Dr. med. Miriam Bruhin: Man muss seinen Job lieben, dann klappt es
Statistiken zeigen, dass immer weniger junge Ärztinnen und Arzte bereit sind, sich mit einer Praxis selbstständig zu machen. Die Allgemeinärztin Dr. med. Miriam Bruhin ist das „Wagnis“ eingegangen und hat sich in Südhessen niedergelassen.
Ein Wohngebiet in Mörfelden im südhessischen Kreis Groß-Gerau. In fußläufiger Nähe der Praxisräume, die sich Dr. med. Miriam Bruhin und Dr. med. Linda Orzegowski teilen, liegen eine Apotheke, eine Schule und ein Altenhilfezentrum. Das klinkerverschalte Ärztehaus wurde in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gebaut, auch das Praxisinterieur spiegelt den Geschmack jener Zeit. Doch die junge Ärztin, die mit Schwung hinter ihrem Schreibtisch Platz nimmt, bringt Frische in das Sprechzimmer: Seit 1. Oktober 2019 ist Dr. Miriam Bruhin, 36 Jahre alt und Fachärztin für Allgemeinmedizin, hier in Berufsausübungsgemeinschaft niedergelassen. Und sie sprüht vor Optimismus: „Ich habe es noch keinen Tag bereut, mich selbstständig gemacht zu haben. Die Lösung ‚Gemeinschaftspraxis’ kann ich nur jedem empfehlen.“
„Die ständige Action war nichts für mich“
Dabei stand die Niederlassung ursprünglich gar nicht auf ihrem Lebensplan. Nach dem Medizinstudium in Heidelberg, Mannheim und dem Praktischen Jahr begann Bruhin ihre Weiterbildung in der Inneren Medizin – Hämatologie und Onkologie – am Klinikum Darmstadt.
„Das hat mir sehr gut gefallen“, erinnert sich die ebenso freundlich wie selbstbewusst wirkende junge Frau. „Und ich hatte eigentlich vor, nach der Facharztprüfung weiter im Krankenhaus zu arbeiten. Aber dann kam unsere Tochter auf die Welt und ich habe gemerkt, dass diese Action, dieses ständige ‚Unter-Strom-Stehen’ nichts für mich war.“ Auch habe sie mit Kind nicht mehr alle Feiertage opfern und samstags in der Notaufnahme stehen wollen.
Bruhin wechselte zur Weiterbildung Allgemeinmedizin – eine Entscheidung, die ihr nicht schwer gefallen sei, wie sie rückblickend erzählt: „Ich bin in einem ländlichen Gebiet in der Nähe von Heilbronn aufgewachsen und hatte damals einen ganz tollen Hausarzt. Er hat die ganze Familiengeschichte seiner Patienten gekannt, diese dadurch viel besser verstehen können und meine Vorstellung von guter Medizin geprägt.“ Bei ihrer Suche nach einer ambulanten Weiterbildungsstelle über die Jobbörse der Koordinierungsstelle Weiterbildung Allgemeinmedizin wurde Bruhin auf eine Chiffre-Anzeige im Landkreis Groß-Gerau aufmerksam. „Ich wohnte damals mit Mann und Tochter in Frankfurt. Da der Kreis Groß-Gerau von dort aus gut mit dem Auto erreichbar war, habe ich auf die Anzeige geantwortet und mich vorgestellt. Es hat gleich gepasst!“ Bruhin war die erste Ärztin in Weiterbildung in der Praxis; nach ihrer Facharztprüfung arbeitete sie dort als angestellte Ärztin für Allgemeinmedizin auf einem vollen Kassenarztsitz.
Motivation durch niedergelassene Kolleginnen
Doch was zunächst wie zugeschnitten auf sie schien, änderte sich im Laufe der Zeit: „Die Praxis wurde immer größer, sodass ich nicht mehr die Art von Medizin als Hausärztin betreiben konnte, die ich mir ursprünglich vorgestellt hatte. Da kam der Punkt, an dem ich mich fragte, ob es wirklich so schlimm wäre, sich eigenständig niederzulassen. Alle, die ich danach fragte, hatten mich vor der Selbstständigkeit gewarnt; sie waren am Jammern, Jammern und Jammern.“ Doch das Sommerfest des Ärztinnenbundes in Darmstadt gab den Ausschlag für ein Umdenken: „Dort habe ich mich mit niedergelassenen Kolleginnen unterhalten, die mich total motiviert haben“, berichtet Bruhin.
Auf einem „ausgesprochen informativen“ Existenzgründerforum des Marburger Bundes sprach sie ein Steuerberater an und fragte, ob sie sich niederlassen wolle. „Obwohl ich noch nicht endgültig dazu entschlossen war und ihm das auch sagte, erklärte er, dass er etwas für mich habe. „Und zwar...“, Bruhin breitet die Arme aus, als wolle sie die Praxisräume damit umschließen, „...diese Doppelpraxis mit zwei Sitzen. Als ich erfuhr, dass die andere an der Praxis interessierte Ärztin gerade einmal 150 Meter Luftlinie von mir entfernt wohnte, habe ich sie sofort angerufen. Das war schicksalhaft, muss man sagen.“
Dass die Chemie zwischen ihr und der etwa gleichaltrigen Kollegin stimmt, ist für Bruhin wichtig. „Natürlich ist eine Gemeinschaftspraxis ein Wagnis, denn man geht finanzielle Risiken ein. Aber wenn es menschlich passt, sind die Vorteile groß. Alleine hätte ich mich nicht getraut, mich selbstständig zu machen. Nun können wir uns fachlich austauschen und uns gegenseitig unterstützen.“ So kenne sich etwa die eine mehr in der Praxis-EDV aus, während die andere größere Erfahrung mit Sonografien habe. „Wir ergänzen uns bestens; die Praxis ist jetzt so etwas wie meine zweite Ehe“, stellt Bruhin lachend fest.
Kein Teilzeitjob
Ein Teilzeitjob ist die Niederlassung allerdings nicht: 30 Stunden Sprechstunde in der Woche plus Hausbesuche – „Die gehören für mich zu einer Hausarztpraxis dazu“ – und Verwaltungsarbeiten summieren sich derzeit auf 50 bis 60 Wochenarbeitsstunden. „Da müssen wir in den ersten drei Jahren durch“, sagt Bruhin, die berufsbegleitend noch eine Zusatzweiterbildung Psychotherapie absolviert. „Danach werden die Arbeitszeiten denen einer angestellten Ärztin gleichen. Aber auch jetzt beschwere ich mich nicht, denn ich liebe meine Arbeit. Und die Menschen merken, dass ich für sie da bin und mir Zeit für sie nehme.“
Bruhins Mann ist ebenfalls beruflich stark engagiert. Wie schafft sie es trotzdem, Familie und Beruf miteinander in Einklang zu bringen? „Ich habe das große Glück, dass meine Eltern, mit denen ich mich super verstehe, von Baden-Württemberg hierhergezogen sind“, erklärt Bruhin, die inzwischen mit ihrer Familie in Mörfelden-Walldorf wohnt. „Sie sind für unsere sechsjährige Tochter da, während wir arbeiten.“ Ohne eine gute Kinderbetreuung sei der Einsatz, den sie vor allem jetzt in der Anfangsphase der Selbstständigkeit bringe, kaum zu leisten. Doch wenn die Rahmenbedingungen stimmten, sei die Niederlassung absolut empfehlenswert. Als ausgesprochen hilfreich und positiv habe sie die Einarbeitung durch die vorherigen Praxisinhaber empfunden, betont Bruhin. Interessierten rät sie außerdem, ein Existenzgründerseminar zu besuchen. Auch brauche man einen guten Steuerberater.
Auf die Frage, was persönlich für die Niederlassung mitzubringen sei, zählt sie auf: Gute Nerven, Ausdauer, betriebswirtschaftliche Kenntnisse und vor allem: „Man muss seinen Job lieben, dann klappt es.“
Katja Möhrle