivmedizin
** Patientensicherheitsverordnung (PaSV) https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/jlr-PatSiVHErahmen Zugriff 17.02.2020