Kohlhammer Verlag 2022, 335 S., 29 Euro ISBN: 9783170414402

 

Geschädigte, Angehörige und Freunde berichten über die Auswirkungen des Arzneimittels

 

Berührendes Selbstzeugnis und zeithistorisches Dokument

Rund eine Million Einzeldosen Contergan gingen Ende der 1950er-Jahre über Ladentheken der Apotheken in der BRD – jeden Tag. Groß war die ärztliche Euphorie über das erste Schlafmittel ohne Nebenwirkungen. Das Unglück traf alle Teile der Gesellschaft – im Vertrauen auf ärztlichen Rat und pharmazeutischen Fortschritt. Die Gerontologin Dr. med. Christina Ding-Greiner fasst den aktuellen Forschungsstand zusammen. Ein Beitrag stammt von Dr. Claus Knapp-Boetticher, der damals am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf die Ursache der unerklärlichen Embryopathien mitentdeckt hat. Schon diese 14 Seiten lesen sich wie ein Krimi. Ab 1957 bis 11/1961 war Contergan rezeptfrei im Handel. In Deutschland wurden etwa 5.000 contergangeschädigte Kinder eingetragen, weltweit schätzungsweise 10.000 Geburten. Heute leben in Deutschland etwa 2.500 contergangeschädigte Menschen. Die Autobiografien sind Geschichten von Niederlagen und Empowerment. Einige sind Literatur. Andere legen schonungslos Konfliktlinien offen, auch die Gewalt in den Heimen der 1960er-Jahre. Bis in die jüngste Gegenwart blieben die Betroffenen vielfach auf sich gestellt. Erst 2013 bekam die Conterganschädigung einen eigenen ICD-10-Schlüssel.

Noch fünfzig Jahre nach Aufdeckung des Skandals waren die Conterganhilfen unverändert gering bemessen, orientiert an dem gerichtlich ausgehandelten Kapital der 1972 gegründeten Conterganstiftung. Das bürokratische Gebilde entwickelte sich zu einem Gegner vieler Antragsteller. Dem setzten private Conterganselbsthilfevereine Solidarität entgegen.

Finanziert wurde der Sammelband von vier Conterganvereinen, also von den Betroffenen selbst. Es ist ihr Buch. 

Prof. Dr. med. Philipp Osten, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Kurzfassung aus dem Hamburger Ärzteblatt 02/2023, S. 25 unter www.aerztekammer-hamburg.org.